Ein Schalker ist er wohl auch nicht
von Oliver FritschVor Jahren habe ich mit einem Universitätskollegen ein Buch über Fußballfans im Internet geschrieben. Darüber, was die da so machen und, vor allem, was die da so schreiben und wie sie diskutieren. Es wurde ein soziologisches Buch mit soziologischen Thesen, à la: „Fußballfans nutzen das Internet, diese Mischung aus mündlicher und schriftlicher Kultur, um zum Zwecke der Selbstdarstellung außergewöhnliche Subjektpositionen zu beziehen.“ So weit die Theorie. Doch nun, nach einigen Jahren Praxis in den hellen Straßen und dunklen Gassen des WWW, ist es Zeit für eine (wie wir Akademiker sagen) Verifizierung dieser Hypothesen.
Jüngst bezog ein kritischer Leser mir gegenüber folgende Subjektposition: „Du Blödmann, Du Würstchen! Du bleibst eine kleine Speckbacke, Du [unleserlich], Du [unleserlich]!“ So eine Unhöflichkeit! Wie kann der Typ mich einfach duzen? Viele Kollegen aus anderen Redaktionen bestätigen übrigens, dass ihre User ihre Subjekte ähnlich positionieren.
An spielfreien Tagen googel ich schon mal meinen Namen gerne mit Stichworten wie „Saftheini“ [Subjektposition von der Redaktion geändert] oder verwandtem und lande so immer wieder auf einer Bayern-Fan-Site. Als ich beim Schalke-Deal mit Gasprom auf die ermordete Kollegin Politkowskaja verwies und speziell darauf, dass Putin, der jetzt irgendwie auch ein Schalker ist, kein Wort des Bedauerns über ihren Tod verlor, zog mir ein Schalke-Fan die Grenze; aus der Politik hätten sich Sportfuzzis rauszuhalten: „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ Auf der Bayern-Site wiederum verabschiedete man sich am gleichen Tag von einer liebgewonnenen Theorie: „Ein Schalker ist er wohl auch nicht.“
Kommentare per E-Mail gibt’s auch schon mal von Kollegen, die sich darüber beklagen, dass ich sie in meiner Presseschau übergehen würde. „Früher wurde ich viel häufiger zitiert“, erinnerte mich einer an meine Pflicht. „Schreibe ich inzwischen nur noch Mist? Habe ich es hinter mir?“ Für solche Selbstzweifel will man natürlich nicht die Verantwortung tragen. Ein zweiter schmollte wegen dauerhafter Unberücksichtigung in apodiktischem Ton: „Ihr Service ist unwichtig geworden.“ Ein dritter gab die Kündigung seines Newsletter-Abos mit den Worten in Auftrag: „Können Sie mich endlich mit Ihren Mails in Ruhe lassen!!!!!!“ Eine Frage mit sechs Ausrufezeichen. Vier oder fünf hätten’s ja auch getan.
Der Großteil der Leserzuschriften und Blog-Einträge ist freilich freundlich, auch viel Zustimmung darunter. Einige kultivierte Fans und Leser zitieren sogar Camus, Nietzsche oder Happel, ein anderer recherchiert in eigener Sache nach einem jüdischen Wiener Taktikpionier der 30er Jahre. Das sind natürlich längst nicht so spannende und außergewöhnliche Subjektpositionierungen wie die Mail, die mich soeben erreicht: „Fritsch, Du hast einen gaaanz Mickrigen.“ IQ meint er.
#6 meiner Kolumne auf rund-magazin.de