Die Macht der Bayern ist schlecht für den deutschen Fußball
von Oliver FritschDass Bayern München nächstes Jahr vermutlich nicht in der Champions League, sondern im Uefa-Pokal spielen wird, ruft zwei Reaktionen hervor: zum einen Hohn darüber, dass dem „FC Festgeld“ nun Reisen nach Malta, Georgien und ins wilde Kurdistan bevorstünden; zum zweiten die Sorge, es sei nicht gut für den deutschen Fußball, wenn seine „Lokomotive“ auf dem Wartegleis stehe. Ja, wenn’s um Bayern geht, geht’s gleich um die ganze Nation. Doch was ist dran an dieser, nennen wir sie Lothar-Matthäus-Hypothese? Nicht viel bis gar nichts. Dass die Bayern mal in die zweite Reihe zurücktreten, könnte frischer Sauerstoff für den deutschen Fußball sein.
Wonach bemisst sich eigentlich, was gut und was schlecht ist für die Fußballnation? Nehmen wir mal das Seelenleben der Fans als Kriterium. Die Fans bewegt vor allem die Nationalelf. Stark ist die Nationalelf meist dann, wenn deutsche Spieler im Ausland beliebt sind und sich dort fortbilden können, so wie ein Großteil des letzten Weltmeisterjahrgangs 1990 – und wie in Ansätzen die aktuelle Generation um Lehmann, Ballack, Frings, Metzelder, Klose, Hildebrand. Vom Erfolg deutscher Vereinsmannschaften hingegen profitiert die Nationalmannschaft nicht zwingend, es scheint keine direkte Kausalität zu bestehen. Zur Erinnerung, die große Münchner Hitzfeld-Ära fiel auch in die Ribbeck-Zeit.
An zweiter Stelle steht eine spannende, ausgeglichene und wirtschaftlich gesunde Bundesliga. Daher kann es nur gut sein, wenn die reichen Bayern mal auf die achtstelligen Einnahmen aus der Champions League verzichten und damit von ihrer Monopolstellung in der Liga einbüßen müssten. Auch wenn die Empirie nicht dafür spricht, schließlich sind die Indikatoren (Zuschauerzahlen, Fernsehgeld) für die Attraktivität der Bundesliga in den letzten zehn Jahren, in denen Bayern München sieben mal Meister wurde, gestiegen – die Ergebnisoffenheit einer Liga ist (auch ökonomisch) ein sehr hoher Wert.
Der Fußballpublizist Klaus Theweleit hat in der Neuen Zürcher Zeitung vor einem Jahr wütend seine Sicht über die Bayern-Strategie dargelegt, diesen Wert zu zerstören: „Der FC Bayern ist das größte Hindernis für eine Entwicklung des deutschen Fußballs auf ein höheres spielerisches Niveau: indem Uli Hoeneß gezielt jede Konkurrenz kaputt kauft und die eingekaufte Spielintelligenz unter Durchschnittstrainern wie Felix Magath auf der Bank verhungern lässt.“ Der Fußballweise Christian Eichler (FAZ) kommt zum gleichen Urteil: „Die Macht der Bayern ist schlecht für den deutschen Fußball. Ihr ökonomischer Erfolg hält ihnen Rivalen vom Hals und beschert ihnen auf dem Silbertablett das Beste vom deutschen Spielermarkt.“ Nun könnte es den Bayern, allen Gerüchten um einen Klose-Transfer zum Trotz, zumindest eine Zeitlang schwerer fallen, Stuttgart, Schalke und Bremen an der Fortentwicklung ihrer Teams und ihrer Spielideen zu hemmen.
Zudem neigen die Bayern zu dominantem Verhalten. Wenn sie auswärts erfolgreich sind, pochen sie zuhause auf Privilegien – mal geht es um Schiedsrichter- und Sportgerichtsurteile, mal um die Verteilung von Geld. Diese anmaßende, unsolidarische Haltung hat der FCB zu seiner erfolgreichsten Champions-League-Zeit um die Jahrtausendwende an den Tag gelegt und sogar unverhohlen geäußert. Uli Hoeneß hat nicht, wie es so oft heißt, viel für den deutschen Fußball getan, sondern in erster Linie für den FC Bayern. Es gibt ein arabisches Sprichwort: Ich gegen meinen Bruder. Ich und mein Bruder gegen unseren Cousin. Ich, mein Bruder und unser Cousin gegen unsere Nachbarn. Wir alle gegen den Fremden.
Erst an dritter und letzter Stelle der Rangliste der Dinge, die deutsche Fußballfreunde bewegt, ist die Konkurrenzfähigkeit deutscher Klubs im Europapokal zu veranschlagen. Klar, es wäre schön, wenn Werder Bremen diese Saison den Uefa-Pokal gewinnen würde (gewonnen hätte); aber eine Sinfonie von Spiel wie das 3:2 Manchester Uniteds gegen den AC Mailand, wollen wir uns doch nicht vom Mitwirken der Fußballarbeiter aus München vernichten lassen.
#15 meiner Kolumne auf rund-magazin.de
Das tägliche neue Wesen des FC Bayern
von Jürgen KaubeNichts ist so alt wie die Zeitung vom Vortag. Als der FC Bayern gegen Real Madrid gewonnen hatte, da hieß es, die verbleibenden Teams in der Champions League seien ausgeglichener denn je. Und: Bayern mache große Fortschritte bei der Wiederauferstehung. Das war am 9. März. Dann kam das Spiel gegen Bremen. Man habe einen echten Meisterschaftsanwärter gesehen, was sich von anderen Teams an der Spitze nicht sagen lasse. Bayern habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hitzfeld, genau der richtige Mann. Das war am 13. März. Dann, Ende März, Anfang April sank der Stern (Weiterlesen …)
Männer gewinnen gegen Frauen – na und?
von Oliver FritschDer DFB hat nun beschlossen, gemischte Testspiele zu erlauben, weil ein grundsätzliches Verbot von Fußballspielen zwischen Frauen und Männern „nicht mehr zeitgemäß“ sei. In der Tat, ein unnötiges Verbot war das! Aber wer soll und will sich jetzt eigentlich mit wem messen?
Meine Erfahrung mit Testspielen zwischen Frauen und Jungs (waren auch bisher gestattet) fällt einseitig aus. Sehr einseitig. Sehr, sehr einseitig. Unsere A-Jugend, keine schlechte, aber auch nicht unter den dreißig besten Mannschaften Hessens, hat jüngst den Tabellenführer einer Frauen-Landesliga, also ein Team, das im nächsten Jahr in der 3. Liga spielen wird, 25:0 geschlagen. Meine ehemalige männliche B-Jugend (also etwa 15-Jährige) bezwang einmal die hessische Frauen-U21, darunter Spielerinnen mit Bundesliga- und Uefa-Cup-Erfahrung, mit 8:3. Gegen welches Herrenteam – gemeint ist: aus welcher Liga? – die Frauen-Nationalelf wohl gewinnen würde?
Die sportlichen Vorteile des männlichen Geschlechts liegen hauptsächlich in der Schnelligkeit, das meint auch Handlungsschnelligkeit. Aber Frauen müssen ja nicht gegen Männer bestehen; daher sind solche Vergleiche eigentlich unnötig. Ebenso wie die umgekehrte Behauptung, die in Deutschland (ich glaube) zu Erich Ribbecks Zeiten fast konsenshaft wurde, wonach Frauen technisch besser und damit ansehnlicher spielten. Fraglich, denn wenn alles langsamer abläuft – Zweikampf, Ballkontrolle, Passspiel -, fallen einem natürlich die Bewegungsabläufe leichter. Rasanz und Tempo sind im Sport und in der Sportwissenschaft nun mal auch technische Faktoren.
Männer gewinnen gegen Frauen– mit dieser These kann man keine Fußballerin provozieren. Gestus und Attitüden des Frauenfußballs sind ohnehin dem Männerfußball entlehnt. Ich hab mal eine Bezirksauswahl der Mädchen betreut, zum Training kamen sie in Trikots von Rosicky, Elber und Balakov – und nicht von Prinz, Jones und Neid. Und normalerweise wissen auch die meisten Spielführerinnen von Frauen-Teams, wo im Sportheim die Kiste Bier steht. Das Kaffeeservice, das der DFB 1989 der Frauennationalelf für den ersten Europameistertitel als Prämie überreichte, war vermutlich doch nicht so zielgruppengerecht wie erhofft.
Fußballerinnen scheren sich im allgemeinen nicht um die Ge- und Verbote politischer Korrektheit; das erkennt man schon an der Sprache. Haben sich an Universitäten die sprachlich gerechten, aber grammatisch heiklen „Studierenden“ durchgesetzt, sind dem Frauenfußball die „Mannschaft“, der „Letzte Mann“, und der „Manndecker“ erhalten geblieben; mit Vokabeln wie Frauschaft, Letzte Frau, und Fraudeckerin würde man sich vor Fußballerinnen wohl blamieren. Selbst die größte Diskriminierung, eigentlich eine gut gemeinte Maßnahme, nehmen sie hin: die Regel „Frauentore zählen doppelt“, beliebt bei Hobby- und Uni-Turnieren mit gemischten Mannschaften. Übrigens, die abfälligsten Bemerkungen über Frauenfußball hab ich aus weiblichem Mund gehört. Doch sie entstammen hessischer Mundart und sind nur schwer zu übersetzen, weswegen ich hier auf die Wiedergabe verzichte.
#14 meiner Kolumne auf rund-magazin.de
Nichts für kleine Jungs
„Das sieht aus wie 74“
von René MartensWer in Büchern, in denen Fußball nur am Rande vorkommt, gern nach entsprechenden „Stellen“ stöbert, dem erleichtert Wilhelm Genazino mit seinem aktuellem Roman „Mittelmäßiges Heimweh“ die Forschungsarbeit: Der Fußball spielt hier nur auf den ersten vier Seiten eine Rolle. Aus den geschilderten Umständen geht hervor, dass der Roman zu der Zeit spielt, als die EM 2004 stattfindet. Der Ich-Erzähler gerät in eine ihm vage bekannte Kneipe namens Sportlereck, gleich wird hier das für die deutsche Mannschaft entscheidende Gruppenspiel gegen Tschechien gezeigt (Weiterlesen …)
Ãœberdosierter Meyer
von Oliver FritschHans Meyer lese ich lieber, als dass ich ihn sehe und höre. Keine Frage, der Mann hat was zu sagen und ist wohl einer der besten deutschen Trainer. Es ist eine Schande, dass das erst jetzt, kurz vor (oder sogar nach) seine Rente, den Experten auffällt. Was er der SZ über sein Training und seinen Führungsstil gestern anvertraut hat, ist wieder mal lesenswert. Deutlich zu vernehmen ist aber auch in der Druckversion seiner Worte der Zungenschlag, der uns aus TV-Interviews bekannt ist. So sehr ich es schätze, dass mal jemand die meist dummen Fragen der Fernsehreporter ins Leere laufen lässt, manchmal überdosiert Meyer seine Gehen-Sie-davon-aus-Ironie zur Eitelkeit.
Hans Meyer – MyVideo
Meyer nach dem Finaleinzug im DFB-Pokal mit Waldemar Hartmann im ARD-Studio
Schwämmchen und Kämmchen
von Oliver FritschVon Tina Turner soll die Aussage stammen, dass sie vor Männern keinen Respekt habe, in deren Badezimmer sie mehr Kosmetikartikel findet als in ihrem. So mancher Fußballer würde durch ihr Raster fallen. Denn es gibt wohl keine Kreisklassenmannschaft, die nicht mindestens einen solchen Adonis in ihrer Mitte hat. Was der an Ölen und Fetten, Cremes und Sprays, Schwämmchen und Kämmchen aus seinem Beauty Case packt, würde Frau Turner glatt in die Arme ihres Ex-Mannes Ike treiben.
Besonders ihrem Haar widmen viele Fußballer ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Peinlichkeiten der Verbindung Fußballer und Frisur, besonders was die 80er Jahre betrifft, sind ausgelotet, alle Witze über das Rudivöllerhafte, das Oberligaeske erzählt. Damals soll es in Hessen einen Frisör gegeben haben, der den Schnitt „Modell TuSpo Ziegenhain“ im Programm führte: eine Kickermatte mit Nackenspoiler. Heute übrigens in Mode: Strähnchen Marke Dorfdisco.
Daher kommen wir an dieser Stelle um ein jüngeres Phänomen nicht herum: die Intimrasur. Ja, richtig gelesen, wir packen die heißen Eisen an. Wer tut sowas? Eine Generationenfrage. Und eine Sache des Milieus. Also, eher junge Städter. Im Trend: Iros, Pfeile, und Rauten. Wie bitte, liebe Leser, Sie erfahren hier Dinge, nach denen Sie nie gefragt haben? Aber wir reden doch über eine uralte Kulturtechnik des Menschen. Schon die alten Ägypter trimmten sich, und zwar mit Hilfe von Eselsfett und Fledermausblut. Ist doch schön, wenn sich die jungen Leute auf antike Traditionen berufen.
Zurück zum Kopf: Früher, als die Trikots noch enger, die Hosen noch kürzer und die Haare noch länger waren, war in der Minderheit, wer ohne Föhn zum Training erschien. Manche Vereine sahen sich veranlasst, mehr Steckdosen in ihre Umkleiden (und in Spiegelnähe) zu verlegen, damit sich der Kampf um die Plätze in Grenzen hielt. Es gab Spieler, die sich in der Halbzeit gefönt haben. Ein anderer hat sich beim elektrischen Haartrocknen immer auf die Sitzbank gelegt, damit, in der Waagerechten, die Tolle besser fiel. Die wenigen, die heute noch einen Föhn besitzen, brauchen ihn meist nicht mehr. Auch der Schnauzbart ist, wir alle kennen die Abgesänge, fast ausgestorben; man findet ihn, wie den Föhn, gelegentlich noch bei den Alten Herren. Allerdings sieht man denjenigen, die ihren gesellschaftlich arg diskreditierten Schnäuzer abrasiert haben, irgendwie den Phantomschmerz an. Ihnen fehlt was im Gesicht.
Fußballer und Haare, wie gesagt, eine alte Geschichte. Doch ich hätte nie gedacht, dass ich folgenden Satz mal in einer Kabine hören würde: „Mike, kannst Du mir nächste Woche mal die Haare schneiden? Sind auch nur die Spitzen.“ Ich hoffe, ich werde niemals die SMS erhalten: „Trainer, kann am Sonntag nicht spielen! Bin verletzt: Spliss.“
#7 meiner Kolumne auf rund-magazin.de
Jürgen und Chelsea – ja, das passt!
von Oliver FritschWollte gerade darüber schreiben, wie unwahrscheinlich es klingt, dass Jürgen Klinsmann Trainer in Chelsea werden könnte; auch der England-Experte Raphael Honigstein hat mir in einer Mail auf Anfrage geschrieben: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Klinsmann das macht. Ohne seinen Stab, ohne klare Machtstrukturen im Verein und weit weg von Kalifornien.“ Und dann kommt auch schon die Meldung über die Agenturen, dass Klinsmann abgesagt habe. Die Sun hat es heute morgen berichtet. Da hat sich Franz Beckenbauer mal wieder als echter Kenner der Szene erwiesen: „Jürgen und Chelsea – ja, das passt!“, hat er heute bei Springer gemutmaßt. Wie schon erwähnt, meist trifft das Gegenteil dessen ein, was er voraussagt.
Wird José Moruinho also doch Trainer von Chelsea bleiben? Könnte natürlich davon abhängen, wie die Partien gegen Manchester United im nächsten Monat ausgehen werden. In der Premier League spielen sie am 9. Mai um Platz 1 (Chelsea only three behind), im FA-Cup-Finale (19. Mai) kreuzen die beiden Teams ebenfalls die Klingen. Das Champions-League-Finale (22. Mai) in Athen könnte eine mögliche Klimax dieses Duells sein, in dem die beiden Groß-Egos Mourinho und Alex Ferguson ihre Auftritte haben werden, sicher auch verbal. Auf Youtube kann man einige famose Mourinho-Parodien sehen und – vielmehr – hören, die unser Bild vom Ich-Ich-Ich-Menschen Mourinho bestätigen, aber auch das schwierige Arbeiten unter Roman Abramowitsch. Hier die zwei schönsten:
Shaddup your face
José and his amazing technicolour overcoat (so lässt sich Andrew Loyd Webber endlich mal aushalten)
Von Ferguson gibts immerhin einen Werbespot, der den berüchtigten „Ferguson-Föhn“ aufs Korn nimmt, der darauf zurückgeht, dass er seine Spieler derart aus der Nähe anschreien soll, dass ihre Haare vom Luftzug trocknen:
Seltsame Mischung aus Positivismus und Fußballpatriotismus
von Detlev ClaussenWas für ein Abend! Der Ball lief gut, der Gegner auch. Es bedurfte nicht einmal besonderer Bremer Wetterkapriolen wie undurchdringlichen Nebel oder sturmgepeitschten Dauerregens, um ein neues europäisches „Wunder an der Weser“ möglich zu machen. Um aber nicht gleich des Fußballromantizismus verdächtigt zu werden: Der 4:1-Sieg über Alkmaar muss wie ein Wunder erscheinen, wenn man die Pressekommentare zum Hinspiel vor Augen hat („als Kombinationsfußballer getarnte Biedermänner“). Haben Kritiker dieser Art, die zweifellos Ahnung vom Fußball haben, nur nicht richtig hingeschaut, oder unterliegen sie einfach nur einer deformation professionelle, an die an dieser Stelle einmal kurz erinnert werden sollte?
Die zwei Tore von Miroslav Klose ließen die Unsitte der Minutenzählerei kurz in aller Lächerlichkeit erscheinen. Die Einfallslosigkeit der Berichterstattung wird dem Leser als „Objektivität“ untergejubelt. Statt selbst nach einer Begründung zu suchen, wird dann der Spieler Spieltag für Spieltag aggressiv befragt, um das Unerklärliche zu erklären. Er steht dann entweder als realitätsleugnender Volltrottel da oder als einer, der die Verantwortung von sich schiebt. Interviews dieser Art tragen nicht zur Aufklärung bei. Klose hat nach dem Spiel darauf verzichtet, sich nun glücklich lächelnd vor die Kamera zu stellen, um der Jungfrau Maria für die Hilfe zu danken, dass er doch noch mit Fuß und Kopf das Tor treffen kann; denn der Positivismus der torlosen Minuten wird durch den Glauben an die irrationalen Mächte im Fußball komplettiert. Der „Torjäger“ selbst ist ein Tribut an die Wahrnehmungsverzerrung des Fußballspiels durch die Medien, die aber realitätsbestimmend werden kann. Wird das Spiel auf den Goalgetter ausgerichtet, brauchen Zuschauer und Medien nur noch auf ihn zu achten – allerdings auch die gegnerische Abwehr. Der Torjäger wird in den Himmel gehoben; der Torjäger, der nicht trifft, in die Hölle verdammt. Der spielende Mittelstürmer vor allem in Deutschland wird von den Medien unterschätzt; die meisten konnten es nie verstehen, warum Bayern-Star Roy Makaay in der holländischen Auswahl nie als Nummer eins gehandelt wurde. Die Scorer-Liste, die kaum in einer deutschen Tageszeitung veröffentlicht wird, sagt viel mehr aus als die Torjägerliste; denn sie klärt mit Zahlen über das Sturmspiel auf. Findet der assist mehr Anerkennung, würde auch mannschaftsdienlicher gespielt. Das unsinnige Draufknallen aus aussichtsloser Position („Den muss er selber machen“) lässt sich Spieltag für Spieltag beobachten, aber diesem Typ des Chancentods wird viel weniger Beachtung geschenkt als den „torlosen Minuten“. Klose liefert ein sehr gutes Beispiel für einen spielenden Angreifer; er sammelte weiter Scorer-Punkte, als er längere Zeit nicht selber traf – auch schon in der torreichen Zeit Werders im Goldenen Oktober 2006. Die Minutenzählerei ist nicht nur einfallslos, sondern hat schädliche Wirkung für die Spielkultur.
Der Donnerstag brachte nicht nur die Kloses Wiederauferstehung, sondern auch die des Bremer Kombinationsfußballs. Als Erklärung seien einige Hinweise angeboten: Die k.o.-Runde eines europäischen Pokals prämiert nach einem 0:0 im Hinspiel das Erzielen eines Tores. Beide Mannschaften gaben ihr bestes, um jeweils ein weiteres Tor zu erzielen. Selbst nach dem 3:1 konnte Bremen sich nicht sicher sein, die nächste Runde schon erreicht zu haben, während Alkmaar immer mehr riskieren musste, um noch im Rennen zu bleiben. Beide Mannschaften suchten ihr Heil im Kombinationsfußball; deswegen kam auch die Erinnerung an das 1:1 gegen Barcelona in der Gruppenphase der Champions League auf, die Werders Goldenen Oktober eingeleitet hatte. Ein wesentlicher Aspekt für den Erfolg in dem Kräftevergleich mit Alkmaar auf Augenhöhe ist in Tim Borowskis Rückkehr zu sehen. Im Herbst 2006 hatte er noch nicht wieder seine WM-Form erreicht; jetzt gab er Werder ein Übergewicht an Aggressivität nach vorne, die eben die Spitzen besser zum Einsatz brachte als je zuvor. Durch seine eigne Gefährlichkeit schuf er Diego endlich wieder die Freiräume, die ihm durch gnadelose Defensivkicker wie Cottbus geraubt wurden. Statt mit den üblichen vieren hatte Diego es diesmal meist nur mit zweien zu tun – ein Abend voller Herrlichkeit. Klose bekam nun die Bälle, die er braucht, in einer anderen Anzahl und Qualität. Ende der torlosen Minuten. Nicht Klose hat sich verändert, sondern ein verändertes Spiel ermöglichte auch Klose einen entscheidenden Schub. Genauso wichtig: Tor Nummer 4. Diego schloss eine One-touch-Staffette ab, die im Bundesligaalltag enger Defensivtaktik nicht naheliegt. Hans Meyer weiß eben, was er tun muss, um nicht haushoch in Bremen zu verlieren; sondern die Bremer wie „Biedermänner“ aussehen zu lassen.
Neben der Torjägerfixierung ist eine der Hauptquellen verzerrter Wahrnehmung der Fußballpatriotismus. Im rückwirkenden Vergleich der internationalen Ergebnisse der letzten Woche wird dies deutlich: drei englische Vereine im CL-Halbfinale, drei spanische im Uefa-Cup-Halbfinale, dazu Milan und Werder. Fehlerquelle Nummer eins: Die Vereine repräsentieren nicht die Nationen, sondern die jeweiligen Fußballgesellschaften mit ihren spezifischen Fußballkulturen: Premier League, Serie A, Primera Division, Bundesliga. Die Ligen sind sicher durch ihre finanziellen Möglichkeiten mitbestimmt, aber keineswegs ist der Vulgärökonomismus vom Geld, das Tore schießt, gerechtfertigt. Hier wird Empirie missbraucht, um das Vorurteil zu legitimieren. Über die längste Zeit gesehen, sind trotz aller ökonomischen ups and downs die englischen Clubmannschaften die erfolgreichsten in den europäischen Wettbewerben. Die englische Fußballgesellschaft hat sich als die flexibelste, multikulturellste und internationalste erwiesen trotz einer erschreckend chauvinistischen medialen Fußballöffentlichkeit erwiesen. In der Premier League wird nicht nur ein vielfältiger Fußball gespielt, mehrere Topvereine haben sich für eine internationale Spielkultur geöffnet: Trainernamen wie Benitez, Wenger, Houllier sprechen für den Premier-League-Fußball, von dem die Kontinentaleuropäer nur die europäische Spitze sehen. Kommt es zum Nationalmannschaftsfußball, erschreckt die Gnadenlosigkeit, mit der die einheimischen Stars niedergemacht werden, von denen die Medien die gleichen Erfolge erwarten wie im Vereinsfußball. Die Differenz zwischen Clubs und Nationen wird von den englischen Fußballpatrioten strukturell übersehen.
In Deutschland gilt diese fußballpatriotische Identifikation vor allem mit dem FC Bayern. Der enttäuschte Patriotismus kippt nach jedem Ausscheiden in der Champions League um, wird dann mit dem Kleinreden der nationalen Konkurrenz beantwortet. International wird der Erfolg der anderen mit dem größeren Geld begründet, für eignen nationalen Misserfolg gibt es dann gar keine Gründe mehr. Das macht die gegenwärtige Ratlosigkeit aus. Die Abwertung des Uefa-Cups aus Bayernsicht gehört zum strukturellen Größenwahn, mit dem man auch keine Champions League gewinnen kann. Viele große Mannschaften haben sich im Uefa-Cup ihre ersten internationalen Sporen verdient, bevor sie in der Champions League reüssierten. Selbst den Bayern hat der von Otto Rehhagel (aus Beckenbauers Sicht kein Erfolg) vorbereitete Triumph 1996 gut getan, bevor sie zum letzten Mal die Champions League gewannen. Der Uefa-Cup ist nämlich keineswegs ein „Cup der Verlierer“ (Beckenbauer), sondern eine europäische Hochschule des Fußballs, die nur sehr schwer erfolgreich zu absolvieren ist. Der ganze Wettbewerb ist viel weniger vorausberechenbar als die Champions League. Durch die vielen Spiele ist er sehr anstrengend geworden, stellt hohe Ansprüche an die Ausgeglichenheit der Kader, die auch für die Präsenz vieler spanischer Mannschaften in der Endphase spricht, die mit großen Kadern arbeiten. Die Substanz dieser spanischen Mannschaften besteht zu einem sehr soliden Teil aus der Massenbasis des lateinamerikanischen Fußballs, der aus den fragwürdigen Extraprofiten der spanischen Bauindustrie bezahlt wird. Weder zu den englischen noch den spanischen Finanzierungstechniken sollte man jemals in Konkurrenz treten wollen. Die Serie A taumelt schon am Rande des Abgrunds; die Herrlichkeit kann ganz schnell zu Ende sein. Die Extraökonomie des Fußballs garantiert keine nachhaltigen Erfolge. Leeds und Dortmund lassen grüßen. Über den Uefa-Cup aber lernt man auch Mannschaften und Spieler kennen, die der Humus des Champions-League-Fußballs sind. Wenn Bayern wirklich eine neue Mannschaft aufbauen wollte, dann wäre die Teilnahme am Uefa-Cup 2007 keine Katastrophe, sondern ein Lernprogramm; aber das Wortgerassel aus München deutet in eine ganze falsche Richtung: das Festgeldkonto plündern, um ein paar Stars zu holen. Das macht keine Mannschaft aus.
Auch im Spitzenfußball geht es nicht nur um Clubs, sondern auch um Mannschaften, die vergängliche Gebilde sind. Der Zyklus, der an die Spitze führt, an der sich keiner mehr lange halten kann, ist langwierig; der Aufbau einer Topmannschaft dauert wenigstens drei Jahre und in starken Ligen wird sie vielleicht nicht einmal Meister. Wenn man sich nicht schon den mühsamen Weg von Chelsea anschauen will, dann sehe man auf Alex Ferguson und sein ManU, die dieses Jahr zum Favoriten der Champions League avanciert sind. Wie viel Geld, Mühe und Know How steckt dahinter? und die Bayernführer wollen nur mal kurz in die Kasse greifen … Für diejenigen, die hinter den Top Ten der Ökonomie (zu denen Bayern ja gehört) kommen, ist die Sache ungleich komplizierter. Bauen sie ein gute Mannschaft auf, der sogar eine nationale Meisterschaft gelingt, drohen ihnen die Stars weggekauft zu werden, bevor der ganz große internationale Erfolg kommt. Porto hat es bis zum Champions-League-Sieg geschafft, bevor sie ausgeraubt wurden, Lyon trotz großartiger Kontinuität noch nicht einmal bis dahin. Als Konsequenz der diesjährigen europäischen Erfahrung von Werder und seinem wunderbaren Abend gegen Alkmaar lässt sich sagen: Erfreuen wir uns an Diego, Klose und Frings, solange sie in dieser Mannschaft spielen; aber erwartet nicht mehr von Werder Bremen als ihr von Porto, Benfica und Sevilla erwartet. Mit diesen Teams seit drei Jahren auf einem Level zusammen zu spielen, ist doch das wirkliche Wunder von der Weser.
Mehr ausländische Trainer
von Oliver FritschAuch wenn sie nun gegen den AC Mailand ausgeschieden sind und die Presse kein gutes Haar an ihnen lässt – Bayern München ist der einzige Verein, dem es dauerhaft gelingt, die deutschen Fahne in der Champions League hochzuhalten. Einzig Bayer Leverkusen, der letzte deutsche Finalteilnehmer (2002), hat Europas Fußball-Liebhaber mit erfolg- und torreichem Spiel begeistert. Nur von Dauer war es nicht, im Jahr drauf verloren sie alle sechs Spiele der Zwischenrunde und stiegen in der Bundesliga fast ab.
Auch für den Hamburger SV scheint die Champions League ein Fluch zu sein – oder das, was die NZZ eine Gummiwand nennt: Wer zu schnell nach oben kommt, prallt ab. 2000/01 und 2006/07 zahlten die Hamburger die Teilnahme an der Champions League mit Stürzen in der Bundesliga und mit zwei beliebten Trainern, Frank Pagelsdorf und Thomas Doll. Doch vor sechs Jahren gab es wenigstens noch erinnernswerte Erfolge, etwa das 4:4 gegen und das 3:1 in Turin. HSV-Fans, die sich hingegen letzte Saison auf das Messen mit Arsenal und Co gefreut hatten, mussten in diesem Jahr froh sein, dass es endlich vorbei war, damit sich die Mannschaft auf die Kämpfe gegen Bochum und Wolfsburg konzentrieren kann. Nach vier von sechs Gruppenspielen, also zum frühestmöglichen Zeitpunkt, war der HSV bereits ausgeschieden. (Den Minusrekord für das schwächste Abschneiden einer deutschen Mannschaft in der Vorrunde behielt allerdings ausgerechnet der FC Bayern; wär ja auch noch schöner, wenn sich der große FCB vom HSV einen Rekord wegschnappen lassen würde.)
Und ob Bremen, Lieblingsschüler und Hoffnungsträger aller deutschen Romantiker, sich die – sehr vorsichtige – Kritik an der Taktik nach der Niederlage in Barcelona nicht besser zu Herzen genommen hätte, statt sie empört und dünnhäutig zurückzuweisen? In dieser Saison haben einige Teams gezeigt, wie man beim Champions-League-Sieger von 2006 gewinnt, der übrigens eine Station nach Bremen aussteigen musste.
So gern man den reichen, großspurigen Bayern mal eine champions-league-freie Saison gönnen würde – sie kann man über die Grenze schicken. Die Vorrunde bestehen sie so gut wie immer, auch in der Endrunde muss man sie auf der Rechnung haben; im Rückspiel gegen Real Madrid im Februar zeigten sie eine sehr starke Leistung. Ihnen gelingt es zudem immer wieder, aus wenig viel zu machen. So wie im Hinspiel des Viertelfinals, als das Mailänder Mittelfeld in jeweils mehr als der Hälfte beider Halbzeiten taktisch und technisch derart überlegen war, dass man aus bayerischer Sicht zwischenzeitlich ein 1:4, wie vor einem Jahr, hätte unterschreiben müssen. Das Rückspiel verlief ähnlich einseitig; doch völlig chancenlos, wie viele meinen, waren die Bayern auch dieses mal nicht. Allerdings hatte Mailand (nicht nur, aber in erster Linie) die besseren Innenverteidiger: Alessandro Nesta und Paolo Maldini haben gezeigt, wie man modern verteidigt, also die Räume nach vorne engmacht, und dennoch nach hinten sichert. Nesta kann man gar nicht hoch genug loben. So oft die Bayern langen Bälle gespielt haben, so oft sie geflankt haben – Nesta wusste immer vorher, wo er den Ball erwarten kann. Liebe Bayern, kauft keine italienischen Stürmer! Kauft italienische Abwehrspieler!
Deutsche Vereine brauchen nicht auf das Geld zu verweisen; man kann auch mit kleinerer Kasse für Aufsehen sorgen. Vielleicht sollten sie es mal mit ausländischen Trainern versuchen, sie scheinen besser geschult zu sein. Liverpool hat mit dem Franzosen Gerard Houllier und dem Spanier Rafael Benitez gegen anfänglichen Widerstand blendende Erfahrung gemacht, Barcelona mit dem Holländer Frank Rijkaard, Arsenal mit dem Franzosen Arsene Wenger, Chelsea setzt auf den Portugiesen Jose Mourinho.
#13 meiner Kolumne auf rund-magazin.de
Motiviationslegenden
von Günter ClobesNur mal angenommen, du bist Fan eines kleinen Vereins der Bundesliga, im Moment damit wahrscheinlich von einem der 12, die um den Abstieg kämpfen. Mal ehrlich: Wie viele Faktoren gibt es da, die dir vor dem nächsten Spieltag Sorgen bereiten, dich kaum schlafen lassen und beim Gedanken daran zu Schweißausbrüchen führen? Drei? Vier? Oder nur ein einziger (Weiterlesen …)
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