Das tägliche neue Wesen des FC Bayern
von Jürgen KaubeNichts ist so alt wie die Zeitung vom Vortag. Als der FC Bayern gegen Real Madrid gewonnen hatte, da hieß es, die verbleibenden Teams in der Champions League seien ausgeglichener denn je. Und: Bayern mache große Fortschritte bei der Wiederauferstehung. Das war am 9. März. Dann kam das Spiel gegen Bremen. Man habe einen echten Meisterschaftsanwärter gesehen, was sich von anderen Teams an der Spitze nicht sagen lasse. Bayern habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hitzfeld, genau der richtige Mann. Das war am 13. März. Dann, Ende März, Anfang April sank der Stern. Und nach dem 12. April wußten es alle: Die Bayern haben das falsche Personal. „Es stellt sich die Frage, ob Hitzfeld die glücklichste Trainerlösung war“. Satt, bar spielerischer Klasse, Stillstand, das Ende einer kleinen Mannschaft.
An jeder dieser Diagnosen mag etwas dran sein. Aber in der Abfolge erstaunen sie doch. Frage: Liegt es am Fußball, daß man nichts Verläßliches über eine Mannschaft sagen kann? Oder liegt es an der Neigung von Kommentatoren, der Regel „Das letzte Spiel war immer das signifikante“ zu folgen? Traut man sich einfach nicht, nach einem klaren Sieg zu sagen: „Die Mannschaft taugt trotzdem nichts“? Oder nach einer Niederlage, bei der sie nicht gut ausgesehen hat: „Lassen wir uns davon nicht täuschen“? Mit anderen Worten: Gibt es keine von der soeben abgelieferten Leistung unabhängigen Kriterien für die Qualität einer Mannschaft? Die triviale Antwort wäre: Der Tabellenstand. Oder: Der Abstand zur Spitze der Tabelle. Doch selbst anhand dieser Gesichtspunkte werden beispielsweise im Fall Bremens in dieser Saison, bei zumeist zweitem Platz (nie mehr als sieben Punkte Rückstand) und ein paarmal erstem Platz (meist punktgleich mit dem Zweiten, nie mehr als drei Punkte Vorsprung), immer wieder andere Urteile über den grundsätzlichen Zustand der Mannschaft gefällt.
Es scheint, als sähen sich die Kommentatoren dazu gezwungen, ständig Mitteilungen über das Wesen einer Mannschaft zu machen, ohne dafür Anhaltspunkte zu haben, die dem Zufall entzogen wären. Gewinnt Bayern das überlegene Spiel gegen Bremen, geht der Fallrückzieher von Preuß in Frankfurt übers und (Sie haben völlig Recht, Herr Hansknecht, danke für den Hinweis) ein eigener Schuß ins Tor, dann wären sie jetzt punktgleich mit Stuttgart und lägen vier Punkte hinter Schalke. Wie dann wohl über sie geschrieben würde? Gewiß, sie haben gegen Bremen nicht gewonnen, und der Fallrückzieher schlug ein. Aber das lag wohl nicht am momentanen Wesen des FC Bayern.
Cantonas Erbe schrieb am 26. April 2007:
Danke, danke für diese wahren Worte. Bei der regelmäßigen Lektüre von indirekter-freistoss.de drängt sich nur eines auf: die Meinungen der Kommentatoren sind ähnlich unstet wie das berühmte Fähnlein im Wind – Hochjubeln und Bashing kann jeder, dazu brauche ich keine „Experten“meinung, das hat Bild-Niveau.
Cantonas Erbe schrieb am 26. April 2007:
Nachtrag mit schönem Beispiel:
Nach dem guten Bayern-Auftritt in Mailand war der AC Milan eine langsame Rentnertruppe, ein paar Wochen schreiben dieselben Herren von einem perfekt gestaffelten Ensemble mit fließender Spielweise. Und die Flaschen aus Madrid, die die Bayern aus dem Pokal befördert haben, greifen nach der spanischen Meisterschaft.
MehmetScholl schrieb am 26. April 2007:
Ich ergänze den hervorragenden Bericht um zwei weitere Punkte, die die Bayern noch näher an Schalke herangebracht hätten:
beim 0:0 zuhause gegen Nürnberg schoss Makaay aus gefühlten 80 zentimetern am leeren tor vorbei.
keine ausrede für eine grauenhafte bayern-saison, aber ein weiterer beleg für die zufälligkeit von ergebnissen und tabellenständen.
Johannes_Hansknecht schrieb am 26. April 2007:
Hallo Herr Kaube,
zu Ihrer Was-wäre-wenn-Rechnung: Sie unterstellen wohl einen Fehlschuß von Preuß UND das Siegtor der Bayern. Dann hätten sie in der Tat 5 Punkte mehr. Zieht man nur das Preußtor ab, bleibt ein Unentschieden stehen. Und Bayern hätte insgesamt nur 3 Punkte und nicht 5.
Im Vorwort zu „Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann“ schreibt Ottmar Hitzfeld: „Warum das bei uns so wenig entwickelt ist, weiß ich nicht. Vielleicht hängt es mit der deutschen Mentalität zusammen. Damit, daß hierzulande nur das Gewinnen zählt.“ Was ist so wenig entwickelt? Die Diskussion um Spieltaktik in der deutschen Fußball-Berichterstattung, die teilweise dramatisch zu kurz kommt. „Nur das Gewinnen zählt.“ Bayern gewinnt nicht mehr bzw. nicht mehr so viele Spiele. Das reicht dann, um kübelweise Häme über ihnen auszuschütten. Nüchterne Erklärungen zu einzelnen Spielen einerseits und die Entwicklung einzelner Teams (und Spieler) über einen längeren Zeitraum andererseits – überwiegend Fehlanzeige.
Und dieselben Journalisten, die jetzt über die Bayern herfallen, werden sich ihnen wieder vor die Füße und in die Hintern werfen, wenn sie in der Zukunft wieder ein paar Spiel mehr gewinnen.
Wie reagiert man als halbwegs kritischer Beobachter der Berichterstatter/Berichterstattung? Mit gelangweiltem Schulterzucken.
Tobias S schrieb am 26. April 2007:
Mir erscheint es viel eher so, dass viele Reporter und Kommentatoren schon lange auf die Gelegenheit gewartet haben um die Bayern mal so richtig für ihre Spielweise zu kritisieren. Vorher sprach dagegen aber der Erfolg der Mannschaft. Wenn ein Reporter in einem Interview nach einem glanzlosen Bayernsieg eine Frage in die Richtung stellte, gab es einen bösen Blick von Uli Höneß und dann war Ruhe. Jetzt können die Verantwortlichen und Spieler nicht mehr auf die guten Ergebnisse verweisen und die ganze angesammelte Kritik und Häme prasselt auf sei ein. Anders kann ich mir nicht erklären, warum es in den letzten Wochen kaum ein anderes Thema in den deutschen Fußballmedien gab.
Die Forderung nach mehr Rückgrad bei Sportjournalisten ist berechtigt und wichtig. Leider wird sie wohl nur von wenigen beherzigt werden.
PowerErnst schrieb am 27. April 2007:
Bravo für diesen Beitrag. Die Berichterstattung über den Fußball wird immer populistischer und flacher. Die Kommentatoren kritisieren heutzutage gern die Kurzlebigkeit und Schnelllebigkeit in der Branche. Da wird zumeist die nachhaltige Planung vermisst. In Wahrheit sind aber nicht zuletzt sie selbst für diesen Missstand mitverantwortlich. Denn sie erzeugen bei kurzfristigem Ausbleiben des Erfolges den Druck, der zu Panik und Aktionismus in der Vereinen führt. Bestes Beispiel war zuletzt Hertha BSC. Diese Mannschaft liegt angesichts ihres Potenzials und Marktwerts immer noch deutlich über ihren Möglichkeiten. Trotzdem wird in den Medien aufgrund einer Negativserie alles in Frage gestellt und am Ende der Trainer entlassen.
Oberflächliche, stimmungsmachende Berichterstattung und kurzsichtiges Vereinsmanagement bilden einen Teufelskreis.
Einzig zu kritisieren ist an Ihrem Beitrag allerdings das Beispiel, das Sie gewählt haben, um ihre Meinung zu verdeutlichen. Der FC Bayern ist das denkbar schlechteste aller Beispiele. Denn über ihn habe ich in diesem Jahr (zurecht) fast nichts Positives gelesen. Insoweit hätte es weitaus bessere Exempel gegeben.
schalkoholiker schrieb am 27. April 2007:
Es ist eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen der trainierenden und der schreibenden (oder anderweitig kommentierenden) Zunft zu erkennen: Ein wirklich fundiertes Konzept, das sich erkennbar und überlegt über einen längeren Zeitraum entwickelt, ist leider nur sehr selten zu erkennen. Stattdessen erfolgen die sogenannten Strategiewechsel (konzeptlose Auswechslungen etc.) eines Großteils der Trainergilde ebenso reflexartig wie die unsägliche Meinungskundgebung so mancher Journalisten. Ausnahmen gibt es zum Glück auch in dieser Regel (s. Arsene Wenger, Alex Ferguson oder auch Christoph Biermann). Standard ist aber leider immer noch der neururersche Ansatz unter den Sportjournalisten.
Um bei den Fakten zu bleiben: Schalke tritt seit Monaten auf der Stelle – und die Stelle heißt Platz 1.
Ylem schrieb am 27. April 2007:
„Schalke tritt seit Monaten auf der Stelle – und die Stelle heißt Platz 1.“ Hauptsache dieser Zustand dauert maximal bis 17:14h am 19 Mai 2007 an :))))
vabene schrieb am 27. April 2007:
Momentan wird Schalke hoch gelobt und Bremen ist aufgrund der Niederlage gegen Barcelona am Boden.
Ein weiterer Beweis für diesen Artikel wäre wohl eine Niederlage oder ein Unentschieden von Schalke in Bochum und ein Sieg von Bremen am Wochenende.
Dann würden sich wohl die kompletten Sportberichterstatter mal wieder drehen wie das sprichwörtliche Fähnlein im Wind.
Um auf ein Zitat meiner Mutter zuzugreifen: „Warum fragen die Trainer nicht einfach die Leute bei Doppelpass, die Wissen doch alles“… Im Nachhinein ist man eben immer schlauer und um auf den Artikel zurückzukommen zückt hier der Otto-Normal-Reporter sein Standardkochbüchlein:
– man nehme 10 Teile vom vergangenen Spiel
– 5 Teile Vereinsgesamtsituation
– je nach Jahreszeit zwischen 5 und 20 Teile Wechsegerüchte
– dazu eine Prise Skandale
und schon ist er Fertig der Fußballkuchen.
Das bei dieser Zusammenstellung des Rezeptes der Kuchen jede Woche anders schchmeckt ist dabei doch sekundär.
Ylem schrieb am 27. April 2007:
Die Mehrheit der Fußballschreiberlinge ist eben wankelmütig – genauso wie ein großer Teil der „Fans“. Und hat genauso viel Ahnung, nämlich recht wenig. Nichts was eine ordentliche Taserbehandlung (bis 50.000V) nicht vorübergehend beheben könnte.
Oliver Fritsch schrieb am 28. April 2007:
Hab gestern Bochum gegen Schalke auf Arena gekuckt und mußte dabei an Ihren Beitrag denken, Herr Kaube. Was hat der Hansch die Schalker am Ende ausgezählt: „keine Laufbereitschaft, keine Emotion, Resignation, Frustfouls“ usw. Dabei war es ein sehr rasantes, intensives Spiel – und zwar bis zum Ende, und zwar von beiden Seiten. Den Schalkern ist einfach weniger geglückt als sonst, und ihre entscheidenden Spieler hatten nicht ihren besten Tag in der Nähe es gegnerischen Tores. Mangelnden Einsatz kann man der Mannschaft aber nicht vorhalten.