Wie ein „Bild“-Mann einmal etwas dazu lernte
von René MartensNicht einmal im Traum dürften sich all jene, die seit, sagen wir einmal: 1968 die Bild-Zeitung kritisieren, ausgemalt haben, was das Fanzine Der Übersteiger in seiner akuellen Ausgabe veröffentlicht hat. Auf Seite 25 zeigt die Zeitschrift, die Anhängern des FC St. Pauli fünfmal pro Saison herausgeben, ein Foto, einen Redakteur der Bild-Zeitung in einer Jacke mit dem Aufdruck „Div. Thor Steinar“. Das Klamoten-Label Thor Steinar ist verbreitet unter Neonazis und in der Szene des „aktonsbereiten Rechtsxtremismus“, wie es Verfassungsschützer zu formulieren pflegen; die Kleidungsstücke sind insbesondere über einschlägige Läden oder Versandhändler erhältich. Das Foto entstand am 5. März auf einer Pressekonferenz des FC-Aufsichtsrats, die auf dem Gelände des Millerntorstadions stattfand.
Der Name Thor Steinar geht laut vielen Experten auf den Waffen-SS-General Felix Steiner zurück. Das „Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen“ und „die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus“ – um mal aus den „gesellschaftlichen Essentials“ zu zitieren, die in der Satzung der Axel Springer AG verankert sind – war eher nicht im Sinne des Herrn Generals.
Die Klamotten des Labels wirken einerseits martialisch, andererseits aber auch elegant, denn sie sollen als Sports- und Streetwear durchgehen und im Mainstream Anklang finden. An einem Spieltag wäre der Bild-Kollege mit seiner Jacke gar nicht ins Millerntorstadion gekommen, denn hier sind Thor-Steinar-Klamotten verboten. Das gilt teilweise auch in der Bundesliga, etwa bei Hertha BSC und seit Ende April auch bei Werder Bremen. Generell allerdings ist unter den Klubs noch Aufklärungsarbeit vonnöten. Im Stadion von Rot-Weiß Erfurt beispielsweise, wo St. Pauli am Sonntag den Aufstieg in die 2. Liga so gut wie klar machte, sind Thor-Steinar-Klamotten nicht verboten. Die Shirts der beiden Mutanten, die mir vor dem Spiel über den Weg liefen, hatten allerdings nicht den Hauch von Eleganz, sie sahen eher aus wie in Asien gefertigte Raubkopien.
Aus der Unternehmenskommunikationsabteilung von Springer heißt es, der Redakteur mit der ominösen Jacke sei einer Zugehörigkeit zum „rechten Spektrum völlig unverdächtig“ (was auch die Frage aufwirft, wo für den Verlag das „rechte Spektrum“ beginnt). Der Journalist selbst gab zu verstehen, die Jacke sei ein Geschenk gewesen (tja, falsche Freunde gibt es überall), und er habe nicht gewusst, was es mit der Marke auf sich hat. Das muss man glauben – so lange niemand das Gegenteil beweist. Auch Redakteuren von Bild darf man ihre Lernfähigkeit nicht grundsätzlich absprechen.
Als die Jacken-Causa aufkam – bevor Der Ãœbersteiger berichtete, kursierte sie schon in kleineren Kreisen – befand sich der Verein in der Zwickmühle. Sich mit Bild anzulegen, ist problematisch, es musste aber auch ein Zeichen gesetzt werden gegenüber der Fanszene, die beispielsweise 2005 mit dazu beigetragen hatte, dass ein Thor-Steinar-Ware feilbietender Naziklamottenladen 2005 seinen Standort im Stadtteil aufgeben musste. Also nahm sich der Pressesprecher des Klubs den Boulevardkollegen zur Brust („Digger, das geht absolut nicht, beim nächsten Mal fliegst du raus!“). Ein Fan-Verteter sagt, für die Anhänger sei es wichtig gewesen, dass der Bild-Mann vom Verein „einen vor den Koffer bekommen“ habe. Möglicherweise kommt auch noch ein Gespräch zwischen Fan-Aktivisten und Springer-Redakteur zustande.
Lassen wir uns einmal zu Spekulationen hinreißen: Was wäre, wenn der Kollege das heikle Mode-Utensil nicht nur auf einer Pressekonferenz getragen hat, sondern auch – wofür es freilich keinerlei Beweise gibt – auf dem Verlagsgelände? Hätte es im Springer-Haus in Hamburg nicht irgendeinen Mitarbeiter geben müssen, der von Thor Steinar schon mal etwas gehört hat? Schließlich war die Marke in den letzten Jahren immer mal wieder ein Thema in den Medien. 2004 hatte es vor verschiedenen Gerichten der Republik Auseinandersetzungen gegeben um das damalige Thor-Steinar-Logo, weil es zwei Runen enthielt, die von nationalsozialistischen Organisationen genutzt worden waren. Die Firma zog dieses Logo dann zurück. Ende 2006, Anfang 2007 handelte sich ein brandenburgisches Lokalradio Boykottaufrufe von Regionalpolitikern ein, weil es sogenannte Blitzermeldungen von Thor Steinar „präsentieren“ ließ.
Der vermeintliche oder tatsächliche Mode-Lapsus des St.-Pauli-Berichterstatters passt ins Bild, das die Axel Springer AG derzeit abgibt; immer wieder gibt es Ärger rund um die Mitarbeiter. Sei es Alan Posener, Redakteur bei Welt am Sonntag, der in seinem Blog gegen Kai Diekmann stänkerte, seien es Journalisten von Bild, die gegen die Konzernspitze protestieren, weil ihnen die Verlagerung der Redaktion in einen Vorort von Potsdam missfällt.
Eine Übersicht über Presseberichte zu Thor Steinar gibt es hier.
newskick.de schrieb am 21. Mai 2007:
Wie ein “Bildâ€-Mann einmal etwas dazu lernte…
Ein „Bild“-Redakteur in eine Thor Steinar Jacke auf einer St.Pauli Pressekonferenz. Sachen gibts….
newskick.de schrieb am 21. Mai 2007:
Wie ein “Bildâ€-Mann einmal etwas dazu lernte…
Ein „Bild“-Redakteur in einer Thor Steinar Jacke auf einer St.Pauli Pressekonferenz. Sachen gibts….
Bild Redakteur in Thor Steinar Jacke auf St. Pauli Pressekonferenz schrieb am 21. Mai 2007:
[…] Bild Redakteur in Thor Steinar Jacke auf St. Pauli Pressekonferenz Dumm gelaufen, ein Bild Journalist wurde in einer Thor Steinar Jacke auf einer Pressekonferenz des FC Sankt Pauli fotografiert. http://www.direkter-freistoss.de » Wie ein “Bild”-Mann einmal etwas dazu lernte […]
Symbole, Codes und Outfit der extremen Rechten | Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung schrieb am 13. August 2011:
[…] weit diese Kleidung mittlerweile in die Gesellschaft vorgedrungen ist. Zwei Beispiele: Im Mai 2007 erschien ein Journalist der Bild-Zeitung zu einer Pressekonferenz des FC St. Pauli in einer Thor-Ste…. Kurze Zeit später sorgten Fotos für Aufregung, die den Fußballspieler Daniel Bärwolf (damals […]