Muss Ballack auch auf die Bank?
von Oliver FritschNeues über zwei deutsche Nationalspieler in England: 1. Es könnte die Führungsschwäche seines Trainers Avram Grant sein, die Michael Ballack demnächst womöglich zu kurz kommen lässt. Das zumindest ist das Urteil des England-Experten Raphael Honigstein. Grants diplomatische Art gehe so weit, dass er es jedem recht machen wolle, weswegen er die Aufstellung wähle, die den geringsten Konflikt verursache. „Leidtragender der Rochade“, mutmaßt Honigstein in der Süddeutschen Zeitung, „dürfte wie schon gegen Tottenham im verlorenen Ligapokalfinale Michael Ballack sein. Chelseas bester Mann der vergangenen Wochen, wird wohl nur auf der Bank sitzen. Bei dieser merkwürdigen Entscheidung geht Grant seinen gewohnten Weg – den des geringsten Widerstands.“ Über den Rang eines der größten Ballack-Konkurrenten heißt es: „Frank Lampard genießt als englischer Nationalspieler den Schutz der hiesigen Presse, und der Coach ist intelligent genug zu wissen, dass er diesen Kampf nicht gewinnen kann.“
Auf die Kleider-machen-Leute-Nummer fällt Honigstein nicht rein: „Grant trägt seit kurzem gerne schwarze Hemden und Krawatten unter dem dunklen Anzug. Richtig elegant sieht soviel Düsterkeit an dem massigen Mann nicht aus, er übertreibt es ein wenig, ein Psychologe würde sagen: er überkompensiert. Schwarz ist die Farbe der Autorität, Grant aber hat keine. Fremd wirkt er in der eigenen Arbeitskluft. Er trägt sie wie eine Verkleidung.“
Das entscheidende Qualifikationskriterium Grants für den Trainerjob in Chelsea sei, schreibt Honigstein spitzzüngig und skeptisch, dass er sich in seinem Temperament wesentlich von seinem Vorgänger unterscheide: „Roman Abramowitsch hat den befreundeten Israeli auf die Bank gesetzt und damit ein einzigartiges Experiment gewagt: Die Londoner wollen die Champions League mit einem Trainer gewinnen, der sich in erster Linie durch seine Schwäche auszeichnet. José Mourinho war ein kraftprotzender Narziss, der sich nach drei Jahren mit Gott (bzw. Abramowitsch) und dem Rest der Welt verkracht hatte. Der öffentlich eher spröde, im kleinen Kreis aber charmant plaudernde Grant erschien dem Oligarchen als perfekter Gegenentwurf zum Egomanen aus Setúbal.“ Heute spielt Chelsea in der Champions League gegen Olympiakos Piräus. Ob Ballack spielen wird? Sein Tor vom letzten Samstag gegen West Ham United kann sich auf jeden Fall sehen lassen.
Wenig schmeichelhaft hat sich übrigens Ex-Profi und Eintracht-Held Alexander Schur in der Frankfurter Rundschau im Zuge der Kyrgiakos-Gomez-Trash-Talk-Debatte im Rückblick über Ballack geäußert: „Ballack war am schlimmsten. Mit ihm habe ich mich immer beharkt. Ballack erzählt das ganze Spiel über, er ist nur beim Schiri und beschwert sich, er baut Druck auf den Schiri auf. Da drückt man ihm dann halt einen Spruch rein. ,Bist du ein Mädchen? Was laberst du hier rum? Lass‘ es uns auf dem Platz regeln!‘ So was in der Art. Aber Ballack hat das eh nicht gestört, der hat dich permanent zugequatscht. Aber gegen ihn habe ich dennoch gerne gespielt.“
2. Jens Lehmann sitzt nach wie vor auf Arsenals Bank – so weit nichts Neues. Doch wir haben nun den Grund erfahren, der dahinter steckt. Wenigstens ist es im Gegensatz zum Fall Ballack ein sportlicher.
Chris schrieb am 7. März 2008:
Ist es eigentlich sportjournalistische Pflicht eines Korrespondenten, bei einem Aritkel über den englischen Fußball mindestens ein Zitat der englischen Zeitungen zu benutzen? Kaum ein Artikel von Honigstein&Co. kommt ohne den Daily Telegraph, Mirror, Sun aus…
Honigstein schrieb am 7. März 2008:
@Chris. Ja, das steht bei mir im Vetrag. Fuer jedes Zitat gibt es 5 Euro extra.
Der Einfluss der englischen Zeitungen auf den Fussball – genauer gesagt: auf seine Debatten, Trends und Leitkultur – ist auf der Insel weitaus groesser als in Deutschland, in Spanien verhaelt es sich uebrigens aehnlich. Man kan zum Beispiel den Intrigantenstadl beim FC Chelsea nur verstehen, wenn man weiss, welche Spieler ueber den englischen Boulevard Stimmung machen etc etc.
Abgesehen davon: Zitate spiegeln Stimmungen und oeffentliche Meinungen wider, und genau das ist der Job jedes Korrespondenten, voellig egal in welchem Ressort.
Chris schrieb am 10. März 2008:
Ihr schmunzelnder Sarkasmus (5 Euro) führt in die falsche Richtung. Es ging mir vielmehr um eine Debatten-Anregung. Will sagen: Manchmal kommt es mir beim Lesen der betreffenden Berichte wie eine Zweit-Verwertung englischer Presse vor. Da vermisse ich manchmal einen kreativen Ansatz, der sich eben nicht nur aus der vielfältigen Zeitungslandschaft Englands speist. Etwa darüber wie welcher Spieler Stimmung macht.
Ich gebe Ihnen Recht, dass die englischen Zeitungen einen besonderen Einfluss haben. Stimme mit der These über die Korrespondeten jedoch nicht völlig zu. In den Berichten beispielsweise über den italienischen Fußball – etwa einer Birgit Schönau – ist mir dieses Phönomen noch nicht derart aufgefallen. Auch in Berichten deutscher Medien über das Duell Obama vs. Clinton tauchen US-Medien meist nicht mit eigener Bewertung auf.
Chris schrieb am 10. März 2008:
Ihr schmunzelnder Sarkasmus (5 Euro) führt in die falsche Richtung. Es ging mir vielmehr um eine Debatten-Anregung. Will sagen: Manchmal kommt es mir beim Lesen der betreffenden Berichte wie eine Zweit-Verwertung englischer Presse vor. Da vermisse ich manchmal einen kreativen Ansatz, der sich eben nicht nur aus der vielfältigen Zeitungslandschaft Englands speist. Etwa darüber, wie welcher Spieler Stimmung macht.
Ich gebe Ihnen Recht, dass die englischen Zeitungen einen besonderen Einfluss haben. Stimme mit der These über die Korrespondeten jedoch nicht völlig zu. In den Berichten beispielsweise über den italienischen Fußball – etwa einer Birgit Schönau – ist mir dieses Phänomen noch nicht derart aufgefallen. Auch in Berichten deutscher Medien über das Duell Obama vs. Clinton tauchen US-Medien meist nicht mit eigener Bewertung auf.