Wer hat noch Lust auf Olympia?
von Oliver FritschVerlangt man von Sportlern zu viel, wenn man von ihnen klare Meinungen zu China fordert? Die Antwort kann intuitiv nur Ja lauten, denn die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft haben ja auch wenig Bedenken, Handel mit einem Regime zu treiben, das Andersdenkende in Arbeitslager steckt und den Fall Tibet militärisch lösen will. Warum sollte man politisches Rückgrat ausgerechnet von Schwimmern und Ruderinnen erwarten? Zumal die Charta des IOC den Athleten Protest verbietet: „Keine Art der Demonstration oder politischen, religiösen oder rassischen Propaganda“, heißt es dort, „ist in olympischen Einrichtungen, Sportstätten und anderen Bereichen erlaubt.“ Wer den Mund aufmacht, riskiert die Disqualifikation.
Zudem mangelt es den Sportlern an guten Vorbildern an ihrer Spitze. IOC-Präsident Jacques Rogge gibt sich derzeit sehr schweigsamen und kleinlaut; Thomas Bach, Präsident des DOSB und IOC-Vize, ist in den letzten Tagen durch die fragwürdige Boykott-Entgegnung auffällig geworden, der Sport dürfe nicht als „Knüppel der Politik missbraucht“ werden. Man muss einen Boykott ja nicht unbedingt befürworten, doch so leicht abtun wie Bach darf man ihn auch nicht. In Sonntagsreden (und wenn es um die Förderung durch Steuergeld geht) betonen immer alle die große Bedeutung des Sports, welche Brücken er schlagen und Mauern durch Dialog überwinden könne. Wenn’s aber mal ans Eingemachte geht, heißt es: Man dürfe den Sport nicht politisieren. Von wegen Dialog! Jetzt, wo es gilt, den Chinesen die Meinung zu sagen, schließen die Herren, von denen man im Gegensatz zu den Aktiven Positionen einfordern darf und muss, die Augen, Ohren und Münder.
Auf den ersten Blick ist diese Frage zwar kein Fußballthema. Doch der DFB schickt seine Frauen-Mannschaft mit großen Hoffnungen nach China (wo sie übrigens vor einem halben Jahr Weltmeister geworden ist). Präsident Theo Zwanziger nimmt per E-Mail Stellung: „Die Erfahrungen der Boykotte von 1980 und 1984 haben gezeigt, dass dieser Weg nicht die gewünschten politischen Auswirkungen hatte. Deshalb halte ich es bei aller Betroffenheit über die Ereignisse in Tibet für richtig und gut, dass derzeit die meisten Politiker, Sportverbände und Sportler für eine Teilnahme plädieren.“ Ob der damalige Boykott tatsächlich ohne Wirkung blieb, wie viele vorschnell behaupten? Immerhin sind die Moskauer Spiele von 80 bis heute mit einem Makel versehen, die Propagandawirkung fiel für Leonid Breshnews rückwärtsgewandte Sowjetunion wohl geringer aus, als wenn die USA, Deutschland und andere Westnationen teilgenommen hätten.
Felix Magaths Arbeitgeber, der auch Olympia-Sponsor ist, hat ihm einen Gefallen getan: Magath durfte am Ostermontag, dem Tag der Entzündung, die olympische Fackel tragen; doch ob er seinem Gewissen damit einen Gefallen getan hat, die Fackel den blutigen Straßen Tibets ein paar Meter näher gebracht zu haben? Immerhin tut er pflichtschuldig auf der Website des VfL kund: „Wie viele Verantwortliche beobachte ich die Entwicklung in Tibet mit Sorge. Ich hoffe, dass die Aufmerksamkeit, die China erfahren wird, einen Dialog weiter fördern und der Weltöffentlichkeit die notwendigen Druckmittel geben wird, Menschenrechte in China einzufordern.“ Birgit Prinz, die Spielführerin der Frauen-Elf, ist zu einer Stellungnahme übrigens nicht bereit.
Zur Klarstellung: Die Entscheidung für Peking fiel vor sieben Jahren, die aktuellen Führungspersonen des Sports sind dafür nicht verantwortlich (und schon gar nicht Magath und Zwanziger), sondern Rogges Vorgänger Juan Samaranch, ein ehemaliger Franco-Faschist, von dem ein Foto aus den 70er Jahren existiert, auf dem er seinen Diktator mit gestreckten rechten Arm grüßt. Doch mehr Mut und Distanzierung von China sollten wir von Sportpersönlichkeiten schon erhoffen dürfen als in Zwanzigers wachsweichen Worten zu Ausdruck kommt: „Gerade in schwierigen Situationen ist es wertvoller, miteinander zu reden und seine Meinung sagen zu können, als sich aus dem Weg zu gehen. Deshalb befürworten wir eine Teilnahme, auch um unsere Werte zu vertreten, Sportsgeist zu zeigen und der olympischen Idee gerecht werden zu können.“ Und Magath hätte ablehnen sollen. Stattdessen schweigt er vor der Kamera des NDR auf Fragen eines Reporterteams (unbedingt den Clip anschauen, allein wegen der Reaktion des Wolfsburger Pressesprechers).
Was haben Boykottgegner noch auf Lager? China würde seinen Gegnern, allen voran dem Dalai Lama (obwohl er einen Boykott ablehnt), die Schuld daran geben und sie noch härter malträtieren. Häufig gehört haben wir auch, dass man Rücksicht auf Sportler nehmen müsse, denen man einen Höhepunkt ihrer Karriere verbauen würde. Mal davon abgesehen, dass man die Verletzung von Menschenrechten nicht mit dem Zerstören von Medaillenträumen aufwiegen kann – man könnte die Spiele auch von anderen Städten ausrichten lassen, etwa den Vorgängern Sydney und Athen, zur Not auch im nächsten Jahr. Doch die Appeasement-Politik nimmt keine Stellung (von Drohungen ganz zu schweigen), sondern beschwichtigt, macht Zugeständnisse, und hält sich zurück. Ist das IOC auf Peking angewiesen oder sollte es nicht umgekehrt sein? Vermutlich geht es aber wieder nur ums eine: Für Adidas, McDonald’s, Coca Cola und Volkswagen sind 1,3 Milliarden Chinesen nämlich 1,3 Milliarden Käufer. Vielleicht sollte man noch erwähnen: Bach ist Wirtschaftslobbyist und Geschäftsmann, für zwei Unternehmen im chinesischen Markt tätig, darunter den Ausrüster des DFB. Tut mir leid, liebe Leser, dass wir ihnen nichts Neues erzählen können.
Die Olympischen Spiele 2008 haben bereits jetzt alles Unbeschwerte, und damit die Voraussetzung für ein Sportfest, verloren. Vielleicht fragen sich ja die Fans: Wer hat dieses Jahr eigentlich noch Lust auf Olympia?
#15 meiner Kolumne auf stern.de
Ergänzung: Ein bemerkenswertes Interview zu diesem Thema hat die Fechterin Imke Duplitzer der FAZ gegeben: „Ernährt mich Moral?“
Martin schrieb am 28. März 2008:
Hallo Oliver,
ausgezeichneter Artikel! Auch sehr lesenswert ist das heutige Interview von Heidi Schüller (auf taz-online).
Zu VFL VW Wolfsburg: Die Reaktionen der Verantwortlichen zu den kritischen Fragen des NDR zeigen doch wohl eindeutig, daß dieser Fußballclub der Volkswagen-Mafia gehört. Aber so einen Pressesprecher haben selbst die Fans des VFL Wolfsburg (es soll ja wirklich einige geben) nicht verdient.
newtown schrieb am 29. März 2008:
Das Video mit Magath ist der Wahnsinn, da fehlen einem die Worte ….
Zu einem Olympia-Boykott fällt mir aber folgendes ein:
Tibet ist nicht seit einer Woche besetzt, sondern seit vielen Jahren und China mißachtet die Menschenrechte nicht seit einer Woche, sondern seit vielen Jahren.
Ich finde es jetzt etwas seltsam, dass sich diese ganze Aufregung wieder mal an einigen aktuellen Bildern im Fernsehen fest macht. Mich stört daran, dass es immer nur darum geht, was gerade in der Tagesschau kommt.
Keine Bilder = kein öffentliches Thema, das kann es doch nicht sein!!! Da erwarte ich vom Journalismus in Deutschland einfach mehr.
Außerdem glaube ich, dass ein Boykott weder den Menschen in Tibet noch der Demokratiebewegung in China helfen würde.
Abschließend muss ich aber generell sagen, dass ich mich überhaupt nicht auf die Spiele freue, denn:
75% der SiegerInnen werden eh gedopt sein (ob nun nachweisbar oder nicht) und das ist skandalös.
P.S.: Guter Beitrag, Herr Firtsch!
Oliver Fritsch schrieb am 29. März 2008:
Ein TV-Tipp für Sonntagmittag (statt Doppelpass):
http://jensweinreich.de/?p=175
riovermelho schrieb am 31. März 2008:
Natürlich gehts hier nur um Geld.
Die Sauerei war ja die Spiele überhaupt nach China zu vergeben. Mit tun die Millionen Chinesen leid, die unter den Spielen leiden müssen.
Um die Frage zu beantworten, ob ich mich auf die Spiele freue: nein,überhaupt nicht.
Bis auf einige, wenige Sportarten geht es sowies so um uninteressante Randsportarten (Pistolenschießen, Fechten, Baseball……)
Ich bin sicher, daß die Chinesen seit vielen Jahren daran gearbeitet haben besser zu dopen als der Rest der Welt.
Ich werde meinen ganz persönlichen Olympia-Boykott durchführen und die Glotze einfach auslassen.
Gegen den Strom schrieb am 1. April 2008:
Gerne würde ich die an den Bagh-Wahn der 80er erinnernden deutschen Bildungsbürger sehen wie sie morgens um 4 Uhr in einem Kloster naß duschen, Gebetsmühlen rollen und nach einenm anachronistischen Paradies auf Erden suchen.Der Chinesiche Staat ist autoritär und unterdrückend, jede Religionsausübung die ungebildete Bauernkindern in Klöster holt ist es auch.