Deutschland-Polen 2:0
von Oliver FritschIch hatte noch eine Karte bekommen. Geile Stimmung im Stadion, die Polen in Überzahl. Sie spielten, wie an der WM, „tough“, und die Fans haben noch in der 91. Minute ihre Mannschaft gefeiert. Dennoch hatten sie am Ende nur Robert Kubica zu bejubeln. Die provisorischen Tribünen im Klagenfurter Stadion haben jedenfalls so gewackelt, dass uns allen ganz blümerant wurde. Am Ende ein klarer Sieg, an dem die Polen auch teilhatten, wegen Podolski und Klose und so … Ich hab den vermeintlichen Ausgleich durch Ebi Smolarek nur „live“ gesehen, mir fehlt also der Videobeweis. Sie, liebe Leser, wissen also mehr als ich, da ich das hier nun schreibe. Mein Gefühl sagt mir: kein Abseits. Ich werd’s mir auf Youtube noch mal anschauen müssen.
Unsere Besten (außer dem Torschützen): Frings und Lahm. Insgesamt haben fast alle besser gespielt als Pessimisten befürchtet hatten, neben Frings, Lahm und Podolski etwa Klose, Schweinsteiger, Fritz, aber auch Metzelder und Lehmann. Dagegen unterliefen dem Kapitän, auf dem sich vor dem Turnier alle Erwartungen zu konzentrieren schienen, nach gutem Beginn viele Fehler. Und Gomez, dem man die Rolle des „Shootings Stars“ zugetraut hatte, hat schon mal besser getroffen. Dennoch solide Leistung und sehr beweglich, auch nach hinten.
Ich denke, an der linken Abwehrseite sollte Löw noch etwas feilen, Jansen hat manchmal Probleme, das Tempo seines Gegenspielers aufzunehmen, gerade im Vergleich mit Lahm. Metzelder, der manchmal so wirkt, als hätte er mit der ganzen Sache nicht viel zu tun, spielt halblinks, und der linke Mittelfeldspieler Podolski ist ja eher nach vorne ausgerichtet. Die Polen erkannten das und versuchten in der zweiten Halbzeit, diese Schwachstelle auszunutzen. Der eingewechselte Guerreiro machte einigen Probleme, nur nicht Frings, der ihn wie ein strenger Schutzmann ein paar mal verhaftete.
Was noch: Löw lässt sich wirklich nicht in die Karten kucken. In der zweiten Halbzeit ließ er durchgehend drei Ersatzspieler warmlaufen – aber immer drei andere. Oder gibt’s ne Regel, dass sich immer nur drei pro Team warmmachen dürfen?
Den deutschen Fans möchte ich bitten: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ – das nenn ich mal einen Evergreen. Weiter so! Ich kann gar nicht genug davon haben.
Nathan schrieb am 9. Juni 2008:
Ich teile die allgemeine positive Grundstimmung hier und in den Medien nicht so ganz. Ich habe noch immer eine Menge Fragezeichen hinter einigen wichtigen Postionen und/oder Spielern.
Ja, die ersten 30 Minuten waren sehr gut. Schnelles, druckvolles Spiel über die Flügel und ein paar sehr schöne Pässe durch die Mitte. Alles fein. Aber: Das war Polen. Die waren bestimmt super eingestellt und motiviert. Aber bitte. Schaut euch mal die Mannschaft an. Deutschland ist auf allen 14 Positionen deutlich besser besetzt (mit Ausnahme des Torhüters vielleicht). Was zwischen der 35 und der 70 Minute im dt. Spiel passiert oder besser nicht passiert ist, macht mir deshalb schon ein wenig Sorgen. Ballack mit 4-5 krassen Fehlpässen. Frings stand häufig viel zu tief und zu weit vom Gegner. Jansen in der Bewegung nach hinten teilweise ganz schwach. Die beiden großen „M“ in der Innenverteidigung in der Rückwärtsbewegung sehr unkoordiniert (sie einige Aktionen des polnischen Brasilianers etc.). Wenn sie in der Phase ein nicht unverdientes Tor machen, bin ich mir nicht sicher ob wir wieder zurückgekommen wären.
Kiene Frage: Mit der Leistung von gestern schlagen wir auch Kroatien und Österreich. Aber danach gibt es schon noch einiges zu tun.
nedfuller schrieb am 9. Juni 2008:
Durchschnittliches Spiel gegen einen unterdurchschnittlichen Gegner.
Zu Jansen: Wie sollte denn eine Alternative aussehen?
Die Polen waren echt schwach. Qualifikation ist halt was anderes als das Turnier selber.
Hexenkessel schrieb am 9. Juni 2008:
@ Oliver Fritsch: Smolarek knapp, aber doch gut erkennbar im Abseits. Klose beim 1:0 übrigens auch, wenngleich minimal. In meinen Augen hervorragendes Beispiel für „Im Zweifel für den Stürmer“. Diese Anweisung wird viel zu selten umgesetzt und hier war es mal absolut richtig. Man muss nicht den Schnürsenkel im Abseits sehen, um ein Tor für ungültig zu erklären, wie das manche Reporter derzeit gerne tun.
Ansonsten war es doch ein durchaus überzeugender Auftritt, der natürlich noch ausbaufähig ist. Weiterhin gilt: Offensiv sind wir deutlich stärker als defensiv. Gomez wirkte auf mich übrigens ein wenig nervös bei seinem ersten großen Turnier. Ob es was mit dem angeblichen Wechsel zu den Bayern zu tun hat? Jedenfalls ist er normalerweise kaltschnäuziger vor dem Tor.
Nathan schrieb am 9. Juni 2008:
@Nedfuller: Keine Alternative, leider. Das ist bei Jansen genau das „Risiko“. Er ist nach vorne durchaus eine Bereicherung, aber nach hinten…Ich sehe hier dann auch die Innenverteidigung und unser Doppelte-6 in der Pflicht. Hüstel, ist zugegeben eine etwas ausweichende Antwort. Wir waren gestern gut, wenn wir das Spiel früh und weit nach vorne verlagert haben. Das müssen wir gegen spielstärkere Gegner dann aber 90 Minuten machen.
Wenn wir Gegner kombinieren lassen, bekommen wir hinten Probleme. Hier sind alle 4 einfach im Mann gegen Mann (und auch im Raum) momentan zu schwach
SVE05 schrieb am 9. Juni 2008:
Unsere Abwehr wird sich noch verbessern. Davon bin ich überzeugt. Wir haben jetzt noch zwei Testspiele, in denen sich die Abwehr einspielen und zueinander finden kann. Danach werden Tschechen, Portugiesen und Italiener in Grund und Boden gespielt/gekämpft/zelebriert.
Der_Treter schrieb am 9. Juni 2008:
Ein paar interessante statistische Angaben von http://www.castrolindex.com (mit denen ich nix zu tun habe):
– Das Spiel war (wenn man beide Mannschaften betrachtet) das bisher laufintensivste der EM
– Ballack wieder einmal der deutsche Spieler, der die weitesten Wege gegangen ist
– Der Top-Speed-Wert von Klose ist der höchste bisher bei der EM gemessene.
Max Diderot schrieb am 9. Juni 2008:
Das Match erinnerte mich überwiegend an die Qualifikationspartie gegen Tschechien in Prag. Eine gute deutsche Mannschaft und ein dem nichts nachstehender Gegner. Hätte die DFB-Elf eine der Möglichkeiten, die sich ihr in der ersten Halbzeit bot, genutzt und die Führung ausgebaut, wäre das Spiel in der zweiten Periode auch sicherer gewesen. So passierte ebendies erst in den letzten 18 Minuten.
Apropos Jansen. Nun, das kann der Preis sein, den ein Team dafür zu zahlen hat, dass es eine attraktive, offensive Spielausrichtung pflegt. Ich glaube nicht, dass dem Bayern-Verteidiger alleine die offene rechte Flanke anzukreiden ist. Vielmehr erhielt er zuwenig Unterstützung aus dem deutschen Mittelfeld, um den Spielaufbau der Polen auf dieser Seite frühzeitig zu stören.
Mich würde es nicht wundern, wenn sich die polnische Mannschaft für das Viertelfinale qualifizieren würde. Man sah in ihrem Auftritt viele positive Attribute, die im modernen Fußball unerläßlich sind.
juwie schrieb am 9. Juni 2008:
Mit Prognosen soll man ja vorsichtig sein, aber ich traue mich mal: Diese beiden Teams kommen in der Gruppe B weiter.
Ich will mich zudem der überwiegend sehr kritischen Einschätzung nicht anschließen. Von den Mannschaften dieser Turnierhälfte habe ich nur Portugal besser gesehen als unser Team.
Für das Problem mit der Linksverteidigung sollte Löw doch mal erwägen, Metzelder herauszunehmen. Er wurde im Verlauf des Spiels zwar sicherer, aber so richtig überzeugend fand ich das nicht. Zumindest in der ersten Hälfte schien mir Jansen auch relativ oft zur Mitte auszuweichen, um bei Metzelder „zuzumachen“. In Hälfte 2 war Jansen allerdings oft gar nicht zu sehen.
Ab dem Viertelfinale ist aber wohl eine etwas defensivere Ausrichtung auf links dringend erforderlich.
Razanauskas schrieb am 9. Juni 2008:
Insgesamt ein knapper aber verdienter Sieg. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Mannschaft hat mMn im Vergleich zur WM eine deutlich andere taktische Maxime. Kein Hurrafußball mehr, es darf auch mal ein langer Ball und ein Querpass gespielt werden… Es wird insgesamt variabler gespielt. Das ist einerseits weniger attraktiv, andererseits aber wohl schwerer auszurechnen.
Wer mir besonders gut gefallen hat, der aber durchweg (außer von der NZZ) wenig gelobt wurde war Mario Gomez. Extrem zweikampfstark, sehr um Balleroberung bemüht und beide Tore initiiert.
Jörg M. schrieb am 9. Juni 2008:
Ich fand es beachtenswert, dass J. Klopp in der allgemeinen Podolski-Euphorie ihm indirekt attestierte, die Defensivarbeit vernachlässigt zu haben.
Außerdem ein schöner Satz des Reporters: „[Lehmann] sammelt seine Spielpraxis während des Spiels.“ Auch bemerkenswert.
BArometer21 schrieb am 10. Juni 2008:
Ich fand das Spiel deutlich besser, als in den Vorgängerkommentaren beschrieben. Zumal ich glaube, dass wir den stärksten Gruppengegner bereits besiegt haben. Kroatien gegen Österreich, das war ja ganz und gar nichts.
Über die Innenverteidigung war ich positiv überrascht, vor allem nach dem ganzen Theater und Metzelder. Dass ein Gegner auch mal zu Chancen kommt wird nicht mal eine Jahrhundertelf Italiens zu verhindern wissen. Nach vorne ging es doch recht zügig, Clemens Fritz hat brilliert. Und denkt an die WM: da hat sich das Team von Spiel zu Spiel gesteigert, gegen C. Rica sah das zum Teil noch recht unbeholfen aus.
Schön fände ich allerdings, wenn Klose auch mal selbst schiessen würde, anstatt konstant abzuspielen. Den ersten Ball, den er Gomez vor die Füßs spielen wollte, den hätte er meiner Meinung nach mal besser selbst zu vollenden versucht.
Resümierend: Das war ein sehr ansprechender Turnierbeginn.
@ juwie: „Für das Problem mit der Linksverteidigung sollte Metzelder rausgenommen werden (…)“
Das versteh ich nicht. Soll Friedrich für ihn in die IV, damit Jansen weniger zu tun hat?