Deutschland-Spanien 0:1
von Oliver FritschZu brav. Die Deutschen verpassten den Moment, das Spiel auf ihre Seite zu ziehen, und zwar in der Anfangsphase. Die Spanier begannen sehr verhalten, sogar nervös, doch den Deutschen fehlte der Glaube daran, schon in den ersten Minuten ein Tor schießen zu können. Klose ersprintete einen zu leichtsinnigen Pass von Ramos, doch statt zum Schuss zu kommen, legte er sich den Ball ins Aus. Zu brav. Eine verpasste Gelegenheit. Gleiches gilt für den harmlosen Schieber Hitzlspergers ein paar Minuten später. Zu brav. Als echte Turnierbestie hätte Deutschland in den ersten zehn Minuten mehr Eindruck machen müssen, stärker Gefahr ausstrahlen, wenn nicht sogar in Führung gehen.
So konnten sich die Spanier nach einer Viertelstunde rasch eine Überlegenheit erspielen, auch begünstigt durch Ballverluste und Fehlpässe von Podolski, Frings, Hitzlsperger, Ballack, Schweinsteiger (jemanden vergessen?). Das 1:0 brachte die ballsicheren Spanier auf den richtigen Weg, und bis auf eine kurze Druckphase um die 60. Minute änderte sich nichts mehr an dem Erscheinungsbild: Die Spanier konnten den Ball verstecken oder monopolisieren und ließen die Deutschen hinterher hecheln. Nicht mal die Brechstange fanden sie. Zu brav. Zu brav. Zu brav.
Dabei wäre das Gegentor leicht zu verhindern gewesen. Lahm war schon vor Torres, daher schien die Sache geklärt. Zu brav. Ob er die Szene zu früh abhakte? Ob Lehmann rief? Aus meiner Sicht trägt auch der deutsche Torwart eine Mitschuld an dem Treffer. Wenn er nicht so weit raus geht und zu Boden geht, wäre die Sache nur halb so gefährlich gewesen.
Eigentlich rächt es sich im Fußball, wenn man trotz einer solchen Überlegenheit und mit so vielen Chancen nicht das zweite Tor schießt. Spanien war schlampig am fremden Strafraum. Aber Deutschland war zu müde, um Autorität auszuüben und den Gegner zu bestrafen. Die Flanken waren bis auf eine von Ballack harmlos, die Pässe blieben hängen, zum Schießen kamen sie kaum, Casillas musste ja fast nicht eingreifen.
Doch halt! Eine Situation hätte fast den Mythos von den Glücksrittern wiederbeleben können. Die Situation in der 91. (?) Minute hätte ich gerne noch mal in der Nachberichterstattung analysiert gesehen. Gomez soll Puyol gefoult haben, jedoch war aus meiner Sicht davon keine Spur zu sehen. Es wäre Deutschlands große Chance zum Ausgleich gewesen, Gomez stand ja alleine vor Casillas. Sehe das nur ich so, dass das eine entscheidende Szene war – unabhängig davon, dass ein Ausgleich, klar!, sehr unverdient gewesen wäre? Schiedsrichter Rosetti war ohnehin schwach. Viel zu kleinlich im Mittelfeld (fast auf Fandel-Niveau), Silvas Kopfnuss übersehen (kann abseits des Spielgeschehens aber passieren) und Situationen im Strafraum anders bewertet als außerhalb. Dass das Spiel mitunter sehr behäbig war, lag auch an seinen vielen Pfiffen.
Bester Deutscher im Finale war Jansen, der in der zweiten Halbzeit kam und den linken Gleis mit Engagement bearbeitete. Mertesacker schlug sich tapfer, und Lehmann hielt sein Team im Spiel. Schwach waren Friedrich, der sich ein paar Mal überlaufen ließ und im Spiel nach vorne wertlos ist. Podolski wurden seine Grenzen gezeigt, sein Spiel ohne Ball ist … aber ich will mich nicht dauernd wiederholen. Ballack absolvierte erneut ein sehr hohes Pensum, doch das Angriffsspiel konnte er nicht lenken. Allerdings war er an so gut wie jeder der wenigen gefährlichen Szenen beteiligt. Schweinsteiger glückte viel weniger als zuletzt. Pech natürlich auch, dass Lahm ausfiel.
Auf Spaniens Seite war Torres immer gefährlich, Xavis Wirken war meisterlich, Puyol und Marchena hatten hinten alles im Griff, und Senna verhaftete alle, was sich seiner Gefahrenzone näherte. Spanien ist die beste Mannschaft des Turniers, sie haben ihren schönen und erfolgreichen Stil konstant gezeigt. Es ist auch eine faire und sympathische Mannschaft.
Für Joachim Löw und sein Team ist Platz 2 ein großer Erfolg, der ihm viel Auftrieb, aber auch neue Erfahrungswerte mit auf seinen Weg geben wird. Doch die spielerische Leistung fällt in der Gesamtbilanz mindestens eine Note unter der Erwartung aus. Auch die Abwehr wackelte fast im ganzen Turnier, Lehmann scheint über den Zenit. Von der Reservebank kamen selten Impulse. Ich bin gespannt, ob neue Spieler eine Chance bekommen werden.
moritz schrieb am 2. Juli 2008:
@94: schon um ’86 herum wurde der begriff rumpelfussball gebraucht meist von einer spezillen fankultur, unter voigts wurde er salonfähig auch in den gazetten
Max Diderot schrieb am 2. Juli 2008:
Ich lach mir einen Ast ab! Warum, dazu später.
Die FIFA-Rangliste ist aktualisiert worden, Spanien ist der neue Spitzenreiter, die DFB-Elf rückt von 5 auf 3. Nun aber der Grund für mein Verhalten:
England rangiert auf Platz 15! – und verliert damit sechs Positionen. Der absolute Brüller ist aber Österreich: Rang 105! Jetzt könnte es selbst unter Peter Neururer nur noch besser werden.
sznajdr schrieb am 2. Juli 2008:
Mich treiben neben den vielen richtigen Analysen in diesem Blog hinsichtlich Bravheit, Lethargie etc. noch zwei andere Fragen um: Warum traut sich niemand ind er Öffentlichkeit zu sagen, dass der hochgelobte „Leader“ Ballack in diesem Finale zwar an nahezu allen Offensivaktionen der Deutschen beteiligt gewesen sein mag (auch wenn deren Zahl ja nun freilich überschaubar war), aber ansonsten eine bemerkenswert hohe Fehlpass- und Ballverlust-Quote hatte, und derart so manchen Gegenangriff der Spanier einleitete? Aber, wichtiger noch: Warum setzten die Deutschen, bei allem Respekt vor dem taktischen Verständnis von Jogi Löw, gegen die im Schnitt gefühlte zweieinhalb Köpfe kleineren Spanier nicht instinktiv auf Flanken, Flanken, Flanken bzw. warum kamen bis auf eine (von, na gut, in dem Fall Ballack) keine halbwegs verwertbare, sondern nur der übliche halbhohe (Hitzlsberger) oder viel zu weite (Schweinsteiger) Mist, selbst bei Ecken? Wozu hat man denn den „weltbesten Kopfballspieler“ (Klose), den „torgefährlichsten Mittelfeldspieler“ (Ballack) und dergleichen mehr (Mertesacker, von mir aus auch Metzelder)? Man muss ja nicht gleich in deutsche Untugenden à la WM 1998 verfallen, wo gar nichts anderes ging, aber gegen einen derartigen Gegner, und noch dazu, wo erkennbar auch nicht anderes ging, hätte es von mir aus gern ein bisschen mehr Brechstange sein können. Es war schließlich kein Gruppenspiel, sondern das Finale, aber letztlich fehlte es wohl in der Tat an Mut, Siegeswillen und leider, leider vielem anderen mehr. So bleibt nur der schale Beigeschmack, dass Deutschland zwar völlig verdient verloren hat, dass es aber mit einer anderen Leistung gegen zweifellos den besseren Fußball spielende (und noch dazu absolut faire und sympathische), aber keineswegs übermächtige Spanier durchaus hätte gewinnen können. Allen Konjunktiven zum Trotz.
Rob schrieb am 2. Juli 2008:
Langsam nervt mich dieses ständige Ballack Bashing. Wenn wir auf nur auf allen Positionen einen Spieler seiner Klasse hätten …
indian summer schrieb am 2. Juli 2008:
Ich war als kind und jugendlicher selbstverständlich bei den länderspielen, sei es freundschaft, sei es wettbewerb, stets supporter der deutschen nm. Spätestens seit der wm 1978 wurde das anders.
Welchen hinreichenden grund sollte es geben, eine nm, deren fußballerische darbietungen ab dann sukzessive schlechter wurden, weiterhin zu unterstützen? Etwa deswegen, weil es die germans sind?
Nur weil ich, zufällig, in diesem land geboren und aufgewachsen bin, muss ich doch nicht das, was vergleichsweise qualitativ abfällt, goutieren, oder?
Ich weiß, es gibt keine gerechtigkeit beim fußball, weder auf nm-niveau noch auf dem hartplatz. Dieses wissen jedoch hält mich nicht davon ab, klartext zu reden/schreiben, wenn es um die sachlich gebotene einordnung von leistungen in einen offensichtlichen kontext geht – und hierbei bleibt den jeweiligen editionen der dt. nm seit 1978 nur allzu selten lob auszusprechen übrig.
myLaola: Blog von StefanoMillinotti: Millinotti's EM-Tagebuch - Teil 13: Millinotti's Euro-Ensemb... schrieb am 2. Juli 2008:
[…] EM-Tagebuch – Teil 13: Millinotti's Euro-Ensemble (2/2) Spanien ist Europameister. Und das völlig verdient. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Kommen wir also zu den wichtigen […]
tony adams schrieb am 2. Juli 2008:
Luca Toni beklagte sich in einer SMS darüber, er habe schwerwiegende Probleme mit seinem besten Freund, dem Ball. Wir konnten nun feststellen, dass die Unsrigen wohl schon immer ein distanziertes Verhältnis zu ihm pflegten. Vielleicht nähern sich auch nur Publikum und Darsteller im Niveau an – und keiner merkt es in dem ganzen künstlich verursachten Trubel. Denn wenn Event-Fans Verlierern einen derartigen Empfang bereiten, und sich Verlierer so feiern lassen, ist das schon peinlicher Ausdruck mangelnder Fachkenntnis. Gehört sich vielleicht so in Zeiten von Deutschland sucht seine Superstars: Da wird ja auch für den Hausgebrauch akzeptabel, aber äußerst banal und unspektakulär gesungen. Und Millionen kreischen begeistert dazu.
So wenig war ich noch nie über eine Finalniederlage enttäuscht. Über den wahren Stand des deutschen Fußballs wurde schon alles gesagt und geschrieben, dem ist nichts hinzuzufügen. Meine ganz persönlichen Topps und Flops der EM: Endlich wurden die Nationalhymnen nicht mehr von furchtbaren Opernstimmen vorgetragen, sondern in natürlichen Tonlagen von Spielern und Fans intoniert. Die Bildregie war durchweg katastrophal. Und Monsieur Platini hat mich gelehrt, dass man(n) nicht zwingend Franzose UND Charmeur ist.
Und jetzt wende ich mich wieder – gerne – dem grauen Fußballalltag zu: Wie wird sich Hoffenheim schlagen? Was bringt Kloppo in Dortmund zustande? Wird Klinsi an Rummenigge scheitern (ja)? Wird Mister Leeman bester Torhüter der Runde 2008/2009? Müssen wir uns wie gehabt quälende Spiele in der CL bis zum unvermeidlichen Aus nach der Vorrunde anschauen (gilt auch für den Verlierer-Cup, das war auch sehr, sehr schlimm)? Wird Kuranyi aufgrund mangelnder Torausbeute wieder einen S04-Triumph verhindern? Oder starten meine Schalker mit Westermann, Jones, Rakitic und vor allem Manuel Neuer (mein Herz gehört ihm, er wird den Adler überflügeln!) in dieser Saison so richtig durch? Es kann wieder losgehn!
Max Diderot schrieb am 10. Juli 2008:
Die Fußball-Koryphäe Ralf Rangnick hat sich aus seinem Hoffenheimer Innovationszentrum zu Wort gemeldet und die mediokere Entwicklung im deutschen Fußball beklagt. Dabei liegt sein Fokus mehr auf der Vergangenheit, und er konstatiert auch aktuell positive Effekte. Vermutlich werden wieder jene, die alljährlich für die deutsche Version des Nobby-Stiles-Award in Frage kämen, Zeter und Mordio schreien und die Blöd-Presse schließt sich dem an.
Hier der Link:
http://www.kicker.de/news/fussball/nationalelf/startseite/artikel/212757/
Apropos Trainingsdidaktik. Die FAZ berichtete gestern über enormen Nachholbedarf im deutschen Sport.
http://www.faz.net/s/RubCBF8402E577F4A618A28E1C67A632537/Doc~E91F24B2AFCF94D6BB00849D2B54125CA~ATpl~Ecommon~Scontent.html