Ein einiger Verein – HSV besiegt Bayern 1:0
von Oliver FritschMladen Petric steht noch lange nach dem Abpfiff in der Mixed-Zone: „Das war mein bester Tag in Hamburg, so eine Stimmung wie heute gab es nicht einmal in Dortmund.“ Dieser Vergleich heißt etwas, das erfüllt auch heimischen Journalisten mit Stolz, die Petric zuhören. Hinter ihm liegt der Rückrundenbeginn, hinter ihm liegt der Sprung an die Tabellenspitze. Hinter ihm liegt ein hinreißend spannendes und gutes Spiel zwischen dem Hamburger SV und Bayern München, in dem er vor ausverkauftem Haus (57.000) zum Hauptdarsteller geworden ist: Er schoss das einzige Tor.
In der 44. Minute konnte Münchens Torwart Michael Rensing einen Weitschuss David Jarolims nur in die Strafraummitte, aber immerhin nach oben abwehren. Petric hob den steigenden Ball geistesgegenwärtig per Kopf über Rensing hinweg. Ein anspruchsvoller Treffer, denn er konnte den Ball nur durch einen sehr hohen Seitwärtssprung erreichen und nur durch extreme Bogenspannung im Oberkörper so viel Fahrt mitgeben, um ihn ins gut zehn Meter entfernte Ziel zu schicken. Dass Petric ein perfektes Kopfball-Timing hat, bewies er oft im Hamburger Strafraum, den er bei Freistößen und Eckbällen des Gegners bewachen muss. Einige Male konnte er die Hereingaben Bastian Schweinsteigers entschärfen. Das macht Stürmer besonders wertvoll.
Doch wer konnte damit rechnen, dass kein Tor mehr fallen würde? Und wer kann es im Nachhinein erklären? Schließlich ließen beide Teams nach sechs Wochen Winterpause keinen Zweifel an ihrem Tatendrang. Die Hamburger begannen mutig und stark, sie wollten beweisen, dass Hamburg nicht Stuttgart ist, das die Bayern vor drei Tagen zerfleddert hatten (5:1). Und wonach Fußballdeutschland wie üblich fragte: Wer kann diese Bayern bremsen?
Bereits zu Beginn näherten sich beide Mannschaften den Toren des Gegners gefährlich. Bastian Schweinsteiger löffelte eine Flanke Christian Lells über das Tor (3.), wofür er sich nachher von Trainer Jürgen Klinsmann rüffeln lassen musste. In der 6. Minute endete ein Versuch Piotr Trochowskis am Pfosten. Der HSV setzte die Bayern-Abwehr unter großen Druck.
Strafraumszenen gab es für drei Spiele. Dem Feld durfte man keinen Augenblick den Rücken zudrehen – abgesehen von einer Phase Mitte der ersten Halbzeit, als die Bayern das Hamburger Tempo aus dem Spiel nahmen und Schiedsrichter Knut Kircher viel zu oft ein Foul erkannte. Am folgenschwersten, als er vor Luca Tonis Tor (29.) einen Regelverstoß gesehen haben wollte. Als einziger im Stadion neben seinem Assistenten. Selbst in der kurzen Phase zwischen Tor und Halbzeitpfiff, als Fans und Stadionsprecher noch skandierten, schossen die Bayern zwei Mal aufs Tor.
In der zweiten Halbzeit flogen die Hamburger Schutzengel Überstunden. So viele gute Chancen für die Bayern! Miroslav Kloses Kopfball (55.) sahen einige hinter der Torlinie; sein abgefälschter Stoß fiel aufs statt ins Netz (66.); Toni nickte einen leichten Ball, eigentlich ein sicheres Tor, aus kurzer Distanz daneben (69.); einen Kullerer des eingewechselten Tim Borowski schaute Tormann Frank Rost um Zentimeter am Pfosten vorbei (80.); und als Klose zwar Rost überwand, aber Jérome Boateng auf der Linie im Weg stand (83.), war klar: Das HSV-Tor ist an diesem Abend versiegelt. Auch die Nachspielzeit, in der man gegen Bayern in Hamburg seit 2001 die Luft anhält, verstrich. Fast hätte sich noch Rensing bei einem Eckball die Gelegenheit geboten, den Ausgleich zu erzielen. Aber irgendetwas und irgendwer verhinderten es irgendwie im letzten Moment.
Auch Hamburg stürmte ständig, auch bei Führung: Petric‘ Kopie des Morlock-Tors von Bern 54 unterschied sich vom Original durch den Pfosten (46.) als Ende, Trochowski und Paolo Guerrero fürchteten durch Rensing wenig Widerstand – so oft und aus so ungünstigen Positionen schossen sie aufs Bayern-Tor. Und das alles ohne den gesperrten Ivica Olic. Allerdings sollten die Hamburger Überzahlkonter üben, wie auch Trainer Martin Jol gesteht: „Damit bin ich unzufrieden.“
Nach dem Spiel bewahren die Bayern Größe und machen die unerwartete Niederlage nicht am Schiedsrichter fest. Vorstand Karl-Heinz Rummenigge kann nicht ausschließen, dass das Erlebnis Stuttgart manchem Spieler den Kopf verdreht hat. Jürgen Klinsmann, der sich dieser These anschließt, ärgert sich über Unkonzentriertheiten in den ersten 30 Minuten. Manager Uli Hoeneß soll zwar Schiedsrichter Kircher in der Kabine aufgesucht haben, doch es sei „nicht emotional zugegangen“ (Kircher). Ihre Besten waren Philipp Lahm und, der 69. Minute zum Trotz, Luca Toni. Für Hamburg (neben Petric) Trochowski und Jarolim, der sich Fleißkärtchen verdiente.
Der HSV kann auf eine aufregende Woche zurückschauen: Erst die Mitgliederversammlung am Sonntag, deren Wahlergebnis dem Klub Ruhe gibt. Dann der Einzug ins Pokalviertelfinale gegen 1860 München am Dienstag. Nun der Sieg gegen die Bayern, vorübergehend Platz 1 und das Verdienst, allen gezeigt zu haben, wie spannend die Bundesliga werden kann.
Eine weitere wichtige Erkenntnis: Der Support der Fans hat nicht darunter gelitten, dass ihr Vorsänger die Aufsichtsratswahl verloren hat. Petric hatte mit nichts anderem gerechnet: „Die Fans stehen hinter uns, sie machen uns stark, das wussten wir.“ Der HSV, zurzeit ein einiger Verein.
Zwanziger verkalkuliert sich mit Rücktrittsdrohung
von Oliver FritschBevor es zum HSV geht, der heute gegen eine andere Fußballmannschaft spielt, eine hoffentlich abschließende Notiz zum Fall Zwanziger ./. Weinreich: Das Internet ist also schuld, wie bei so vielem. Als FAZ-Abonnent kenne ich die Leier. Theo Zwanziger, der gegen den Journalisten Jens Weinreich wegen eines Allerweltbegriffs vor Gericht zog, hat der FAZ gesagt, dass er nicht, wie im Dezember angekündigt, als DFB-Präsident zurücktreten werde, sollte er als juristischer Verlierer hervorgehen: „Das Gefühl der Ohnmacht, mit solchen neuen kommunikativen Mitteln nicht fertig zu werden, hat sich mittlerweile gelegt.“
Man kann das ganze auch als Einsicht verstehen, als Einsicht in die Chancenlosigkeit. Vermutlich wird Zwanziger die Klage gegen Weinreich zum zweiten Mal und endgültig fallen lassen. Rücktritt hatte übrigens keiner gefordert. Zwanziger hat sich mit der Drohung verkalkuliert, die den Druck in der Öffentlichkeit erhöhen sollte. Es ist ihm allerdings niemand, wie erhofft, zur Seite gesprungen. Für Neueinsteiger: Der Fall lässt sich in diesem Blog, der als Medium beteiligt ist, gut verfolgen. Etwa hier, hier oder im Interview mit dem Chef.
Was bislang unterging: Der DFB hatte vorige Woche eine weitere Schlappe erlitten, denn den Widerspruch gegen Weinreichs Einstweilige Verfügung hat das Landgericht Berlin abgelehnt. Es steht also 0:5. Das sollte man vielleicht erwähnen, wenn man „das Internet“ verantwortlich macht. Es waren nicht nur Virtuelle, Anonyme, Nullen und Einsen oder beteiligt, sondern Richter. Und derjenige, der diesen Monat mit dem Goldenen Prometheus als bester Online-Journalist des Jahres 2008 ausgezeichnet worden ist.
In der FAZ ist auch die Rede von besseren Voraussetzungen des DFB zum Schutz gegen das Internet. Wie sollen die aussehen? Sind die digital, emotional, sind die aus Beton und Stahl? Wie auch immer – was wünschenswert wäre: Weniger Prozesse, das Dritte Reich aus dem Spiel lassen, wenn es nicht unbedingt sein muss, und nicht mit solchen hohen und oft hohlen Begriffen wie „Ehre“ hantieren.
Die aktuelle Ausgabe von causa sport dokumentiert den Fall. Stefan Niggemeier hat sich der Sache angenommen, und Jens Weinreich notiert es ebenso.
Wer muss schon um acht ins Bett? Benny Lauth!
von Oliver FritschKurzer Bericht vom Pokalachtelfinale HSV-1860 3:1
Manche Fernsehreporter brauchen fünf Zeitlupen und zwei digitale Hilfslinien, um Abseits zu erkennen. Den Schreibenden geht es offensichtlich ähnlich. In der Pause fragte ein Kollege einen anderen: „Manche sagen, dass es Abseits gewesen sein soll. Was meinst denn Du?“ Ivica „Scheitel“ Olic stand beim 1:0 für den Hamburger SV derart deutlich im Abseits, dass man es ihm eigentlich als Frechheit auslegen muss, weiterzuspielen. Doch es war natürlich die richtige Entscheidung des Stürmers, denn Abseits ist, wenn (Weiterlesen …)
Aufstand in Hamburg ausgefallen, freies Geleit für Hoffmann
von Oliver FritschDer Aufstand ist ausgefallen. Der Aufstand, von dem die Aufständischen behaupteten, dass es gar keiner werden sollte. Was ihnen aber viele nicht abnahmen, auf deren Unterstützung sie angewiesen waren. Von den vier Suppoters, die für den Aufsichtsrat des Hamburger SV kandidierten, hat kein einziger die notwendigen Stimmen erhalten. Nicht der beliebte Vorsänger aus der Kurve Johannes Liebnau, nicht der argumentativ und rhetorisch starke Journalist Manfred Ertel. Ingo Thiel und Anja Stäck waren ohnehin nur Außenseiter.
Hamburg hat konservativ gewählt. Korrigiere: Hamburg hat extrem konservativ gewählt. Kontinuität statt „Change“, wie es anmaßend obamaesk auf einem Flugblatt hieß. Die neuen und zum Teil alten Aufsichtsratsmitglieder sind fast ausnahmslos Unternehmer, seriöse, aber auch meist blasse Männer.
Der große Sieger ist Bernd Hoffmann, obwohl er gar nicht zur Wahl stand. Zumindest nicht offiziell. Die Erleichterung in seinem Gesicht und die Gratulationen, die er entgegennahm, sagen jedoch: Mit dem neuen Aufsichtsrat wird seine Arbeit als Vorstandsvorsitzender nicht schwerer werden – wie das der Fall gewesen wäre, wenn er künftig seinen Kurs von Ertel und Liebnau hätte kontrollieren lassen müssen. Hinzu kommt: Hoffmann-Vorgänger und -Gegner Jürgen Hunke wurde nicht wiedergewählt. Hoffmann fiel es nach der Wahl schwer, seine Genugtuung hinter versöhnlichen Worten, adressiert an die Verlierer, zu verbergen: „Lasst uns den Verein einen!“
Gewinner ist auch der HSV. Der Verein, der es schafft, nahezu 5.000 Mitglieder zu einem fruchtbaren Sitzungsmarathon zu versammeln und sie in eine solch wichtige Entscheidung einzubinden, ist ein Unikat. Nirgendwo anders im Profifußball hat das Volk so viel Mitspracherecht. Der Souverän hat eine souveräne Entscheidung gefällt: Freie Hand für Hoffmann, unter dessen Führung der HSV zu seiner Rolle als Bundesliga-Macht zurückgefunden hat.
Verlierer sind die Supporters. Ihr Fehler war erstens, das Maß verloren zu haben. Viele Fans, die deren Engagement prinzipiell schätzen, sind der Meinung, dass die Supporters zu weit gehen wollten. Der Auftrag aus den eigenen Reihen heißt nun klar: Für die Belange der Mitglieder sollt Ihr da sein, in wirtschaftlichen, politischen und sportlichen Fragen habt Ihr nicht mitzureden!
Zweitens hat die Basis den Hoffmann-Kritikern Ertel und Liebnau ihren sanften Kurs des Wahlkampfs nicht geglaubt. Eine „Ypsilanti des HSV“, vor der ein Redner zu Beginn warnte, wollten die Mitglieder nicht erleben. Der Favorit der Fans ist Ex-Profi Sergej Barbarez. Er mag einer der coolsten Fußballer gewesen sein; zur Frage, welche Ziele er mit seiner Kandidatur verfolge, kann er jedoch nicht viel sagen. Dass er sich durchgesetzt hat und nicht der versiertere Liebnau, macht die Niederlage für die Supporters besonders bitter.
Doch vergebens war das Engagement der Supporters nicht. Sie dürfen sich gutschreiben, Hoffmann ein Versprechen abverlangt zu haben: In seiner Rede gestand er, es sei ein Fehler gewesen, 97 Euro für ein Ticket zu verlangen. „Tut mir leid, kommt nicht wieder vor.“ Hoffmann wurden Grenzen gesetzt, und er muss weiter damit leben, dass die HSVer die Frage im Hinterkopf tragen: Wie weit würde der Einzelspieler Hoffmann gehen, wenn er tun und lassen könnte, was er will?
Die offenste Kritik an Hoffmann aller Redner formulierte Christian Reichert, das im Herbst zurückgetretene ehemalige Vorstandsmitglied. Der verdiente und angesehene Supporter begründe seinen Schritt mit fehlendem Vertrauen durch Hoffmann, Reichert fühlte sich in vielen Entscheidungen übergangen und nicht als vollwertig erachtet. Doch seine Kritik verebbte, weil er sie zu einer denkbar ungünstigen Zeit vortragen musste: nach den Höhepunkten des Tages, am Ende der langen Veranstaltung.
Ob der Aufsichtsrat anders besetzt worden wäre, wenn Reichert seine Kritik vor der Wahl und damit einem aufmerksamen Publikum dargelegt hätte? Doch die Tagesordnung bestimmt nun mal mit über das Wahlergebnis – noch eine demokratische Lehre, die der HSV an diesem Tag demonstriert hat. Die Tagesordnung entsprach übrigens dem Wunsch Hoffmanns.
Stimmen, Stimmungen von der HSV-Aufsichtsratswahl
von Oliver FritschAus meinem Live-Twitter-Ticker von gestern, ein Kommentar folgt gegen heute abend
Zu Fuß im CCH angekommen, war nicht schwer zu finden, ab Planten un Blomen immer der Masse nach.
Mladen Petric mit Krawatte, umlagert von Fans, die Autogramme wollen – wie lange noch Hamburger? Lies FAZ von heute
Auftritt Hoffmann, gibt sich cool lächelnd, Remis in der Blitzlichtwertung mit Barbarez
Geht los: Durchatmen, Presse darf diesmal bleiben, vor zwei Jahren gabs Auf-Wiedersehen-Gesänge für die Kollegen
Totengedenken, Ehrung verdienter Amateursportler und Ehrenamtler – HSV, ein deutscher Verein. Von Brisanz bislang keine Spur
Von 4-5000 anwesenden Mitgliedern ist die Rede
Erster Schusswechsel mit Reaktionen aus dem Plenum: Streit um Tagesordnung, Hoffmanns erste Wortmeldung aggressiv
Geht los mit TOP Aufsichtsratswahl, Vorstellungsrunde mit zwanzig Kandidaten plus Fragerunde, ein Marathon steht bevor
Redner Pogalla, auf den sanften Supporters-Wahlkampf anspielend: „Ich hoffe, wir erleben nach der Wahl nicht die Ypsilanti des HSV!“
Mächtig Gegenwind für die Supporters durch die Redner und das Plenum / sind noch in der Phase vor der Vorstellungsrunde
Buhrufe für Supporters-Fürsprecher lassen Hoffmann 10cm wachsen, kann sich gerade noch ein Lächeln verkneifen
Hätt ich mir für heute die St.-Pauli-Cap meines Kumpels leihen sollen?
Hoffmann-Vorgänger und -Kritiker Hunke ist dran mit vorstellen, Drückerkolonnen-Charme, Hoffmann beißt sich auf die Lippen, kuckt an die Decke
Unternehmer Karan mit heiterem und ernstem Auftritt, gibt auf Nachfrage zu, Ronald Schills Wahlkampf unterstützt zu haben, dann aber von ihm enttäuscht wurde und sich abgewandt hat
Klinik-Chef Debatin, Bandow-Kandidat, stark in der Bütt, auch bei Nachfragen, sicherer Kandidat
Willi Schulz, 66 Länderspiele für den HSV, liest vom Blatt ab, bekommt Nachfragen – schwache Repliken / nun der erste Supporter: Ingo Thiel
Thiel: inhaltlich gut, aber ohne Charisma – Tendenz keine Chance
Meine Schlagzeile vom Freitag wurde vorhin ablehnend zitiert: „Machtkampf zwischen Basis und Vorstand“
Dass Katrin Sattelmairs Vater für Bild Kolumnen schreibt, wie sie auf Nachfrage einräumt, kostet ihr die letzte Wahlchance, raunendes Publikum
Barbarez, ein Favorit: „Bilanzen kann ich keine lesen, weiß aber, wie das Geschäft läuft“ / viele Sympathien für ihn, aber auch kritische Fragen zu seinem Wechsel nach Leverkusen
Barbarez hätte sich auf diese Nachfrage fast verplappert („Was will man machen, wenn man nicht mehr geliebt …?“) / Anmerkung: der aktuelle Vorstand war es ja, der ihm vor drei Jahren keine 2 Millionen mehr anbot
Will auf seinem neuen Posten die Titel nachholen, die er als Spieler für den HSV versäumt hat
Gleich Supporter Ertel vom Spiegel, neben Liebnau der brisanteste fall – Hoffmann-Gegner und Journalist, was ein Konflikt ist
Supporter Ertel (58): neben Debatin beste Rede, bester Redner, wird aber vom Plenum bearbeitet, von Hoffmann vom Hallenrand aus beäugt, der ihn ernst nimmt
Den Rollenkonflikt in der Doppelrolle Journalist/Aufsichtsrat will Ertel nicht erkennen
Ex-Stadionsprecher und Schauspieler Marek Erhardt heute nicht ganz so penetrant auf Sendung und Wirkung aus wie sonst
Jetzt Jojo Liebnau – ob er ein Hasslied auf Werder oder Hoffenheim oder gar den Aufsichtsrat anstimmt?
Guter Auftritt von Liebnau: „Aufsichtsrat braucht jugendliche Auffrischung“, kühler Applaus von
Hoffmann, Plenum scheint auf seiner Seite
Bernd Enge, aktueller Aufsichtsrat und letzter Redner: „Die Ersatzspieler haben wir für 5 millionen an Werder Bremen verkauft.“
Wahl, Pause für mich, Tipps: Liebnau, Barbarez, Hunke, Enge, Horst Becker, Otto, Debatin, Wulff
2 Euro für nen Schluck Cola auf der Mitgliederversammlung – wie weit wollen sie an dieser Schraube drehen, Herr Hoffmann?
Kurzer Plausch mit Ertel, rechnet sich und Supporters wenig Chancen aus, ist enttäuscht über Angriffe und Unterstellungen des Plenums gegen ihn
HSV wählt konservativ, korrigiere: extrem konservativ: Horst Becker, Otto, Debatin, Karan, Wulff, Enge stehen fest – kein Supporter gewählt! Hunke als 12. raus
Wahlgang 2: Barbarez und Peter Becker, der letzte Bandow-Kandidat drin, Liebnau raus – Überraschung, Hoffmann großer Sieger
Starker Wirtschaftsflügel im neuen Aufsichtsrat / viele blasse Typen
Hoffmann versucht, seine Genugtuung zu verbergen: „Supporters machen tolle Arbeit, lasst uns wieder eine Einheit werden!“
Hoffmann: „Ich bin stolz, dieser Gemeinschaft vorzustehen, es ist eine tolle Vereinsdemokratie“ – gönnerhafte Siegerrhetorik
Versöhnliche Adresse an die Supporters: „Es gab Beulen im Wahlkampf. Lasst uns wieder eine Einheit werden!“
Supporters-Chef Bednarek: „Wenigstens ein Teilziel erreicht: der Aufsichtsrat ist neu besetzt“ – Verliererrhetorik
Zur Erinnerung, Herr Bednarek: Horst Becker, aktueller Aufsichtsratsvorsitzende, bekam die meisten Stimmen, etwa 75 Prozent
Liebnau: „Enttäuschung ja, aber eine demokratische Wahl ist zu akzeptieren. Immerhin haben wir erreicht, den Dialog zu entfachen.“
Dass Hoffmann auf offener Bühne ankündigt, keine 97 Euro mehr für ein Ticket zu verlangen, schreibt Liebnau den Supporters gut – und schiebt süffisant nach: „Wenn Hoffmann sich dran hält“
Hoffmann: „97 Euro gegen Werder war ein Fehler, tut mir leid, kommt nicht wieder vor.“
Ex-Vorstand Reichert begründet seinen Rücktritt im September 08 mit „fehlendem Vertrauen“ durch Hoffmann
Reichert: „Lieber Bernd, ohne ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen wird es nicht funktionieren, den Verein zu einen.“
Reicherts Kritik kommt zu spät, die Messen sind gesungen, die Leute, wenn sie nicht schon weg sind, müde
Diskussion über Tagesordnung: Hinter den Kulissen ist von einem „Skandal“ die Rede, dass vor dem Bericht des Vorstands gewählt wurde
Die größte Mitgliederversammlung aller Zeiten ist zu Ende, der Saal fast leer, die Revolte ausgefallen
Schlechte Zeiten für eine Wende: Platz 4, gute Bilanzen, Stadion ist immer voll.
Zeit für den Heimweg nach St. Pauli
Ertel in den Tagesthemen: „Ein stromlinienförmiger Aufsichtsrat. Alles ehrenwerte Menschen, aber zu viele von der gleichen Sorte.“
Bernd Hoffmann zwischen Selbstbewusstsein und Skepsis
von Oliver FritschIch hab mich vorgestern mit Bernd Hoffmann in einem Café in Hamburg getroffen. Wie groß ist seine Furcht, den Job zu verlieren, wenn morgen tatsächlich die vier Supporters-Kandidaten (oder drei der vier) in den Aufsichtsrat gewählt werden sollten? Wie wertschätzt er, der Geschäftsmann und Macher, die Vereinsstruktur des HSV, und ihre basisdemokratischen Elemente? Ist Hoffmann tatsächlich das Gegenstück zu einem Fußballfan? Der Spiegel hat in seiner langen Story den Eindruck erweckt, als würde Hoffmann bei Toren mit dem HSV das Champagner-Glas erheben, und die Leute, die neben ihm im Stadion sitzen, mit den Juwelen klimpern. Wie weit will er die „Kommerzialisierung“ des Fußballs noch vorantreiben?
Eine Stunde Zeit hat er, mehr als ursprünglich vereinbart. Doch kein Interview heißt es. „Wir haben bislang kein Interview zu dem Thema gegeben und wollen nun keine Ausnahme machen.“ Am besten gar kein Wortlaut. Also meinetwegen. Offen und gesprächig ist er. Ich hatte ja an dieser Stelle ein Interview angekündigt. Ein Missverständnis. Oder: mein Fehler.
Hoffmann will keinen Zweifel an sich und seiner Arbeit aufkommen lassen, weiß aber natürlich um seine Situation und was morgen für ihn auf dem Spiel stehen könnte. Vielleicht nicht unbedingt sein Job, aber das Tagesgeschäft könnte ihm erschwert werden. Eine Bewertung der Supporters-Kandidaten scheut er, über sie lässt er kein schlechtes Wort fallen. Dass es Leute im Verein gibt, die eine andere Führung wollen, sei ihm klar. Und schiebt nach, dass er diese nicht mit den Supporters gleichgesetzt wissen will. Manfred Ertels Aussage in der SZ („Hoffmanns Job wird schwerer“) hat er gelesen. Ihm gegenüber hegt er Skepsis. Sergej Barbarez sei übrigens nicht Hoffmanns Kandidat.
Stolz ist er auf seine Bilanzen: sportlich, bis auf eine kurze Talfahrt vor zwei Jahren, konstant gut; wirtschaftlich gesund, gerade erst wurde Nigel de Jong weit über Marktwert verkauft; das Stadion ist voll; die Reputation in der Stadt sei gestiegen. Dieses Selbstbewusstsein spricht aus ihm in jedem Satz, in jedem Blick. Klar ist ihm, dass er wenig Bonus hat. Als der HSV im Winter 2006/2007 auf dem letzten Tabellenplatz stand, hat die Lokalpresse seinen Kopf gefordert.
97 € für ein Bundesliga-Ticket hat der HSV beim Heimspiel gegen Werder Bremen im November verlangt, zumindest für ein Kontingent von etwa tausend Plätzen. Wie weit kann man an dieser Spirale noch drehen? Dass das in der Öffentlichkeit das Bild vom Business-Hoffmann bestätigt, dürfte er gelernt haben. Hätte man natürlich vorher wissen können. Die Kritiker weist er darauf hin, dass der Klub die Preise für Spiele in der Woche reduziere, etwa in nationalen oder internationalen Pokalwettbewerben.
Ein eingetragener Verein macht neunstellige Umsätze im Jahr – das wertet Bernd Hoffmann als Anachronismus. Strukturen würde er gerne modernisieren, weiß aber, dass er in Hamburg keine Chance hätte, das umzusetzen. Vermutlich ist er einer der größten Gegner der 50+1-Regel, aber er könnte derjenige sein, der am wenigsten von ihrer Abschaffung profitierte. Rahmenbedingungen macht er nicht für alles verantwortlich: Dass sein HSV vor drei Jahren gegen Rapid Bukarest aus dem Uefa-Pokal ausgeschieden ist, habe nichts mit fehlenden Investoren zu tun.
In der Kritik steht Hoffmann, weil er dem Sportchef der Hamburger Bild-Zeitung zum 60. Geburtstag eine Uhr im Wert von über 1.000 € geschenkt hat. Hat er sich das Wohlwollen der Redaktion gekauft? Die Bild-Zeitung teilte oft kräftig gegen ihn aus, inzwischen bekommen es die Hoffmann-Gegner aus dem Supporters-Lager ab. Hoffmann bestreitet einen Zusammenhang, und er bestreitet einen Hintergedanken. Es sei üblich, sich bei langjährigen Partnern wie Sponsoren und Journalisten mit einer Nettigkeit zu bedanken. Wie konkret üblich, sagt er auch auf Nachfrage nicht. Dass er Journalisten als Partner und in einem Atemzug mit Sponsoren nennt, enthüllt ein fragliches Bild von Journalisten. Aber es ist ein Zustand, den Hoffmann nicht zu verantworten hat, sondern die Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Anhänger. Als Journalist hat man Geschenke nicht anzunehmen.
Kann man Hoffmann, den Mann, der die Raute angeblich nicht im Herzen trägt, auf dem falschen Fuß erwischen? „Können Sie mir die Elf von Athen 83 nennen?“ HSV-Fan ist er ja nicht seit seiner Kindheit. Hat er aber auch nie behauptet. Immerhin acht kriegt er aber zusammen. Und ich muss ehrlich sein: Mir hat auch einer gefehlt: Bastrup. Ich hatte von Heesen auf der Rechnung, der wurde aber eingewechselt.
Ich bin den Antworten ein Stück nähergekommen. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Eine Frage bleibt: Wie weit würde Hoffmann gehen, wenn er unkontrolliert tun und lassen könnte, wie er wollte? Und natürlich auch: Wie weit werden seine neuen Kontrolleure gehen?
Nachzulesen auch auf Zeit Online, für deren Redaktion ich arbeite. Ich versuche heute ab etwa 10 Uhr, die Eindrücke von der Aufsichtsratswahl live für Zeit Online Sport zu twittern.
Das Anti-Hoffenheim
von Oliver FritschAm Sonntag wählen die Mitglieder des Hamburger SV acht von zwölf Mitgliedern ihres Aufsichtsrates neu, der unter anderem darüber entscheidet, ob der Vertrag des Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann verlängert wird. Muss er um seinen Job fürchten? Angeblich planen die Supporters, die rund 45.000 Mann starke Mitgliedergruppe, sich die Macht zu erschleichen, um ihn abzusetzen. Diesen Teufel malt zumindest die Hamburger Boulevardpresse an die Wand, seitdem bekannt ist, dass die Supporters vier Kandidaten ins Rennen schicken. Die lokale Prominenz hat sich den Warnungen angeschlossen, etwa Uwe Seeler, Ole von Beust und einige ehemalige Funktionäre.
Was wird Hoffmann vorgeworfen, der seit 2003 den Verein führt und der eine saubere wirtschaftliche und eine gute sportliche Bilanz präsentieren kann? Hoffmann hatte zu Beginn seiner Amtszeit versucht, die Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft auszugliedern. Um unabhängiger und professioneller handeln zu können, sagt er. Um das Tafelsilber des Klubs für den schnellen Erfolg zu verkaufen und den Fußball den Mitgliedern zu entziehen, entgegnen die Kritiker. Die Mitglieder lehnten seinen Plan 2005 eindeutig ab. Der Argwohn mancher ist geblieben. Einerseits.
Andererseits treten die sonst gerne, wenn auch oft romantisierend, kritischen Supporters derzeit sehr brav auf. Auf der Wahlkampfveranstaltung in der vorigen Woche im Hotel Grand Elysée gab es nur lobende Worte für den Vorstand. Auch Ralf Bednarek, Chef der Supporters, sagt: „Der Vorstand macht gute Arbeit. Es geht um den Aufsichtsrat, nicht um den Vorstand.“
Doch viele, auch aus den eigenen Reihen, halten diesen neuen Kurs für unglaubwürdig. „Habt Ihr Kreide gefressen – jetzt, kurz vor der Wahl?“, fragt ein Zuhörer. In den Fan-Foren gibt es seit Monaten Kritik an den Supporters, auch im Stadion waren Differenzen nicht zu überhören. Hoffmann gibt vor, keine Angst um seinen Job zu haben. Allenfalls hege er Bedenken, das Alltagsgeschäft könne unter einem widerspenstigen Aufsichtsrat leiden.
Es geht um Macht, auch wenn die Kandidaten das so nicht aussprechen. „Ich verfolge keine persönliche Interessen, mir geht es um den Verein“, sagt Johannes Liebnau, einer der vier. Liebnau wäre ein ungewöhnlicher Aufsichtsrat. Nicht nur, weil er erst 26 Jahre zählt, sondern weil er der „Capo“ ist, der Vorsänger der HSV-Ultras. Auch wenn er es von sich weist – natürlich ist auch das ein statusreicher Posten. Einer, der einem das Gefühl von Bedeutung schenkt. Die Tausende in der Kurve lassen sich nicht von jedem dirigieren, das darf nur einer, der in der Hierarchie oben steht. Darf jemand, der Schmähgesänge auf Werder Bremen anstimmt, einen hanseatischen, renommierten Sportverein repräsentieren?, fragen viele nun pikiert.
Doch Liebnau ist ein eloquenter Typ mit Studienabschluss Betriebswirtschaft. Auch die anderen Supporters-Kandidaten sind keine Halbstarken oder Hooligans. Anja Stäcker ist Bankkauffrau, Ingo Thiel ist Unternehmer, und Manfred Ertel ist Journalist beim Spiegel. Ertel, der als Hoffmann-Gegner gilt, verkaufte sich während der Wahlveranstaltung sehr überzeugend. Es gehe ihm zeit seines Lebens um die „Kontrolle von Mächtigen“, sagte er zu seiner Motivation, sich für das Ehrenamt Aufsichtsrat zu bewerben. Er verbitte es sich, als „Idiot öffentlich herabgesetzt zu werden“, wie das einige Altvordere des Vereins in den Medien taten. Schwer vorzustellen, dass Ertel entgegen seinen Beteuerungen einen Putsch plant, zumal er wissen dürfte, dass er, um den Zorn der Anhänger zu entfliehen, anschließend die Stadt verlassen müsste. Doch es ist Ertel, der die Skepsis Hoffmanns auf sich zieht. Liebnau anscheinend weniger.
Manfred Ertel: „Wir wollen Fußball bezahlbar machen.“
Prinzipiell sind die Hamburger auf ihre Klubstruktur stolz: Ein fester Aufsichtsratsposten ist ihnen per Satzung garantiert, einer der vier Vorstandsposten ist mit einem Delegierten besetzt, der nur für die Belange der Mitglieder zuständig ist; derzeit ist das Oliver Scheel. In Zeiten, in denen der deutsche Fußball die Abschaffung der 50+1-Regel erwägt, in Zeiten, in denen in England Scheichs und Rohstoffmilliardäre Klubs feindlich übernehmen, gilt der HSV als Bastion der Demokratie. Fans anderer Klubs beneiden ihre Konkurrenten aus Hamburg. Bloß, wie weit sind Mitbestimmung und Demokratie im Milliarden-Business Profifußball hilfreich?
Ob es Zufall ist, dass die Hamburger Basis gerade jetzt verschärft um ihre Macht kämpft? Die TSG Hoffenheim scheint zu beweisen, dass Einfluss von Außen dem sportlichen Erfolg eines Klubs schadet. Trainer Ralf Rangnick und sein kleins Team haben keine Schlagzeilen des Boulevards zu fürchten, kein Vereinsveteran redet ihnen rein, Mäzen Dietmar Hopp gibt ihnen freie Hand – und Fans, die die Entlassung von irgendwem fordern oder Spieler auspfeifen, gibt es (noch) nicht. Hoffenheim ist nicht nur deswegen so erfolgreich, weil sie fähige Leute beschäftigen. Hoffenheim ist deswegen so erfolgreich, weil die fähigen Leute in Ruhe arbeiten können. Hoffenheim ist Tabellenführer ohne gewachsene Fan-Kultur.
Echte Fans wollen keine Kunden oder Trikotkäufer sein. Fan-Sein heißt, an seine Wirkung glauben. Dem Vorstand die Meinung geigen, die Gegner-Fans übertrumpfen, die Mannschaft zum Sieg brüllen. Liebnau glaubt, dass sein Chor dazu beigetragen hat, dass der HSV seit Jahren so gut spielt, dass er sich immer für den Europapokal qualifiziert. Liebnau glaubt, dass er dazu beigetragen hat. Und das sagt er auch.
Im vergangenen Oktober verlor der HSV gegen Hoffenheim chancenlos 0:3, die Stimmung machten die HSV-Fans. In einem Auswärtsspiel! Und wenn nicht alles täuscht, schreien die HSV-Fans nicht mehr dann am lautesten, wenn ein Gegentor der Bayern oder von Werder aus einem fremden Stadion vermeldet wird, sondern eins von Hoffenheim. Wenn man schon die Bundesliga-Tabelle nicht anführt, dann wenigstens die Support-Rangliste. Und dort ist dem HSV Platz 1 nicht zu nehmen. Erst recht nicht, wenn am Sonntag der Aufsichtsrat mit Liebnau und seinen Mitstreitern bestückt wird.
Ingo Thiel: „Der Vorstand hat gelernt. Es gibt keinen Grund, jemanden abzusägen.“
Bernd Hoffmann macht gute Arbeit
von Oliver FritschInterview mit Ralf Bednarek (34), seit Oktober Abteilungsleiter der Fördernden Mitglieder / Supporters Club (kurz: Supporters) beim Hamburger SV
direkter freistoss: Wollen Sie den Vorstand des Hamburger SV putschen, wie es in einigen Zeitungen stand?
Ralf Bednarek: Die Berichte habe ich auch gelesen und mich sehr gewundert. Wir haben nichts gegen Bernd Hoffmann. Wir wollen und pflegen ein gutes Miteinander. Der Vorstand macht gute Arbeit, der Klub steht sportlich und wirtschaftlich sehr gut da. Es wäre vermessen, wenn wir ihn absetzen wollten. Ich kenne keinen, der den Vorstand stürzen will. Am 25. Januar geht es um die Wahl des Aufsichtsrates, der Vorstand selber steht gar nicht zur Disposition.
df: Der Aufsichtsrat wird über die Vertragsverlängerung mit dem Vorstand entscheiden.
Bednarek: Die Supporters sind mit Teilen des Aufsichtsrates unzufrieden, deswegen haben wir vier Kandidaten nominiert. Das haben wir bereits vor vier Jahren getan. Politische Ambitionen daraus abzulesen, ist überzogen. Übrigens, der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Udo Bandow schickt ebenso vier Kandidaten ins Rennen. Da spricht keiner von einem Putschversuch, noch nicht mal von Kritik am Aufsichtsrat. Interessant, dass das mit zweierlei Maß bewertet wird.
df: Es gibt Skeptiker, die nicht mal aus den Reihen des Vorstands stammen, die den Supporters-Kandidaten vorwerfen, Kreide zu fressen: jahrelang kritisieren und jetzt, wo die Wahl ansteht, leise auftreten. Lassen die Supporters nach der Wahl die Katze aus dem Sack?
Bednarek: Da entsteht ein völlig falscher Eindruck. Unsere Kandidaten haben nie den Rücktritt Hoffmanns gefordert. Manfred Ertel, Ingo Thiel, Anja Stäcker und Johannes Liebnau betreiben seit Jahren ehrenamtliche Arbeit und handeln immer im Sinne des Vereins. Selbst in schwierigsten Zeiten sind wir nie so weit gegangen wie andere: Als der HSV vor zwei Jahren Tabellenletzter war, gab es keine Sitzblockaden, sondern wir haben eine Jetzt-erst-recht-Kampagne losgetreten. Es waren die Medien, die dem Vorstand die Entlassungspapiere in die Hand drücken wollten.
df: Die vier Kandidaten wirken sehr handzahm. Bei der Vorstellungsrunde im Elysée vor einer Woche waren alle voll des Lobs für Hoffmann, Dietmar Beiersdorfer und Katja Kraus. Das war nicht immer so. Gibt es denn auf einmal gar nichts Kritikwürdiges?
Bednarek: Nicht viel. Der Erfolg gibt dem Vorstand Recht: Wir sind seit sechs Jahren in internationalen Wettbewerben vertreten, UI-Cup eingerechnet. Das Stadion ist so gut wie immer voll. Die Bilanzen stimmen. Es geht um Kleinigkeiten, Liebnau wünscht sich zum Beispiel mehr Wir-Gefühl, andere eine bessere Kommunikation. Kritik, so scheint es, darf nicht jederzeit und nicht von allen öffentlich geäußert werden. Das sollte sich ändern. Ich sage es noch einmal: Es geht ausschließlich um den Aufsichtsrat.
df: Dass Liebnau nun in den Aufsichtsrat will und seinen Job als Vorsänger in der Kurve nicht aufgeben möchte, finden einige Kritiker unmöglich. Darf jemand, der „dem SV Werder Tod und Hass“ wünscht, den Verein repräsentieren?
Bednarek: Die Kritik daran teile ich nicht, ich akzeptiere sie aber. Was Liebnau singt, ist zum Teil wahrhaft nicht druckreif. Allerdings sind wir beim Fußball – und nicht in der Oper. Hier gehören Emotionen dazu. Und solange sie sich in Grenzen halten, finde ich das in Ordnung.
df: Welche Aufgaben üben die Supporters im Verein aus?
Bednarek: Wir machen die Stimmung, wir organisieren die Auswärtsfahrten, wir verteilen die Karten – und zwar auch nach dem Faktor, wer wie lange und wie oft dabei ist. Um die Hamburger Vereinsstruktur, die uns Mitgliedern Mitbestimmung einräumt, beneiden uns die Konkurrenten. Nicht nur die aus dem Inland, auf uns schaut Europa. Neulich war die BBC hier, um eine Dokumentation zu drehen, danach eine schwedische Reportergruppe. In Hannover und München gibt es keine Fans, sondern Kunden. Wir in Hamburg haben das Spiel behalten.
df: Und das stört den Vorstand?
Bednarek: Hoffmann wollte die Ausgliederung der Profiabteilung, die Mitglieder haben sie vor vier Jahren deutlich abgelehnt. Sie haben sich ihre Rechte am Fußball erhalten. Wenn Sie mich fragen – ich bin nicht für die 50+1-Regel, ich bin für die 100-Regel. So lassen sich unsere Ideale besser durchsetzen.
df: Was sind denn Ihre Ideale?
Bednarek: Erstens gehört der Verein seinen Mitgliedern. Zweitens: Erfolg ja, aber nicht um jeden Preis. Wir sind nicht so naiv und glauben, ohne Kommerz auskommen zu können. Wir sind keine Romantiker. Wir wollen Geld verdienen, um Fußball zu spielen. Der Trend geht aber in die andere Richtung: Fußball spielen, um Geld zu verdienen.
df: Sprechen Sie jetzt vom HSV?
Bednarek: Nein, vom Allgemeinen. Beim HSV müssen wir aufpassen, dass wir den Bogen nicht überspannen. Wohin das führt, sehen wir in England: den Niedergang der Fan-Kultur. Heute blicken Engländer und andere neidisch auf Deutschland, das Paradies für Fußballfans: Stehplätze, billige Tickets, gute Stimmung, volle Stadien.
df: Zum Beispiel die HSH Nordbank Arena.
Bednarek: Früher haben wir immer über die Betonschüssel Volksparkstadion gemeckert. Heute sind wir stolz auf unsere Arena. Wie auch immer sie heißt. Dass der Name verkauft wurde, hat den Bau des Stadions erst ermöglicht.
df: Spricht die (inzwischen gescheiterte) Ochsenzoll-Kandidatur Guido Zerbes nicht dafür, dass die Supporters große Macht anstreben? Wird der Vorstand nicht zurecht skeptisch?
Bednarek: Guido Zerbe ist ein Mitglied unserer Abteilung. Er war aber kein Kandidat unserer Abteilung in Ochsenzoll. Er hat aus eigenem Antrieb und ohne unsere Unterstützung kandidiert. Unsere Abteilung stellt ca. 85 Prozent der Mitglieder des Vereins. Da wird es schon aus statistischen Gründen immer wieder zu Kandidaturen von unseren Mitgliedern kommen – ohne dass die Abteilung diese Kandidaten dann ins Rennen geschickt hat.
Manfred Ertel, einer der vier Supporters-Kandidaten, auf einer Pressekonferenz der Supporters am 15. Januar im Grand Elysée in Hamburg. Links neben ihm Jörg Liebnau, der Hamburger Capo, rechts Ralf Bednarek
Deutsche Fußball-Ideologie
von René MartensAm Ende des Buchs „Fußball-Volksgemeinschaft“. Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-1964 stehen die Sätze: „Der Propagandaminister 1936 auf der Ehrentribüne des Berliner Olympiastadions – das war die Tragödie. Am gleichen Ort 70 Jahre später die Bundeskanzlerin – das ist die Farce.“ Ein Interview mit Autor Rudolf Oswald zu einem der wichtigsten Fußballbücher der letzten Jahre findet sich in der WOZ.
Warmlaufen für das Interview mit Bernd Hoffmann (HSV)
von Oliver FritschMorgen Treffen mit Bernd Hoffmann, Vorstand des Hamburger SV – Interview. Es geht um die Wahl des neuen Aufsichtsrates am Sonntag, für den vier Supporter kandidieren, unter anderem der Vorsänger aus dem Fan-Block, Johannes Liebnau. Angeblich planen die Supporters, die Macht im Aufsichtsrat des HSV anzustreben, um Hoffmann abzusetzen. Diesen Teufel malt(e) zumindest die Hamburger Boulevardpresse an die Wand. Die Supporters bestreiten das und loben Hoffmann nun für gute Arbeit, tolle sportliche und wirtschaftliche Bilanzen. Das wiederum lässt einige vermuten: Haben die Kreide gefressen? Die Welt hat sich damit befasst (und zwar ohne Klickstrecke), im aktuellen Spiegel liest man eine ausführliche Story. Es geht um Mitbestimmung, wirtschaftliche Kompetenz und natürlich Macht.
Da Sie, liebe Leser, oft gute Ideen haben und sowieso mehr wissen als ich, bitte ich Sie wie immer: Haben Sie Argumente, Beispiele, Fragen? HSV-Fans hier anwesend? Entweder in den Blog-Kommentaren oder per E-Mail, Deadline ist Freitag, 9 Uhr. Ich kann natürlich nicht garantieren, dass ich jedes Thema aufgreife.
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