Magath spielt Poker statt Schach
von Oliver FritschDass Felix Magath Schalke 04 dem VfL Wolfsburg den Vorzug gibt, ist angesichts der Umstände außergewöhnlich: Wolfsburg steht auf Platz 1 und kurz vor der Qualifikation zur Champions League, spielt attraktiven Fußball und gesteht dem Trainermanager Magath ein hohes Maß an Autonomie und Befugnis zu. Der Wolfsburger Erfolg wird alleine an Magath festgemacht, im Klub gibt es keinen Altverdienten, der ihm auch nur eine Nuance streitig macht. Zudem ist der Volkswagen-Klub bereit zu investieren, wenn auch angesichts der globalen Lage weniger als zuvor. Was kann man mehr wollen?
Schalke blickt auf eine enttäuschende Saison zurück, qualifiziert sich höchstwahrscheinlich nicht mal für die Europa League (ehemals Uefa-Pokal) und wird, wie es heißt, sparen müssen. Doch Schalke hat offenkundig noch immer eine andere Bedeutung, einen anderen Klang. Tradition ist im Fußball ein enormer Wert. Welch ein bitterer Rückschlag für den aufstrebenden VfL: Der Verein fühlt sich oben angekommen und verliert den Trainer an einen besseren Namen!
(Lassen wir mal beiseite, dass es um Geld ging. Oder um andere Dinge, die Außenstehende nicht wissen können.) Auch die Tatsache, dass Schalke ein Vielfaches an Fans hat, wird ein Faktor sein. Doch zuerst spricht der Wechsel für Magaths Ehrgeiz und Tatendrang. Den VfL befreite er in zwei Jahren aus der stillen Ecke, jetzt hat er ähnliches mit Schalke vor. Es reizt ihn, etwas Neues aufzubauen. Es reizt ihn, etwas, das am Boden liegt, aufzurichten. Es ist ihm auf fast all seinen Trainerstationen gelungen, etwa in Frankfurt, Nürnberg und Hamburg. Oder beim VfB Stuttgart, dem er vor fünf Jahren in einer ähnlichen Situation auf ähnliche Weise den Rücken gekehrt hat.
Magath gilt für den Moment als Sieger. Als Stratege und Meistertrainer, der sich seine Adresse aussuchen kann. Am liebsten sind ihm offenbar viele Adressen. Viele Vereine, mit denen man die Bayern überflügeln kann, die ihn vor zwei Jahren vor die Tür setzten. Und die er kürzlich mit einem 5:1 und einem Torwartwechsel in der Schlussminute gedemütigt hat.
Als Grund für seinen Abgang gibt Magath vor, mit Wolfsburg am Ende seines Wegs zu sein, früher als geplant. Doch wem will er diese Story verkaufen? Schalke und er haben sich wohl im März geeinigt – zu einer Zeit, als Wolfsburg auf Platz 3 stand. Sollte Wolfsburg „nur“ Zweiter werden, wird man diesen „Misserfolg“, der eigentlich ein großer Erfolg ist, Magaths Fahnenflucht zuschreiben. Ein Makel, der aus seiner Karriere nicht mehr zu tilgen sein wird. Vielleicht empfängt Schalke keinen Meistertrainer, sondern einen Viertplatzierten. Vielleicht empfängt Schalke keinen bekennenden klugen Schachspieler, sondern einen Pokerspieler, der dieses Mal zu viel gesetzt und sich verzockt hat.
Was hätte man eigentlich dem vielerseits verschmähten Jürgen Klinsmann nachgesagt, wenn er sich wie Magath verhalten hätte? Projektleiter Cleverle wäre noch das freundlichste gewesen.
franzferdl schrieb am 8. Mai 2009:
vielleicht empfängt schalke aber auch einen trainermanager, der das fussballGESCHÄFT genau als solches durchschaut, aus seiner perspektive zweckrational entscheidet & dabei darum bemüht ist, ein höchstmaß an unabhängigkeit zu behalten & zu demonstrieren.
einer, der um seine ökonomisch grundsätzlich äußerst privilegierte situation weiss.
einer, der dieses wissen auch für sich zu nutzen weiss.
einer, der nicht jammert, der auch nicht bei seinem bayern-rauswurf jammerte, den er eh in relativ apathischer haltung erstens seit langer zeit kommen sah (zu recht, bayern spielte ende 07/anfang 08 genauso schrecklich wie heute, wie die ganzen letzten 8 jahre), und zweitens einfach hinnahm.
von mir gibts dafür ein sehr ernst gemeintes: hut ab! respekt, dass er sich diese position, selbst entscheidungen zu treffen & nicht getroffen zu werden, über die letzten jahre erarbeitet hat…
ps.: was sagt man denn über mcklinsi, der sich einen solch „abgewichsten“ vertrag (auch davor_ hut ab!) aushandeln liess, der ihm jetzt die eine oder gerne auch andere million einbringen wird (entweder als abfindung oder als vertragsmässige weiterzahlung)?
Oliver Fritsch schrieb am 8. Mai 2009:
Ich glaube nicht, dass Magath die beste Trainingsmethodik hat. Ich glaube hingegen, dass er am umfangreichsten trainieren lässt. Viel hilft viel – eine alte trainingswissenschaftliche Weisheit.
Ich erinnere mich übrignes noch an Magaths Zitat vor der WM 06: „Ich fahr in Urlaub, ich kuck mir kein Spiel an.“ Das habe ich als äußerst grimmig und griesgrämig empfunden.
franzferdl schrieb am 8. Mai 2009:
von trainingsmethodik steht in meinem kommentar, glaub ich, nix drin. bezog mich eher auf das ökonomische drumherum. aber, wenn wir schon dabei sind, sollte man sich auch in bezug auf trainingsmethodik die alte zauberfrage stellen: was kommt hinten dabei raus?
und auf welcher grundlage kriegt man raus, wer die „beste trainingsmethodik“ hat? gehören gummibänder oder medizinbälle dazu?
und zeitweise wirkt er tatsächlich „äußerst grimmig und griesgrämig“. aber was hat das zu bedeuten?
Jörg Stielau schrieb am 8. Mai 2009:
tja … die Schlagzeile trifft es … der Text auch. Man schwankt als Fan zwischen „Verpiß Dich doch Du alter Sack“ und „Ach, Felix, danke für die schönen Stunden, die ich als VFL-Fan die zwei Jahre erleben durfte.“ Man ist enttäuscht, das die Zeit des Aufbruchs evtl. jäh gestoppt wird, das der VFL ins Mittelmaß zurückfallen könnte und die Gazetten den Schleier der grauen Maus wieder über die Wölfe legen werden. Magath glänzte und damit auch der Club. Was wird aus den Spieler, was wird aus der Monostruktur, die er geschaffen hat. Bricht alles zusammen oder hat er wirklich einen Weg geebnet, der den Verantwortlich vor Augen führt, wie man dauerhaft erfolgreich in der 1. Fußballbundesliga spielen kann.
Als Zwischenzeile finde ich es schon interessant, dass Herr Magath schon Ende des letzten Jahres, als er seine Option nicht zog, wußte, das er mit dem VFL alles in kurzer Zeit erreicht hat. Das er vor 4 Wochen schon bei Schalke unterschrieb bzw. verhandelte, wo der VFL noch nicht mal den Uefacupplatz sicher hatte. Es ist bedenklich …
Ich hoffe auf Armin Veh oder Mirco Slomka als Trainer. Beide international erfahren in Sachen Fußball und mit einem guten Standing in der Liga. Nur kein spuckendes Lama aus den Niederlanden. Der paßt hier nicht her …
Mal schauen, wie es weiter geht. Die Schale würde sicherlich den Abschied am 23.05. in der Volkswagenarena milder stimmen.
Oliver Fritsch schrieb am 8. Mai 2009:
Vielleicht meinen Sie ja das bayerische Fußballgeschäft. In Stuttgart ist Magath jedenfalls nicht gefeuert worden, in Wolfsburg auch nicht. Nicht jeder Verein hat einen Michael A. Roth oder einen Rummeniggebeckenbauer
Andre schrieb am 8. Mai 2009:
Ich bin da total einer Meinung mit franzferdl. Warum sich als Trainer immer zum Getriebenen machen lassen, der als erster für MIsserfolg verantwortlich gemacht wird und gehen muss? Wieso sollten Trainer krampfhaft auf Vereinstreue machen, ihre Spieler tun es doch auch nur bis zum nächsten besser notierten Vertrag. Hier die Charakterfrage zu stellen bedeutet mit zweierlei Maß zu messen und offenbart ein Stück weit auch Naivität.
Anderer Denkansatz: was kann Magath in Wolfsburg nächstes Jahr noch gewinnen? Wenn er Pech hat fliegt er in der Gruppenphase der Champions League sang- und klanglos raus, die Doppelbelastung führt aber dazu, dass sie in der Liga auf Platz 12 dümpeln. Wer ist dann wohl der erste, der gehen muss?
Außerdem scheint das Verhältnis zum AR (oder wie auch immer da die Hierarchien lauten) nicht so ungetrübt zu sein, wie es der momentane Erfolg vermuten lässt.
Interessant ist allerdings der Vergleich zu Klinsmann, dem trotz unfreiwilligen Von-Bord-Gehens ungleich schlimmere Sachen hinterhergerufen wurden. Wahrscheinlich liegt dies aber schlicht im Kontrast der unerwarteten Erfolge Wolfsburg gegenüber dem einmal mehr gedemütigten Selbstverständnis der Bayern-Fans begründet (von generellen Vorbehalten gegen Klinsmann von Anfang an ganz zu schweigen).
Oliver Fritsch schrieb am 8. Mai 2009:
Ich wills ja nicht unbedingt am Charakter festmachen. Aber Magath könnte sich ganz schön verzockt haben.
Oliver Fritsch schrieb am 8. Mai 2009:
Nach dem letzten Spiel für Stuttgart, als der VfB in Leverkusen die Champions League vergeigte, hat Magath Polizeischutz vor den Fans gebraucht. Steht das auch in Wolfsburg bevor?
Spielfeldrand - Das Magazin » Blog Archive » DailySoccer 08/05/2009 schrieb am 8. Mai 2009:
[…] Magath spielt Poker statt Schach […]
pelto schrieb am 8. Mai 2009:
Vielleicht sollte man auch bedenken, dass Wolfsburg ein Verein ist, der von genau einer Geldquelle abhängig ist. Und wenn die in den nächsten Jahren bzw. schon ab nächster Saison nicht mehr ganz so üppig sprudelt, wird es für Wolfsburg unglaublich schwer, auch nur die Spieler zu halten, mit denen sie diese Saison Erfolg hatten. Mit anderen Worten: Kann man (= Magath) einen Verein, dessen wirtschaftliche Basis ein Autohersteller ist, dauerhaft unter den Top-5-Vereinen der Bundesliga platzieren?
elm! schrieb am 11. Mai 2009:
na ja pelto, die geldquelle wolfsburgs ist – vermute ich mal – besser als viele andere, sprudelt sie doch nach wie vor, da insbesondere der autobauer aus wob (z.b. im vergleich zu dem aus stuttgart mit dem stern) recht gestärkt zu sein scheint.
aber wie dem auch sei, ich glaube magath verzockt sich nicht. er findet in schalke ein gefühltes trümmerfeld vor, nach gestern muss man um die europaliga bangen und kann es – denke ich – nur besser machen, wobei ich natürlich nicht verstehen kann, dass die „führung“ schalkes dem momentanen trainergespann nicht eine längere chace gibt. und da sehe ich das einzige mögliche problem magaths: clemens „mindestens vier jahre“ tönnies könnte die lust verlieren, wenn erstmal die ersten drei spieltage mit zwei niederlagen und einem unentschieden begangen werden. und dann könnten aus mindestens vier jahren eventuell auch maximal vier monate werden. andrereseits wird magath dem eventuell vorbeugen, indem er sich per vertrag den status eines cäsaren verschaffen wird.