Der Titel FC St. Pauli – Der Kampf geht weiter. Neues aus dem Leben eines Fans legt nicht unbedingt den Eindruck nahe, dass es in dem Buch um die Untiefen der Medienbranche geht. Doch tatsächlich geht es zumindest am Rande auch darum, denn Autor Hermann Schmidt ist im Hauptberuf Geschäftsführer beim Vertrieb des Jahreszeiten-Verlags (Jalag). Bei einer dieser branchenbezogenen Passagen kam mir der Gedanke, dass die so genannte Medienkrise, von der seit geraumer Zeit die Rede ist, nicht nur mit den üblicherweise genannten Faktoren zu tun hat (geändertes Mediennutzungsverhalten, sinkende Werbeerlöse), sondern zum Teil auch damit, dass die einflussreichen Verlagsmanager dieses Landes einfach ein bisschen zu einfach gestrickt sind, um in der komplexen Lage, in der sich die Medien derzeit befinden, die richtigen Entscheidungen zu treffen. In besagtem Abschnitt des Buchs beschreibt Schmidt, wie er 2008 das EM-Halbfinalspiel Deutschland-Türkei erlebt hat, nämlich gemeinsam mit Kollegen aus dem Vorstand des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Die Herren sahen die Partie im Journalisten-Club des Springer-Verlags, weil im Haus am selben Tag eine Sitzung des Vorstands stattfand. Das Entscheidende passierte vor dem Spiel. Schmidt schreibt: „Als die deutsche Nationalhymne gespielt wurde, erhoben sich diejenigen Vorstandsmitglieder, die sowieso bereits standen, von ihren Plätzen. Nur ich nicht.“
Schmidt, bei einigen Vorstandskollegen ohnehin als vaterlandsloser Geselle gebrandmarkt, weil er als Leiter der Arbeitskreises Mittelständische Verlage hin und wieder großverlagskritische Töne anschlägt, bekam daraufhin einiges zu hören, was nur teilweise scherzhaft gemeint war: „Unser Revolutionär steht nur bei der Internationalen auf.“ – „Buh!“ – „Aufstehen!“ -„Vielleicht ist seine Mutter Türkin.“
Die Hierarchen der deutschen Zeitschriftenbranche verhalten sich in gewissen Situationen also nicht anders als gewöhnliche Stammtischbrüder. Dass „zwei, drei Kollegen“ sich, „wie bei einem Kindergeburtstag die schwarz-rotgoldene Flagge auf die Wangen gemalt“ hatten, wie der Autor ebenfalls beschreibt, ist da noch vergleichsweise harmlos. Abgesehen davon, muss man auch erwähnen, dass Hermann Schmidt keineswegs ein „Revolutionär“ ist, sondern, wie er an anderer Stelle des Buchs bekennt, Fan seines antikommunistischen Nachnamensvetters Helmut Schmidt. Vielleicht durfte sich der der Jalag-Mann an diesem EM-Abend im vergangenen Sommer ja sogar glücklich schätzen, dass er nicht von einem Springer-Schergen rausgeschmissen wurde. Wer beispielsweise in einer US-Arena „aus welchen Gründen auch immer nicht aufsteht“, wenn die Hymne kommt, muss damit rechnen, aus dem Stadion verwiesen zu werden. Das hat Jürgen Kalwa neulich nebenan bei American Arena beschrieben.
Michael Jürgs, ehemals Chefredakteur des Stern, seitdem Autor diverser Sachbuch-Bestseller, hat einmal über die Manager aus der Medienbranche gesagt, dass „nicht alle, aber die meisten von ihnen genauso gut Nähmaschinen oder Würstchen verkaufen könnten“ und sie das ja auch tatsächlich tun müssten, „wenn sie uns, die Journalisten, nicht hätten“. Spätestens nach Hermann Schmidts Ausführungen über das Non Public Viewing mit dem VDZ-Vorstand sähe ich die im Text zitierten Herren mit dem schlichten Gemüt (sie werden nicht namentlich genannt, sind aber teilweise leicht identifizierbar) lieber in der Würstchen- oder Nähmaschinenbranche. Was das für Würstchenesser oder Nähmaschinenkäufer bedeuten würde, darüber dürfen andere spekulieren.
Disclosure: Hermann Schmidts Buch ist im Verlag die Werkstatt erschienen – wie die vierte Auflage meines Buchs Wunder gibt es immer wieder. Die Geschichte des FC St. Pauli. Der Verlag präsentiert die Neuerscheinungen am Freitag, den 25. September, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz (Clubheim in der Millerntor-Südtribüne, 11 Uhr).
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Le Roi schrieb am 22. September 2009:
Weitere Rezension lohnt nicht? Das erste Buch von HS hat IMHO keine guten Besprechungen erhalten, oder?
100 Jahre magisches Leiden, meine FC St. Pauli Jahrhundert-Elf — ☠Camp Ring2 schrieb am 22. September 2009:
[…] Pressekonferenz (Clubheim in der Millerntor-Südtribüne, 11 Uhr) mit dem Erscheinen von Hermann Schmidts Buch “FC St. Pauli – Der Kampf geht weiter. Neues aus dem Leben eines Fans” und ist im […]
nona schrieb am 23. September 2009:
Meine Amerikanier berichten mir, dass sie -wie viele andere auch- im Stadion ständig sitzen bleiben und deswegen nie rausgeschmissen werden.