Update 17:45 Der DFB hat soeben eine Pressemitteilung geschickt, in der er den Vorwurf gegen Manfred Amerell erhärtet:
Zusammenfassend bleibt nach Sichtung des Abschlussberichtes festzuhalten, dass es sich bei den im Raum stehenden Vorwürfen allen Aussagen zur Folge um keinen Einzelfall handelt. Unabhängig voneinander haben mehrere Personen in den Anhörungen zu Protokoll gegeben, von Herrn Amerell in der Vergangenheit bedrängt und/oder belästigt worden zu sein. Dass die Betroffenen diese Übergriffe so lange Zeit nicht gemeldet haben, begründeten sie übereinstimmend mit der latent vorhandenen Angst vor privaten oder beruflichen Nachteilen, die sich vor allem auf die weitere Entwicklung ihrer Laufbahn als Schiedsrichter bezogen. In Summe aller vorliegenden Erkenntnisse steht aus Sicht des DFB fest, dass Herr Amerell seine Pflichten als Mitglied des Schiedsrichterausschusses klar verletzt hat.
Desweiteren kündigt der DFB eine Reform des Schiedsrichterwesens an, die mehr Transparenz und weniger Abhängigkeitsverhältnisse zur Folge haben solle.
Laut Agenturen werde Jürgen Langer, dem Anwalt Amerells, seitens des DFB nun keine Akteneinsicht gewährt. Langer sagt: „Zur Stunde ist weder meinem Mandanten noch mir der konkrete Inhalt der Beschuldigungen bekannt. Elementarste Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens verlangen die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Es ist nicht hinnehmbar, diesen Anspruch durch das ‚Zuklappen der Akte‘ verhindern zu wollen.“ Ich wollte Langer anrufen, habe ihn aber noch nicht erreicht.
In einem Interview mit der Bild-Zeitung geht Theo Zwanziger deutlich auf Distanz zu Amerell: „Er wird stark und intensiv belastet. Seinen Rücktritt von allen Ämtern halte ich für absolut notwendig.“ Und ergänzt: „Mich macht der Brief des bayerischen Amateur-Schiedsrichters sehr nachdenklich. Er beschwert sich, dass ihm durch Amerell Nachteile entstanden seien.“
Die FR, die den Fall ans Licht gebracht hat, hat sich Zwanziger gewidmet: „Er muss fürchten, dass aus dem öffentlich konstatierten Chaos beim DFB geschlussfolgert wird, er habe seinen Laden nicht im Griff.“ Doch Zwanziger habe keinen Machtverlust zu fürchten: „Zu behaupten, die Zeit des Juristen aus Altendiez drohe abzulaufen, wäre die Übertreibung des Jahres.“ Hat das jemand getan?
Das Stück von Jan Christian Müller und Wolfgang Hettfleisch ist ein längeres Portrait, das sich der „Theokratie in der Otto-Fleck-Schneise“ widmet, dem Führungsstil Zwanzigers. „Es ist schwer zu sagen“, heißt es, „wo bei Zwanziger die persönliche Überzeugung endet und die Sphäre des Politischen beginnt.“
Thomas Kistner hält das Deutschlandradio in einem Telefonat über die Maulwürfe und andere Machtspielchen auf dem laufenden:
Thomas Kistner über den DFB-Fall Amerell
In der Welt lesen wir Hintergründe über die deutsche Schiedsrichterspitze:
Die Wahrheit liegt in einem Labyrinth aus Mauscheleien, Machtspielchen und Animositäten. Es zeigen sich die dunklen Seiten des quasi-autarken Pfeifenimperiums. Denn Rainer Koch wurde wohl kaum zufällig von Volker Roth übergangen. Koch versuchte in der Vergangenheit, Verkrustungen in Roths Abteilung aufzubrechen und mehr Transparenz hinein zu bringen. Ein Ansinnen, mit dem auch Hellmut Krug schon scheiterte. Der ehemalige Fifa-Schiedsrichter war bis 2007 Abteilungsleiter der DFB-Schiedsrichter, attackierte als solcher seinen Vorgesetzten Roth und forderte Reformen. Roth verweigerte sich, und Krug musste gehen. Die DFL, stets um grundsätzlichen Einfluss auf die Schiedsrichter bemüht, nahm ihn prompt als ‚Berater in Schiedsrichterfragen‘ auf. Als solcher kehrte er nur wenige Wochen nach seinem Ausscheiden als Ligavertreter in den DFB-Schiedsrichterausschuss zurück. Roth war nicht amüsiert.
Am Montag hat die FAZ gar den Leitartikel für die Lage der Fußballnation freigeräumt. Michael Horeni kommentiert besorgt:
Das erneuerte Renommee der Nationalmannschaft hat auch dem Verband Kraft und Reputation eingebracht, aus denen er seine wichtigen und gesellschaftlichen Projekte speist. Das sind Erfolge, die es nach sechs Jahren von oben zu bewahren gilt. Ein Nationalteam und ein DFB, die so wie früher von alten Seilschaften, fußballerischer Engstirnigkeit und gesellschaftlicher Ignoranz dominiert würden, wäre ein Schaden für das ganze Land.
Horeni spricht bemerkenswerterweise auch von den „Schattenseiten des Erneuerungsprozesses“, denn mit der „fußballerischen Moderne“ sei die „kommerzielle Moderne“ einhergegangen. Bierhoff und Löw hätten in ihren Forderungen die „Erdung“ verloren.
Im Volltreffer, dem Video-Blog der FR, spricht Jan C. Müller mit Thomas Kilchenstein über die Recherche im Fall Amerell. Das Phrasenbingo („Wochen der Wahrheit“, „Träume sprießen“, „Spreu trennt sich vom Weizen“, „Sand im Getriebe“) im Eintracht-Block am Anfang bitte keineswegs überspringen.
Die FR gewährt in einem Gastbeitrag einem Thema Raum, das nona jüngst in den Kommentaren moniert hat. Der Vorwurf lautet: Das Ganze sei nur ein so heißes Thema, weil es sich um Homosexualität handelt. Ich bin mir da nicht sicher, ob das zutrifft. Medienkritik schön und gut, aber sie scheint mir zu reflexhaft. Mich zumindest interessiert daran der mögliche Machtmissbrauch eines Funktionärs, nicht seine sexuelle Vorliebe. Spannend ist freilich auch, wie der DFB mit mutmaßlichen Verwerfungen in seinem Führungskreis umgeht.
In der PM heißt es: „Grundsätzlich ist es dem DFB nach Auswertung aller Anhörungen wichtig festzuhalten, dass es im Fall Amerell nicht um die Bewertung sexueller Neigungen geht.“
nona schrieb am 17. Februar 2010:
Ich glaube auch nicht, dass es „nur“ um Homosexualität geht, aber ich habe mich sicher nicht deutlich/gut genug mitgeteilt. Um nur kurz auszuführen, was ich dabei im Kopf hatte:
Als das Thema zuerst aufkam, begegnete es mir in Bruchstückmeldungen ohne Details. Ich konnte mich nicht „einlesen“ oder umfassend über alle Hintergründe informieren, und ich denke, das ist mir bis heute nicht gut gelungen, denn die Sachlage ist nach wie vor dünn und die meisten Artikel zum Thema einigermassen spekulativ (u.A. wegen der Aktenzuklapperei des DFB). Diese Bruchstückmeldungen waren durchweg wage und nebulös gehaltene Variationen des Themas, Amerell habe „sich einem Schiedsrichter sexuell genähert“ ohne konkretere Vorwürfe oder tatsächlich strafrechtlich relevante Tatbestände aufzuzeigen. Um es mal plakativ überspitzt zu sagen, allenorten las es sich für den nicht absolut vollständig informierten Medienkonsumenten so, als habe ein Mann sexuelles Interesse an einem anderen Mann bekundet (irgendwie muss man seine Sexualität ja schliesslich ausleben), Desinteresse oder Ablehnung von letzterem erfahren, und letzterer sei dann zum DFB gegangen um zu sagen „öhm, der schwule Typ da wollte was von mir“ – und mit dieser öffentlichen Stimmungslage in der Luft springt der DFB dann mit Pressekonferenzen und -mitteilungen in die Bresche, in denen von „erhärteten Vorwürfen“ genebelkerzt wird und Amerells Rücktritt „ausdrücklich begrüsst“ wird und dergleichen mehr. Das finde ich nach wie vor unmöglich. Ich hätte es gerade von Theo Zwanziger erwartet, dass er frühzeitig, laut und deutlich mehr oder weniger auf den Tisch haut und den interessierten Medienvertretern in die Notizblöcke schreibt, dass es definitiv nicht um die wie auch immer geartete Sexualität der Beteiligten geht, sondern um tatsächliche konkrete strafrechtlich relevante Vorgänge, die über das reine Privatleben hinausgehen. Sowas vermisse ich nach wie vor, und das Thema ist leider einfach zu sensibel und zu wichtig als dass sich das in versteckten Nebensätzen im x-ten redundanten Artikel dazu erledigen liesse. Mein Haupteindruck ist, dass ein Schutz einer Privatsphäre beim DFB nur selektiv von Bedeutung ist, und ich empfinde das als Hohn wenn garnicht lange vorher noch schwulen Fussballer Unterstützung und Schutz versprochen wurde. Amerells Privatsphäre war ihnen jedenfalls frühzeitig keinen Pfifferling wert. Das mindeste, was man hätte erwarten können, wäre ein „kein Kommentar wegen laufender Ermittlungen“ gewesen, anstatt vorverurteilendes „Vorwürfe erhärtet“ und ächtendes „Rücktritt ausdrücklich begrüsst“…
Oliver Fritsch schrieb am 17. Februar 2010:
Stimmt, da ist ja was dran sein, nona. Ich glaube jedoch nicht, dass man da auf die Zeitungen schauen muss. Jürgen Langer, mit dem ich gerade telefoniert habe, macht genau diesen Vorwurf dem DFB und Theo Zwanziger. Mehr dazu bestimmt demnächst.
Manfred Amerell wird sich wohl heute noch öffentlich äußern. So weit ich weiß im DSF.
Dirk schrieb am 17. Februar 2010:
@nona
ich kann Deinen ersten Kommentar nun auch besser einordnen und verstehen.
Am ersten Tag der Berichterstattung hieß es ja sogar nur „sich genähert“ (ohne „sexuell“). Obwohl ich mir den fehlenden Teil automatisch dazu gedacht habe, finde ich, dass diese ungenaue Beschreibung viel über die allgegenwärtige Phobie aussagt. Nach dem Motto: Bloß nichts mit dem ganzen Thema zu tun haben, also auch so wenig wie möglich aussprechen und alles in der dunklen und schmuddeligen Ecke belassen.
nona schrieb am 17. Februar 2010:
Immerhin, Theo Zwanziger hat eben im Halbzeitinterview beim Frauenländerspiel just diese Problematik mit entsprechender Deutlichkeit an- und ausgesprochen.
Oliver Fritsch schrieb am 18. Februar 2010:
Hier eine Analyse der FAZ:
http://www.faz.net/s/RubBC20E7BC6C204B29BADA5A79368B1E93/Doc~E4C05501A7B2F427FAE953B4371DF67C5~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Flüge schrieb am 24. Februar 2010:
Ich weiß nicht, ob ein 27 jähriger „Mann“ sich so etwas gefallen lässt, aus Angst vor beruflichen Nachteilen. Erst hieß es, er hätte sich angenähert, dann habe er klare Andeutungen gemacht und jetzt auf einmal sollen sexuelle Ãœbergriffe stattgefunden haben. Als ob man sich Erwachsener sowas gefallen lässt. Ich halte das alles für sehr weit hergeholt und erwarte eigentlich von den Offiziellen (vor allem Theo Zwanziger), dass sie mit etwas mehr Diskretion an die Sache gehen und jemanden wie Amerell, ohne Beweise zu liefern in der Öffentlichkeit so zu diskreditieren.
Man muss die Verhandlungen am 4. März abwarten, die wird wahrscheinlich sehr aufschlussreich werden.