Torwartfrage: Erregung allüberall
von Günter ClobesGibt’s eigentlich im Moment nichts Wichtigeres als über die Torhüterfrage zu diskutieren? Nach dem letzten Wochenende nimmt das ganze erneut Fahrt auf, weil nun auch Roman Weidenfeller noch Ansprüche anmeldet und seine Medien-Bataillone in Stellung bringt.
Weidenfeller übt Kritik am deutschen Fußball-Nationalteam: „Die Entscheidung gegen mich ist schwer nachvollziehbar, aber ich muss sie nun einmal akzeptieren“, sagt der 29-Jährige. Natürlich hat er bislang eine sehr gute Saison gespielt, natürlich ist es legitim, Stimme und Finger zu heben und zu sagen „Hey, mich gibt’s auch noch“. Und doch, das ganze ist so überflüssig wie Zahnschmerzen. Schuld daran hat nicht Weidenfeller, Schuld haben auch nicht die bösen Medien, die die Debatte natürlich gerne und kräftig befeuern. Wenn es um die Schuldfrage ginge, müsste eher die DFB-Trainerriege in den Mittelpunkt rücken. Nach wie vor ist nicht ganz zu verstehen, warum sie sich geradezu ohne Not bereits mehr als drei Monate auf die Nummer 1 festgelegt haben. Erstens: Warum so frühzeitig? Zweitens: Warum nicht die Eindrücke bei den letzten Trainingslagern vor der WM zum Maßstab machen? Drittens: Was passiert, wenn sich die drei auserwählten entweder verletzen oder durch neuerliche so viel verklärte und gern argumentativ benutzte Patzer (weiter) selbst diskreditieren?
Vielleicht, vielleicht war der Ratschluss des Trainerstabs aber auch sehr weise. Denn kaum eine Debatte erregt Fußball-Deutschland so wie die Torwartfrage – auch historisch gesehen. 1954 ging es um Turek oder Kwiatkowski, 1960 um Fahrian oder Tilkowksi, 1986 um Schumacher oder Stein und zuletzt 2006 um Kahn oder Lehmann. Unter Umständen wollten die Trainer uns also eine solche Debatte par ordre de mufti ersparen; oder sie waren noch viel schlauer und haben sie ganz bewusst sogar durch ihre frühe Entscheidung initiiert. Das lenkt dann doch sehr gut ab von anderen Baustellen, die zur Zeit immer deutlicher werden – aber längst nicht so im Brennpunkt stehen wie die Lieblingsfrage nach dem Torwart.
Malte schrieb am 23. März 2010:
Wow, vor einem Jahr wurde das DFB-Trainerteam noch darauf gedrängt, sich auf einen Torwart festzulegen.
Chris schrieb am 23. März 2010:
Vielleicht wollte Löw auch nur erst einmal eine Baustelle beenden, um sich nun den anderen zu widmen!? Torhüter sind des Weiteren auf Grund ihrer fussballerischen Brennpunktstellung (noch dazu ohne langjährige internationale Erfahrung) oft sehr Stammplatzsensibel und bedürfen eines unbedingten Rückhaltes seitens des Trainer- und Verantwortlichenstabes. Von daher empfinde ich den Entscheidungszeitpunkt als völlig angebracht. Es steht in den Sternen, ob die anderen Aspiranten im Falle eines Auswahlerfolges ihrerseits völlig unbeeindruckt und weiterhin fehlerlos geblieben wären! Und noch dazu hat ein junger, lernfähiger Spieler nun die Möglichkeit, an dieser Situation zu wachsen und diese nicht erst kurz vor Beginn der WM durchleben zu müssen.
Was die Entscheidung an sich betrifft, kann man nur hoffen, dass Löw über eine hervorragende Menscheneinschätzungsgabe verfügt! Nur das kann eigentlich den wesentlichen Unterschied ausmachen…
Peter Glock schrieb am 24. März 2010:
vor der WM 2006 hat die angebliche Torhüterbaustelle wunderbar von dem Abwehrproblem abgelenkt.
War super gemacht 😉
eingeNETzt 23/03/2010 | Spielfeldrand - Das Magazin schrieb am 24. März 2010:
[…] Erregung allüberall […]
Killer schrieb am 25. März 2010:
Wer nichts zu sagen hat, sollte auch nichts schreiben.
gclobes schrieb am 25. März 2010:
okay killer, das killt wirklich…
sportinsider schrieb am 26. März 2010:
Das Problem ist doch ein ganz anderes. Es wurde nicht der beste deutsche Torwart zur Nr. 1 gekürt. An Manuel Neuer führt normalerweise kein Weg vorbei. Adler hat gute Momente. Gar keine Frage. Jedoch im Vergleich mit Neuer sehe ich den Leverkusener Keeper deutlich hinter dem Schalker Torwart.
Irgendwie hat Löw aus seiner Zeit mit Klinsmann Probleme den wirklich besten Torwart zur Nummer 1 zu nominieren. 2006 lag Klinsmann ja ebenfalls falsch. Hat uns unter anderen die Finalteilnahme gekostet. In einem Halbfinale gegen Italien in der Verlängerung hätte es eines Kahn bedurft, der auch notfalls mit Vehemenz seine Vorderleute wachgerüttelt hätte.
Komme mir jetzt bitte keiner mit der Elfergeschichte gegen Argentinien. In einem Elfmeterschießen gegen südamerikanische Mannschaften ist Deutschland immer Favorit.
Oliver Fritsch schrieb am 26. März 2010:
Wenn Kahn im Halbfinale gegen Italien gespielt hätte, wäre Deutschland vielleicht gar nicht in die Verlängerung gekommen. Lehmann hat viele Pässe und Flanken an Orten abgefangen, die Kahn nie betreten hat: teilweise am Elfmeterpunkt. Das sieht unspektakulär aus, ist aber sehr wirksam, weil es Situationen entschärft, bevor sie gefährlich werden.
Leider wird das in Deutschland nicht genug geschätzt.
Killer schrieb am 26. März 2010:
Um mal konstruktiv zu sein (bin heute besser drauf als gestern). Gebe meinem direkten Vorredner – Oliver Fritsch – absolut recht: Das Halbfinale gegen Italien war ein herrausragendes Spiel von Lehmann. So viele Flanke und Eckbälle sicher abgefangen, so viele lange Pässe antizipiert, hat selten ein Torwart.
MS schrieb am 26. März 2010:
Auch ich möchte OF ausrücklich zustimmen. Außerdem hat sich Lehmann ähnlich wie Kahn auch nicht geschont und ist ggf. auch „durch die Männer“ durchgeflogen. Und was das Aufwecken angeht – ich erinnere nur an ’99, da hat das Kahn’sche Wecken von Kuffour ja mächtig geholfen….
Die Fähigkeit, Flanken SO sicher zu pflücken, ist auch ein oder DER Grund, warum Neuer ins Tor muss. Und wenn man noch einen ähnlich sicheren Flankenpflücker auf der Bank haben möchte, sollte man über einen wg. vermeintlich großer Klappe vom DFB immer verschmähten TW mitnehmen – ob Wiese oder Adler dann Nr. 3 sind, ist völlig wumpe (eher Wiese für 11er?)
sportinsider schrieb am 26. März 2010:
Entscheidend ist immer das Ergebnis. Das spricht eben nicht für Lehmann. Und 99… da muß eine Mannschaft erstmal auch in ein Finale kommen. Ansonsten gilt zum Barcelona Drama der Spruch: Verschütteter Milch lohnt nicht nachzuweinen. Ich darf dabei charmant gleich nochmals auf 2001 verweisen. Champions-League Sieg gegen Valencia. Die Spanier werden „beste“ Erinnerungen an den damaligen weltbesten Torwart Kahn haben. Okay klingt vielleicht etwas arrogant, mir fällt jedoch kein anderer Keeper von damals ein der Kahn hätte das Wasser reichen können. Auf dem Weg dahin wurden „nur“ Mannschaften wie Manchester und Real ausgeschaltet. Der eine oder andere hochkarätige Stürmer dürfte noch beste Erinnerung an Oliver Kahn haben.
Durch die Fehlentscheidung in der Torwartfrage hat Klinsmann 2006 einen möglichen WM Titel verschenkt. Abgeschenkt.
Oliver Fritsch schrieb am 26. März 2010:
Dann könnte man genauso sagen: Hätte Völler im Finale 2002 Lehmann aufgestellt, wäre Deutschland vielleicht Weltmeister geworden.
JK schrieb am 26. März 2010:
So ein Humbug, sportinsider. Kahn hatte seinen Zenit lange überschritten. Außerdem war er ein Linienkleber. Natürlich war er noch ein guter Torwart, aber mit Lehmann konnte er nicht mehr mithalten.
PeterP schrieb am 26. März 2010:
Herr Fritsch, müssen Sie sich nicht korrigieren? Fußball-Deutschland versteht sehr wohl was vom Torwartspiel, wie man hier in dieser Diskussion (mit einer Ausnahme) sehen kann.
Trainer Baade schrieb am 27. März 2010:
Sehr gut, Herr Fritsch, der Hinweis auf Kahns Lapsus im WM-Finale. Mich wundert immer wieder, warum das meist vernachlässigt wird. Gerade derjenige, der für sich vollste Konzentration über 90+ Minuten reklamierte, patzt im allerwichtigsten Spiel, welches es im Weltfußball gibt. Und das auch noch wirklich amateurhaft. Gut, das mag ihn vom Titan zurück zum Menschen mutiert haben lassen, was sicher nicht schlecht für ihn war, ich aber (als Fan) wäre lieber Weltmeister geworden.
sportinsider schrieb am 28. März 2010:
@JK. Linienkleber. Klingt nach Klebstoff wie Uhu oder Pattex. Ich hab da noch Lehmann in Erinnerung beim CL Finale gegen Barcelona. Holte sich dort die Rote Karte ab für einen „Ausflug“ außerhalb des 16eners. Modernes Torwartspiel muss sich immer an den Ergebnissen messen lassen. Da hat mich Lehmann eben nicht überzeugt. Umgekehrt habe ich seit 1973 den BAyern Symphatie Virus in mir und sehe die Dinge natürlich etwas subjektiv.
@Oliver Fritsch: 2002 geht auf die Kappe von Kahn.
@Trainer Baade: 2002 hatte fast das ausmaß einer griechischen Tragödie. Die Titan Story hat jedoch der Boulevard kräftig gestrickt. Kahn selber hat sich sicherlich ein wenig drinn gesonnt in diesem Ruf.
Kahn polarisiert natürlich. Das ist ja auch das schöne am Fußball. Die Vielfalt an Meinungen.
MS schrieb am 28. März 2010:
Die rote Karte war äußerst unglücklich – nachdrücklich noch einmal: äußerst! Hauge hatte einfach zu früh in seine Pfeife ausgeatmet; die Situation war ein klarer Vorteil für Barca. Anschließend ging es nicht mehr anders. (Habe mich über den Pfiff übermäßig geärgert)
Wenn wir jetzt schon eine Stufe tiefer gehen: Wie war es denn im 1/8-Finale 03/04 gegen Madrid? Der Fehler beim Freistoß gg. Carlos ist ja fast noch zu „verzeihen“, aber die Aussage „dann gewinne ich das Rückspiel eben alleine“ zeugt von totaler Abgehobenheit – etwas zu viel Sonne von der Titan-Story abgekriegt. Wenn man mal durchzählt, ist die Kahn’sche Bilanz in KO-Spielen (Spielen, in denen man Eier zeigen muss) etwas besser als ausgeglichen, denn selten gewinnt ein TW „alleine“ ein Spiel – aber viel eher kann er es „alleine verlieren“ bzw. die Niederlage einleiten, und diese (Un-)Fähigkeit hat Kahn oft genug nachgewiesen (in der Saison alleine 3x AFAIR).
Wiese ist im Grunde sein legitimer spielerischer Nachfolger – ein Linienkleber mit häufigen sensationellen Leistungen eben auf der Linie, aber auch immer wieder fahrigen Momenten.
Aber diese Tage sind hoffentlich vorbei, ich brauche keine Wiese’sche Kahn-Erinnerung – ich hoffe stark auf Neuer und die dafür erforderliche Einsicht von BT und BTT.
Oliver Fritsch schrieb am 28. März 2010:
Ich bin auch für Neuer. Diese Abwürfe und Abstöße … famos!
sportinsider schrieb am 29. März 2010:
Dann sind wir uns ja alle einig. Neuer ist wirklich famos. Der ist richtig gut.
gclobes schrieb am 30. März 2010:
okay, na dann könnten wir ja vielleicht wieder zurückkommen zu der frage, um die es mir eigentlich ging. warum hat sich der trainerstab so frühzeitig festgelegt? vor allem: war das zu dem zeitpunkt nötig? (übrigens schön zu sehen bei all den kommentaren, dass viel lieber ganz schnell wieder über die t-frage diskutiert wird…)
moldo schrieb am 30. März 2010:
Vielleicht hatten sie einfach Angst, dass Zwanziger das wieder zur Chefsache macht; ob’s nötig war? Hmm ..
Grün Weiss schrieb am 4. Mai 2010:
es war nicht nötig, wird aber immer wieder ein thema sein
VORSICHT! Ganz schlimmes Knochenbruch-Video von Jose Manuel Rodriguez... | deinfussball.de schrieb am 3. August 2010:
[…] an dieser katastrophalen Malässe ist leider der Torhüter Jose Allende (nicht verwandt), er wird sich zumindest auch ärgern. Und ach ja, das Spiel fand wohl […]