Kulturkampf in Fußballspanien
von Günter ClobesMit einiger Zeitverzögerung hat nun auch Spanien eine heftige Debatte ergriffen, die hierzulande schon vor einigen Monaten für Wallung gesorgt hatte: die Anstoßzeiten der Liga. Anders als bei uns geht es dort allerdings nur um eine für ein ganz spezielles Spiel, für den Clásico, das Derby zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid. Und gegen dieses Spiel ist selbst Dortmund gegen Schalke kaum mehr als ein Kaffeekränzchen, was die Emotionen angeht.
Ursprünglich sollte dieser Kracher am 28. November in Barcelona stattfinden – bis jemand bemerkte, dass just an jenem Tage auch die Wahlen zum autonomen katalanischen Parlament anberaumt sind. Die Selbstbehauptung der nach Eigenständigkeit strebenden Provinz, dessen Hauptstadt Barcelona ist, hat von je her zu – freundlich gesagt – einigermaßen Friktionen mit der zentralen Hauptstadt Madrid geführt. Diese schlagen sich gerade und sehr speziell auch im Fußball im wieder nieder. Wahl und Fußball an einem Tag schien der Politik nicht vereinbar, also wurde im Verbund mit der Liga und mit einigermaßen kruden Sicherheitsargumenten sowie ein ganz klein wenig Druck auf die TV-Rechtebesitzer nun der 29. November als Spieltag angesetzt. Das ist ein Montag, für die Fans und vor allem die Berichterstatter ein Unding, die dann sofort mit Zähnen und Klauen auf den regulären Spieltagen am Wochenende bestanden. Viel stärker und deutlich pathetischer als in Deutschland wird in Spanien seitdem ein echter „Kulturkampf“ proklamiert, den auszufechten kein Messer zu groß ist. Fußball wird dabei als „Bestandteil des täglichen Lebens“ beschworen, der „eigene Grundsätze und Gewohnheiten“ etabliert habe, die wiederum strukturierende Elemente für die Wochenplanung der Fans seien, toben die Medien. Die Ausweitung der Spiele auf den Montag sei der Beginn einer „Ãœberdosierung“ des Fußballs, und das vor dem Hintergrund, dass die Stadien mit wenigen Ausnahmen eh schon leer seien (was genaugenommen aber auch an den immensen Eintrittspreisen liegt). Alles in allem sei dieser Versuch, den niemand der am Spiel Beteiligten wolle, ein „Angriff auf die Kultur des Fußballs“. Ein Votum auf der Website von Marca, der größten Sportzeitung des Landes, die mehr Käufer als jede andere spanische Zeitung hat, brachte zutage, dass gut 85% der Stimmen das ganze für „Unsinn“ hielten und sich vehement dagegen aussprachen.
Offen und interessant bleibt nun, ob dieses Eintreten für „Tradition“ und „Kultur“ auch bei anderen Anlässen bzw. kommenden Entwicklungen im spanischen Ligafußball noch einmal zu beobachten sein wird. Oder ob es – auf welche vertrackte Weise auch immer – nur eine Episode in der Auseinandersetzung zwischen Katalanen und „Mehrheitsspaniern“ bleibt. Welchen Ausgang die Wahlen nehmen und inwieweit die Verlegung des Spiels dabei eine Rolle spielt, kann allerdings schon am eigentlichen Spieltag, am Sonntagabend, vor dem Clásico begutachtet werden.
Rundes Leder Browserdienst 48/10 | «Zum Runden Leder» schrieb am 22. November 2010:
[…] Auch in Spanien gehen die Wogen hoch, wenn es um Spielansetzungen geht. Nächsten Montagabend findet der Clásico zwischen Real Madrid und Barcelona statt. Der kritische Blog direkter Freistoss liefert dazu Hintergründe. […]