„Ich bin kein Fan von Stalin, aber …“
von René MartensDie brillante Fußball-Dokumentation „The Other Chelsea“, als TV-Erstausstrahlung kürzlich im ZDF-Nachtprogramm zu sehen, läuft am morgigen Sonntag zur besten Sendezeit noch einmal bei ZDFkultur. Der folgende Text erschien in einer kürzeren Version am 27.6. in der Süddeutschen Zeitung.
Rinat Achmetow ist der reichste Mann der Ukraine, das Wirtschaftsmagazin Forbes führt ihn in seiner aktuellen Milliardärsrangliste auf Platz 39. Außerdem ist er Präsident von Schachtjor Donezk, ein Klub, der Fans in Deutschland ein Begriff ist, seitdem er 2009 das UEFA-Cup-Finale gegen Werder Bremen gewann. Achmetow holt haufenweise Stars aus BrasÃlien und sorgt dafür, dass bei der Eröffnung des von ihm finanzierten Stadions, in dem 2012 EM-Spiele stattfinden, Beyoncé auftritt. Nicht zuletzt finanziert er die in Donezk dominierende Partei der Regionen.
Der Oligarch ist die heimliche Hauptfigur in Jakob Preuss’ Dokumentarfilm „The Other Chelsea“, der Teil der Mini-Reihe „Kick it! – Die Macht des Fußballs“ ist. Der Titel spielt darauf an, dass Achmetow bei Schachtjor ähnlich viel Geld investiert wie der Russe Roman Abramowitsch beim FC Chelsea in London – wobei der entscheidende Unterschied darin besteht, dass ersterer seinen Heimatverein unterstützt, und dies nicht zuletzt, um den Fußball für politische Zwecke zu instrumentalisieren
Achmetow ist ein umstrittener Strippenzieher, und solche Zeitgenossen geben ungern Interviews. Als Protagonisten hat Preuss aber einen von Milliardär aufgebauten Stadtverordneten gewinnen können: den im Stadion stets in der Nähe seines Förderers zu sehenden Nachwuchspolitiker Kolja Lewtschenko, der provokante Aufritte im Fernsehen liebt und Sowjet-Nostalgie („Ich bin kein Fan von Stalin, aber …“) mit zügellosen Kapitalismus zu vereinbaren weiß. Auf dem Weg zu einem publicity-trächtigen Besuch bei einer Veteranenwitwe sagt der latent bedrohlich wirkende Lewtschenko einmal zum Regisseur: „Ruhe, Jakob, ich muss mich vorbereiten.“ Das klingt nicht nur arrogant, es dokumentiert auch eine gewisse Vertrautheit.
Die zweite Hauptfigur ist Sasha Schukin, ein 55-jähriger Bergarbeiter, der 400 Euro monatlich in der maroden Kohle-Mine Putilowskaja verdient. Anders als Lewtschenko, der sich für Fußball eigentlich nicht interessiert, aber keinen Hehl daraus macht, dass seine Partei von Schachtjors Erfolgen profitiert, ist Schukin ein wahrer Fan. Er nimmt eine 40-stündige Busfahrt auf sich, um beim UEFA-Endspiel dabei zu sein, obwohl er sich die kaum leisten kann. Kohle und Kohle – das ist das zentrale Thema des Films. Hier die Neureichen, dort die armen Minenarbeiter, die sagen, dass es zu Sowjetzeiten besser war, und nicht daran glauben, dass es noch einmal besser wird.
Was den Film neben seiner akkuraten Beschreibung dieser Milieus auszeichnet, ist seine Bildsprache. Der von Animationstechnik geprägte Vorspann wirkt relativ heiter, die Protagonisten werden hier auf eine Weise eingeführt, die man eher bei einer ambitionierten Vorabendserie für ein jüngeres Publikum erwarten würde. Damit gibt Preuss einen leichten Grundton vor, der bei aller Tristesse der beschriebenen sozialen Verhältnisse stets präsent bleibt.
Innovativ ist die Art, wie Preuss Schachtjors UEFA-Cup-Parteien der Saison 2008/09 einarbeitet, die dem Film eine Struktur geben. Er zeigt keine bewegten Bilder – was auch mit Rechtefragen zu tun haben könnte -, sondern erzählt die Geschichte dieser Spiele anhand von Fotos seiner Protagonisten auf den Rängen und fügt Live-Kommentare aus dem Radio hinzu. Das erinnert an Slideshows aus dem Internet. So sorgt Preuss dafür, dass die Spieler Schachtjors nur Randfiguren bleiben.
Am Ende des Films scheint Lewtschenko zu begreifen, dass ihm der Film schadet. Später versucht er die Rechte für verschiedene osteuropäische Märkte zu kaufen, um zu verhindern, dass er dort gezeigt wird. Dass ihm das nicht gelungen ist, kann er verschmerzen. In Sachen Karriere hat er aufs richtige Pferd gesetzt: Seine Partei, die in der Ukraine in der Opposition ist, als der Film entsteht, regiert mittlerweile das Land.
Nicht überzeugend wirkt allein das Gesamtkonzept der ZDF-Reihe. Um die „Macht des Fußballs geht es zwar auch im zweiten Beitrag, der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Spielfilm „Eine andere Liga“ (in der Nacht vom 4.7. auf en 5.7. im ZDF-Hauptprogramm). Der erzählt allerdings davon, wie der Fußball einer jungen Spielerin dabei hilft, nach einer Brustkrebs-Operation wieder zurück ins Leben zu finden. Da hat man beim ZDF – mit Blick auf die aktuelle Frauen-WM und die Männer-EM im kommenden Jahr – den Begriff „Macht“ vielleicht etwas zu großzügig ausgelegt.
„The Other Chelsea. Eine Geschichte aus Donezk“, 3.7., ZDFkultur, 20.15 Uhr.
Eine ausführliche Kritik findet sich auch in der aktuellen Funkkorrespondenz.
csaggo.com schrieb am 3. Juli 2011:
Fernsehtipps für Fussball-Interessierte…
Der heutige Sonntagabend hat für den geneigten Fusballfreund einiges zu bieten. Um 20:15 gibt es die sehr gelobte Doku “The Other Chelsea. Eine Geschichte aus Donezk” auf ZDFKultur (vermutlich bekommt ihr das irgendwo über digitales Kabel r…