Neue Sachlichkeit im Tor
von Oliver FritschEs gibt, das muss man mal so deutlich sagen, wirklich wenige Fußballexperten, die sich mit dem Torwartspiel auskennen. Der klassische Satz eines TV-Reporters (und auch eines Kreisligazuschauers) bei einem Gegentreffer aus größerer Distanz: „Der Torwart stand zu weit vor seinem Tor.“ Nicht, dass das nicht auch der Fall sein könnte; doch der Vorwurf trifft in den seltensten Fällen zu. Vor allem wird dabei übersehen, dass derjenige Torwart, der nicht nur auf seiner Linie klebt, durch seine Stellung viele andere brenzlige Situationen klärt und manchen Schuss besser abwehren kann. Auch setzen die Tradionalisten und Anhänger der (nennen wir sie) Oliver-Kahn-Schule oft spektakuläre Flüge und Fauster mit Qualität gleich – zu Lasten des sachlichen Torwarstspiels.
Ein Torwart modernerer Prägung, der auslandserfahrene und hochgeschätzte Robert Enke aus Hannover, nimmt nun in einem Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag selbstbewusst zu seinem Stil und zum falschen Verständnis von Torwartspiel Stellung: „Ich versuche, schwierige Situationen durch mein Mitspielen schon im voraus zu lösen, auch wenn das dann nicht unbedingt spektakulär aussieht. Andere Torhüter brauchen solch spektakuläre Aktionen, um den Ball zu halten – und werden dafür dann auch noch gefeiert. Das merkt sogar meine Frau, wenn ich zu Hause ein Spiel anschaue und der Reporter dann ruft: ‚Super Parade!‘ Viele sehen eben nicht, was gar nicht notwendig war, sondern nur dazu diente, etwas spektakulär aussehen zu lassen. Ich finde so etwas lächerlich, das brauche ich echt nicht.“ Erfreulicherweise registriert Enke eine zunehmende Akzeptanz seines Spiels: „Die Leute erkennen an, dass der Enke einer ist, der nicht so viel Heckmeck macht, seinen Stiefel runterspielt und nicht fliegt, wenn er nicht fliegen muss. Ich freue mich natürlich auch, wenn ich mal einen spektakulären Ball halten kann. Das ist wichtig fürs Selbstvertrauen und für die Wahrnehmung. Aber noch wichtiger ist, der Mannschaft ein Gefühl der Sicherheit zu geben.“
Könnte man, wenn man so veranlagt ist, diese Zeilen noch als indirekte Distanzierung von Oliver Kahn lesen, wird Enke, gefragt nach seinem Selbstbild und seiner Aufgabe als Mannschaftsspieler, überraschend deutlich: „Du bist als Torhüter kein Einzelkämpfer, du gewinnst Spiele nicht alleine. Du verlierst sie höchstens alleine. Ich kann mich an einen Fehler von Kahn gegen Real Madrid erinnern, da hat er einen Ball von Roberto Carlos unter seinem Körper durchrutschen lassen. Nach dem Spiel hat Kahn gesagt: Dann muss ich das Rückspiel eben alleine gewinnen. Mit so einer Aussage kann ich überhaupt nichts anfangen. Auch Oliver Kahn ist nicht in der Lage, ein Spiel alleine zu gewinnen.“
Es ist zu wünschen, dass sich Sachlichkeit, und zwar in beiderlei Hinsicht, im Torwartland Deutschland als Gütesiegel durchsetzen wird.
Dorin Chimiuc von Sparta Göttingen macht einen Anfang und zeigt eine Fähigkeit, die manch anderem abhanden geht: Er bleibt lange „groß“.
meyerman schrieb am 9. August 2007:
Wieder einmal betätigen sie sich als Oliver Kahn-Kritiker, der Mann scheint eine tiefe Abneigung bei ihnen hervorzurufen.
Nun ist Oliver Kahn sicherlich eine Reizfigur, das will er ja auch selber so. Und seinen Torwartstil darf man durchaus kritisieren. Nichtsdestotrotz darf man auch mal würdigen, dass Oliver Kahn lange Jahre einer der besten Torhüter seiner Generation war und das zu Recht. Diese Position hat er sich bestimmt nicht „erflogen“, sondern einfach durch gutes Torwartspiel verdient. Sein schlechtes Spiel nach vorne mag heute antiquiert und lächerlich wirken, doch dass er noch nicht zum alten Eisen gehört, hat er im Pokal erst zuletzt bewiesen (warum müssen Torhüter heute eigentlich schon zur Spieleröffnung beitragen? dann kann sich Diego beim nächsten Freistoß ja auch mal neben Wiese stellen). Seine Einstellung schlägt durchaus mal ins Fanatische um, in vielen Punkten ist sie für Profis aber beispielhaft.
Eine Einstellung, die Robert Enke, sicherlich auch ein hervorragender Torwart, offenbar nicht immer hatte. Zumindest erklärt das seine wechselhafte Karriere, in der er es nie geschafft hat, sich in einer Spitzenmannschaft durchzusetzen. Muss man auch nicht immer mit Klischees wie „ein Typ, wie man ihn im Profigeschäft selten trifft“ rechtfertigen.
Dass er nicht die großen Sprüche eines Oli Kahn braucht, ehrt ihn sehr. Aber dass er mit der Nationalmannschaft 2010 zum Titel will, kann man meiner Meinung nach ruhig mal sagen.
Oliver Fritsch schrieb am 9. August 2007:
Kahn hat so viele Fürsprecher und bekommt seit rund einem Jahrzehnt so viel an Rückendeckung durch die Meinungsmacher (und oft auch die Schiedsrichter) im deutschen Fußball, dass seine Fans auch mal mit einer Gegenstimme aus dem Internet leben können sollten.
Man darf mir gerne widersprechen, doch was ich nicht akzeptiere: dass jede Kritik sofort den Einspruch nach sich zieht, ich sei durch Abneigung, Neid, Hass und Missgunst oder ähnlichem geleitet. Das ist kein faires und auch kein kluges Argument und fällt auf diejenigen zurück, die es äußern.
Andreas Meyer schrieb am 10. August 2007:
Oliver Kahn kann tatsächlich mal ein wenig Gegenwind vertragen, besonders, wenn er so sachlich rüberkommt wie hier.
Ich rege mich schon fast gar nicht mehr auf, wenn Kahn mal wieder eine seiner Mord-Attacken gegen den Gegner fährt und nicht bestraft wird. Dann heißt es in der Presse und im TV wieder: „Ja, so isser halt, impulsiv und gibt immer 100%“.
Da sind mir die Enkes dieser Welt bedeutend lieber.
meyerman schrieb am 10. August 2007:
@ O. Fritsch: Ich hatte meinen ersten Satz auch gar nicht als Argument sondern eher als persönliche Feststellung gemeint. Tut ja eigentlich auch nix zur Sache.
Richtig ist natürlich, dass Oliver Kahn Kritik ertragen soll muss. Und auch seine peinlichen Ausfälle im Spiel gegen (Gegen)-Spieler und Schiedsrichter sind natürlich kein Vorbild für junge Fußballer.
Allerdings lernt man in Interviews sehr oft auch einen anderen Kahn kennen. Einen sehr nachdenklichen, intelligenten Mann, der sich seiner kontroversen Rolle durchaus bewusst ist. Trotzdem ist er jemand, der das ganze Drumherum des Fußballs einzuschätzen und zu nehmen weiß. Natürlich regt mich seine selbstherrliche Spielweise des öfteren auf. Trotzdem finde ich, dass er ein faszinierender Sportler ist, weil es nur wenige gibt, die so intensiv für ihren Sport leben. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, lass ich mal dahingestellt, aber es ist faszinierend.
tiger04 schrieb am 10. August 2007:
Was Oliver Kahn betrifft: der Mann gehört weggesperrt_- ich sag nur – Manuel Neuer