Schmerzende Hamburger Niederlage gegen Bremer Diebe
von Oliver FritschDurch die knappste aller Entscheidungen im Fußball, das Elfmeterschießen, unterliegt der HSV gegen Werder Bremen im DFB-Pokalhalbfinale in einem dramatischen, allerdings nie hochwertigen Spiel. Zwar hält er noch zwei weitere Titeloptionen in der Hand, den Uefa-Pokal und die Meisterschaft. Doch fürchten die Hamburger, das Glück könnte sie in den entscheidenden Momenten dieser Saison, die bislang so glanzvoll verlaufen ist, verlassen. Und die Kraft, denn es könnte dem HSV zum Verhängnis werden, dass er mit einem kleinen Kader in allen drei Wettbewerben mitmischt. Die Mannschaft geht an ihr Limit und ab und an in den „roten Bereich“. Die 120 intensiven Minuten gegen Bremen werden zusätzlich Reserven verbraucht haben.
Nach dem Spiel hinterlassen nicht nur die Spieler, sondern auch der Vorsitzende Bernd Hoffmann einen angeschlagenen Eindruck. Er gibt zu, dass er sehr enttäuscht sei: „Ich muss der Mannschaft ein Kompliment machen, aber meine Gefühle sind nach dieser Niederlage nicht schönzureden.“ Trainer Martin Jol gesteht, in der ersten Halbzeit im Mittelfeld deutlich unterlegen gewesen zu sein, und gratuliert dem verdienten Sieger Bremen.
Jols Taktik, alle drei Spitzen Paolo Guerrero, Mladen Petric und Ivica Olic aufzubieten, geht nicht auf. Da er den ballsicheren Piotr Trochowski und den Anarcho-Dribbler Jonathan Pitroipa zunächst auf der Bank lässt, verzeichnet sein Team vor der Pause keinen einzigen nennenswerten Angriff. Es ist erstaunlich, auf welch schwaches spielerisches Niveau der HSV an schlechten Tagen sinken kann. An Alex Silva, einem von drei defensiven Mittelfeldspielern, läuft alles vorbei, die Stürmer lösen sich nicht von ihren Gegenspielern, und den beiden Außenverteidigern, Marcell Jansen und Guy Demel, gelingt es trotz viel Raum und Ballbesitz nicht, Impulse zu setzen. Nationalspieler Jansen schlägt einen Fehlpass nach dem anderen, später beschränkt er sich auf Sicherheitspässe, als wollte er Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann nachträglich Recht geben, der ihn gen Hamburg ziehen ließ. Dass die Bremer durch einen Abstauber des starken Innenverteidigers Per Mertesacker nach einem fraglichen Freistoßpfiff seit der 11. Minute in Führung sind, entspricht den Spielanteilen.
Nach der Pause und nach den Einwechslungen Pitroipas und Trochowskis ist das Duell offener und ausgeglichener. Und kämpfen können die Hamburger ja. Beim Ausgleich durch Olic (67.) muss allerdings der Zufall nachhelfen: Einen Schuss Demels fälscht er mit der Fußspitze ins Bremer Tor ab. Doch auch jetzt kann die Heimelf den Gegner nicht unter Druck setzen, zu viele leichte Ballverluste hemmen den Spielfluss. Als dann Kapitän David Jarolim in der Schlussminute wegen groben Foulspiels durch ein hartes Urteil des Schiedsrichters Knut Kircher die Rote Karte sieht, beschränkt sich der HSV aufs Verteidigen. Dabei kann er sich auf Torhüter Frank Rost verlassen, der Schüsse und Kopfbälle von Markus Rosenberg und Naldo parieren kann. Tatsächlich hätte der HSV, der in der Verlängerung teilweise minutenlang nicht in Ballbesitz gelangt, sogar fast durch einen Konter gewonnen: Trochowskis Linksschuss (112.) geht knapp daneben. Und Tim Wiese verhindert mit einer riskanten Grätsche den entscheidenden Schlag des durchgebrochenen Pitroipa (120.).
Damit nimmt er sein Heldenstück im Elfmeterschießen vorweg: Aus drei von vier Duellen, nämlich mit Jerome Boateng, Olic und Jansen, geht der Bremer Tormann als Sieger hervor. Und das vor der Nordtribüne, die ihn das ganze Spiel über ausgepfiffen hat, weil er sich zuvor einen kessen Spruch erlaubt hat. Nach seiner letzten Parade rennt Wiese über das Spielfeld zu den Fans, als wären tausend Teufel hinter ihm her.
Es ist der besondere Schmerz im Sport, gegen den Nachbarn und Erzfeind im eigenen Haus zu unterliegen. Und genau das könnte zum Hamburger Problem werden. Vielleicht ist es mehr als nur eine Niederlage. Der DFB-Pokal ist zwar nur der unbedeutendste der drei möglichen Titel, doch war er durch den Heimvorteil derjenige mit der größten Siegchance.
Zwar bleiben dem HSV in den nächsten zweieinhalb Wochen drei Gelegenheiten, sich an Werder und Wiese zu rächen: Hin- und Rückspiel im Uefa-Cup sowie Bundesliga. Doch schon vor dem Spiel entnahm man dem Vorstand die Sorge, dass diese einmalige vierteilige Bremen-Hamburg-Serie den Ertrag der Saison gefährde. Derbys werden mit einer besonderen Intensität ausgetragen, sie absorbieren Konzentration. Torjäger Petric, der sich in der zweiten Halbzeit auswechseln lassen muss, wird wegen einer blutenden Risswunde am Schienbein wohl mindestens zwei Wochen ausfallen. Die inneren Schmerzen im Verein könnten noch größeren Schaden anrichten. Andererseits könnte das Team so gefestigt sein, am Samstag mit einem Sieg bei den erstarkten Dortmundern die richtige Antwort zu geben.
Der HSV wartet seit dem Pokalsieg 1987, dem Abschiedsjahr des großen Ernst Happel, auf einen Titel. „In jeder Ecke der Stadt“, sagt Hoffmann (eine Gegend ums Millerntor ausklammernd), „spürt man die Spannung und den Wunsch nach einer Trophäe.“ Die Stimmung im Stadion ist seit Monaten phänomenal. Gegen Bremen stehen und singen die letzten zehn Minuten nicht nur die Supporters, sondern auch Haupt- und Gegentribüne.
Und dann kommen diese Bremer Diebe. Haben zwischendrin eine miserable Saison geboten, ihre Spielmacher Diego und Mesut Özil in der Liga geschont, den Hamburgern den Glauben gegeben, sie nach zweieinhalb Jahrzehnten endlich wieder überholt zu haben – und könnten am Ende die Titelwertung 2009 doch für sich entscheiden. Vielleicht sogar mit 2:0.
Jan schrieb am 24. April 2009:
DFB-Pokal der unbedeutendste Wettbewerb? Einerseits ja. Andererseits ist doch dieser K.O.-Kitzel nicht zu verachten, im Gegensatz zum nationalen Liga-Betrieb. Auch im Europa-Pokal gibt’s den erst nach Gruppenspielen. „The winner takes it all“ bzw. ist erst mal ’ne Runde weiter.
Tim Wiese ist nicht erst seit voriger Woche bei den HSV-Fans unbeliebt, sondern da gab es ja auch mal so ein Foul, manchen sagten: Attentat, an oder auf Ivica Olic … Auch wenn sich die Spieler vertragen haben, Fans sind in solchen Sachen ja schon mal nachtragender …
Woher kommt eigentlich diese „Titanen-Sehnsucht“? Die Bild fragt, ob Wiese nun der neue „Titan“ sei. Nee, isser nich. Aber (Fußball-)Deutschland kann ja scheinbar nicht ohne, erst recht in Zeiten der „Krise“, also dürfte es bald soweit sein sein: „Titan(en)-Tim“, „Wiese-Titan“, „Titan-Wiese“ oder „Tim, der Titan“. Klingt alles doof und letzteres erinnert mich ein bißchen an „Kimba, der Löwe“.
Machen ein paar gehaltene Elfmeter Wieso automatisch zur Nr. 1 in der Nationalelf? Traditionalisten würden sagen „Ja! Denn das nächste Elfmeterschießen kommt für die Nationalelf bestimmt!“ Dann ist Manuel Neuer aber auch heißer Kandidat (remember Porto!).
Wiese ist ein (ganz) guter Torhüter, der nach außen hin das Klischee von den „Torhütern und Linksaußen“ (bewußt oder unbewußt) bedient. Nicht mehr, nicht weniger.
MS schrieb am 24. April 2009:
Soso – die Nordkurve hat Tim Wiese also „aus(ge)pfeift“?!?
Ansonsten merkt man dem ganzen Artikel über den zunehmenden Liebesentzug der Presse, an dieser Stelle namentlich OF, gegenüber Werder an.
Hätte auch kürzer sein können: Am Ende war nur der Schiri schuld.
karl-heinz broska schrieb am 24. April 2009:
auch hier leider wieder nur tagespopulismus. warum jansen, der tolle spiele hinter sich hat benutzen um klinsi aufzuwerten? im überigen komme ich auch sonst nicht mehr gerne auf diese seite. wo ist hier das anarcho -dribbeling nur geblieben?
moz schrieb am 24. April 2009:
@ms: Liebesentzug, nur weil der Artikel das Ereignis nicht aus der euphorischen Bremer Sichtweise, sondern aus der bitter-ernüchterten HSV-Sicht schildert? Mhh. Wobei ich den Freistoß auch nicht für fraglich halten würde, fder dem 0:1 voraus ging. Dumm, fahrlässg, aber nicht fraglich.
@karl-heinz: Wenn Jansen mal einen schlechten tag hat, muss man das auch sagen dürfen, oder? insgesamt war er nie so schlecht, wie er teilweise schon geschrieben wurde. aber er ist auch noch nicht so gut, wie ihn die presse im rahmen des klinsi-bashing in letzter zeit gesehen hat. technisch kann er in der ballannahme durchaus zulegen. wenn man müde ist, werden derartige dinge eben schneller offensichtlich. so auch bei jansen und anderen im team des hsv. unsaubere pässe, die dann derzeit eben der mitspieler auch nicht mehr immer zu erlaufen vermag.
Reiner Warnsinn schrieb am 24. April 2009:
1. Der Freistoß war nicht fragwürdig.
2. Jarolim wäre auch bei einer gelben Karte (die sicher zu vertreten gewesen wäre) raus gewesen.
3. Wenn man Wieses Leistung bei den Elfmetern nicht honoriert, so muss man sein Eingreifen gegen Pitroipa doch honorieren – wenn das kein Mitspielen war…
4. Ich stimme Karl-Heinz zu, das die Seite abgenommen hat, früher gehörte sie zu meiner täglichen Pflichtlektüre… heute leider nicht mehr…. da kann das neue Make-Up auch leider nichts reißen…
Christoph schrieb am 24. April 2009:
Man kann wohl Werder die ausgesprochen gute, dem HSV die ausgesprochen schlechte erste Halbzeit nicht absprechen. Was allerdings nicht vergessen werden darf und bei dem ganzen Wiese-Ding untergeht, ist die herausragende Leistung Frank Rosts. Sicher ist er nicht der beste Torwart der Liga, aber nicht nur gegen Werder erwies er sich als unverzichtbar. Der hat da noch so einiges rausgeholt, was die (mal wieder) erschreckende Abwehr zugelassen hat. Dass er dann am Ende nicht punkten konnte, lässt dies anscheinend vollkommen vergessen.
Christoph schrieb am 24. April 2009:
P.S.: Natürlich hat Herr Fritsch auf den Rückhalt durch Rost hingewiesen; ich meinte vielmehr die allgemeine Berichterstattung (obwohl auch der obige Beitrag eher nach zufälligen Paraden klingt).
Oliver Fritsch schrieb am 24. April 2009:
Rost hat sich in der Rückrunde so gut wie keinen Fehler erlaubt. Gegen Wehen/Wiesbaden im Viertelfinale fällt mir ein. Und beim aberkannten Tor von Luca Toni sah er langsam aus. Aber hat ja nicht gezählt.
@Reiner Warnsinn: Welches neue Make-Up? Die Seite sieht genauso aus wie am ersten Tag.
Jou, ist aus Sicht der Hamburger geschrieben. Darf doch mal sein, oder? So lange ich nicht Partei ergreife.
Jansen ist ein guter Bundesligaspieler, aber er hat als linker Verteidiger Probleme im Stellungsspiel.
Oliver Fritsch schrieb am 24. April 2009:
Jarolim hatte kein Gelb. Oder?
Doch, der Freistoß war umstritten. Und zwar in dem Sinn, dass darüber gestritten wurde. Ich hab ja nicht gesagt, dass er falsch war. Ist auch schwierig, das von der Tribüne aus zu beurteilen.
tafelrunde schrieb am 24. April 2009:
@Hr. Fritsch: bloß nicht nervös werden!
@ms & karl-heinz: Welche Drogen habt ihr denn genommen? Sowas, wie diese Seite hier, findet man in der gesamten Medienlandschaft nicht mehr! Oder soll das einfach Spaß am rumpöbeln sein?
Der Artikel spiegelt exakt das Dilemma des HSV wider. So eine tolle Saison bisher. Und nun der erste Erkenntnisschimmer, das ja am Ende gar nix rauskommen kann. Ohhh Gott!
Das Ganze dramaturgisch, sprachlich und voller Emotion dargereicht. Unübertroffen!
Machen Sie bloß weiter so! Sonst….
Nur die SGE! schrieb am 27. April 2009:
Wird das jetzt die HSV-Ersatz-Fan-Site? Jeder hat seine Lieblingsthemen, klar, aber hier wird nur noch über den HSV und den ach so armen Klinsi geschrieben.
Ich gähne.
Oliver Fritsch schrieb am 27. April 2009:
Verzeihung, dass ich über ein Pokalhalbfinale aus dem Stadion berichtet habe.
Andreas schrieb am 27. April 2009:
@Oliver: Verzeihung angenommen 🙂 Aber ehrlich gesagt ist es mir egal über welches Spiel/Thema hier berichtet wird, solange die Qualität gut und die Objektivität vorhanden ist. Das es hier jetzt etwas HSV-lasitger geworden ist finde ich auch nicht weiter schlimm und bewerte dies als temporären Lokalpatriotismus, welchem selbst ich als Werder-Fan in Frankfurt erlegen bin.