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Eine sehr spannende und aufschlussreiche Dortmunder Tagung vom letzten Wochenende: „Unter Druck: Qualitätssicherung im Sportjournalismus“, in die Wege geleitet vom sportnetzwerk, den Abtrünnigen des Verbands Deutscher Sportjournalisten und dem Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund. Zehn Höhepunkte zusammengetragen:

1. David Walsh, irischer Buchautor, gibt uns mit auf den Weg, dass damit zu rechnen sei, dass Lance Armstrong Politiker und (warum nicht auch) US-Präsident werden wollen könne. Besonders froh sei er, Walsh, deswegen, dass er endlich eins seiner drei Bücher über die Art, wie Armstrong zum Tour-de-France-Giganten werden konnte, auf dem amerikanischen Buchmarkt lanciert hat: „From Lance to Landis“, über zwei amerikanische Tour-„Sieger“. Bei einer möglichen Kandidatur Armstrongs werde nun jeder US-Bürger lesen können, wer zur Wahl steht.

2. Freddie Röckenhaus, unter anderem Autor für die „SZ“, der vor ein paar Jahren mit seinem Kollegen vom „kicker“ Thomas Hennecke den Finanzskandal der Dortmunder Borussia aufdeckte, plaudert noch mal über die Sache, woraus vor allem ein Grundproblem der Branche sichtbar wird: Großen Widerstand gegen Kritiker würden vor allem Kollegen leisten, die gar nicht daran interessiert seien, an den Verhältnissen etwas zu ändern, weil sie selbst unter den Folgen einer möglichen Recherche zu leiden hätten. Klar, wer mit Präsident Niebaum gut konnte und von ihm Informationen erhielt, wollte, dass er bleibt – egal, was in den Bilanzen passiert. Was an Röckenhaus gefällt: Er beweist, dass man Fan-Sein und kritische Recherche verbinden kann. Das ist genau der richtige Weg, um auch bei Lesern und Zuschauern aus der Sektiererecke herauszukommen, in die man die Handvoll Aufklärer rund um das sportnetzwerk bannen möchte. Wir dürfen keine Eunuchen sein! Röckenhaus’ Auftritte am DSF-Stammtisch Doppelpass beispielsweise tun Gutes: Er wird sichtbar. Außerdem gewinnt diese Sendung des stammtischhaften Establishment durch seine Anwesenheit (aber auch etwa durch die des Kollegen Jan Christian Müller von der „Frankfurter Rundschau“) deutlich an Format. Nebenbei, mich erinnert Röckenhaus’ Coolness weniger an den alten Beethoven, wie Kai Pahl meint, sondern eher an Udo Lindenberg oder Jürgen Drews.

3. sportnetzwerk & Co. brauchen bekannte Köpfe, am besten Stars wie den Engländer Andrew Jennings, Feindbild vieler Sportfunktionäre. Die Lektion von Jennings ist der Röckenhaus’schen verwandt: Kritischer Geist und ein breites ansteckendes Lachen schließen sich nicht aus. Damit das Bewusstsein vieler Zuschauer für die großen gegenwärtigen Probleme des Sports geweckt wird, müssen die Journalisten, die auf sie hinweisen, so sein, dass meine Mutter sie gut findet. Der joviale und enthusiastische Jennings würde ihre Herz sofort erobern.

4. Der Auftritt von Elmar Theveßen (ZDF) irritiert: Das Mitglied der Doping-Abteilung („Task force“) des ZDF ist im Gewand des Freunds gekommen, wirkt aber so, als wollte er den Status quo sichern. Wie anders ist es zu erklären, dass er vehement das Mantra der Bewahrer vertritt: Man solle jetzt aber nicht alle Athleten und Kollegen über einen Kamm scheren; man dürfe nun nicht „zynisch, zynisch, zynisch“ (dieses Attribut gebraucht Theveßen synonym mit „investigativ“) werden und hinter jedem Baum jemandem mit einem Gewehr vermuten und so weiter und so weiter … Als würde das jemand tun. Dass es bedenklich sein könne, dass Kristin Otto, eine Protagonistin des DDR-Sports, eine hervorgehobene Position bei dem öffentlich-rechtlichen Sender innehat, bestreitet er mit dem Hinweis auf fehlende Beweise ihrer Doping-Vergangenheit. Ich will die Akte Otto hier nicht erörtern, denn das Problem kann man auch eine Stufe darunter darlegen: Sie hat sich nie zu ihrer Vergangenheit geäußert und damit die Möglichkeit vertan, Glaubwürdigkeit zu erlangen. Zudem gibt es im ZDF keinen „sprechenden Kopf“ (Wolf-Dieter Poschmann etwa? Rudi Cerne vielleicht? Johannes Kerner gar?), den man mit Doping- oder irgendeiner anderen Aufklärung verbindet.

5. Die ARD hat ja immerhin Hajo Seppelt, ihr Feigenblatt in Sachen Doping. Leider und verständlicherweise äußert er sich nicht zu seiner aktuellen Situation. Er ist ja vor ein paar Wochen von seinen Kollegen auf Sendung für seine Arbeit gemaßregelt worden – und das in einem triumphalen Ton. Vielleicht wirkt er daher wie ein Verfolgter, vielleicht bilde ich es mir auch ein. Seine Ausführungen über seinen Film, in dem er die Versäumnisse der NADA in Bilder umgesetzt hat, geben einen guten Einblick, wie schwer die Arbeit mit Sportlern und Funktionären ist und wie unbeliebt man sich machen kann.

6. Die Wiener Vorfälle im Biathlon gibt die Leitfrage der Konferenz vor (ohne dass sie durchdringend beantwortet wird): Ist es „Verdachtsjournalismus“, über die anonyme Anzeige und die aufgeführten Athletennamen zu berichten – und ist er legitim? Oder muss man es sich verkneifen? Ein wichtiger Hinweis kommt von Thomas Hahn (SZ), der in seinem Workshop generell darauf aufmerksam macht, dass man, wenn schon mit Recht und Gesetz argumentiert wird, nicht nur die Unschuldsvermutung ins Feld führen solle, sondern auch den berechtigten Anfangsverdacht.

7. Einen großen Auftritt hat Kai Pahl von allesaussersport.de, der einen Augen öffnenden und im besten Sinne fleißigen Vortrag über die Ignoranz hält, mit der deutsche Verlage die Sportrubriken ihrer Websites verkümmern lassen. Exemplarisches Ergebnis: Die „Süddeutsche“ verschenkt sehr viel Platz mit „Crap“ (also Schrott, also sinnlosen Fotostrecken und „Games“) und signalisiere ihren Lesern nicht, dass sie sich auf einer Plattform befinden, die sie mit gutem Sport-Inhalt bedient. Auch wolle sie mit ihren Lesern nicht unbedingt reden, Stichwort „Community“. Der „Guardian“ sei ihr und vielen anderen deutschen Redaktionen um Online-Welten voraus.

8. Jürgen Kalwa von American Arena malt das schönste Bild der Tagung: Um den Kollegen nahe zu legen, sich im Handwerk des Online-Journalismus zu üben um auf alles vorbereitet zu sein, warnt er vor folgender Haltung: „Was kann ich denn dafür, wenn mein Vater vergisst, mir Handschuhe zu kaufen und meine Hände erfrieren?“

9. Und nicht zuletzt: Zu danken ist dem umtriebigen und unbestechlichen Jens Weinreich, der von seiner Wut auf Funktionäre, Kollegen, Wissenschaftler und alle Mittäter, die ihm und allen ein großer Antrieb ist und die er hinter einer leisen Stimme versteckt, der also von seiner Wut (diesen Gefühlszustand würde er nie zugeben) hoffentlich nie verlassen wird. An das Zeug, was Du Dir abends durch die Gurgel jagst, muss ich mich allerdings noch gewöhnen, J.W.

10. Auch anwesend und anscheinend mit Weinreich nicht verwandt: Michael Schaffrath, der mir noch aus meiner Studentenzeit in Gießen als Dozent in Erinnerung ist. Vor allem seine einstudierten Harald-Schmidt-Posen, komischerweise weniger seine wissenschaftlichen Ergüsse.

[audio:http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2008/02/16/dlf_20080216_1713_958e6d73.mp3]

Frage: Müssen wir nicht Englisch sprechen oder den Englisch-Teil erhöhen, wenn wir (prominente) englische Gäste haben? Ich bin mir nicht sicher, zumal ich kein Freund von dem Trend bin, auf Kongressen nur noch Englisch zu reden.

Nachtrag: Was noch zu lernen ist: Erscheint man unter Journalisten mit Krawatte, muss man sich erklären, wenn nicht sogar entschuldigen (Theveßen). Ungebügelte Hemden gehen immer.

8 Kommentare

  1. Totalneutral schrieb am 19. Februar 2008:

    Lieber Herr Fritsch,
    wenn ich Ihre Schilderungen lese, bedauere ich es ein wenig, nicht vor Ort gewesen zu sein. Ihrer Chronologie folgend möchte ich sieben Anmerkungen zu den von Ihnen dargelegten thematischen Höhepunkten verfassen:
    1. Die Person Lance Armstrong ist aus meiner Sicht der unappetitlichste Protagonist der Radsport-Szene seit Einführung des Farbfernsehens. Mich erstaunt stets, wenn sein persönliches Schicksal abseits des Sports in bewundernder Verklärung mit seinen sportlichen Erfolgen verquickt wird. MIr wird dabei schlecht. Ich lese im Wirken und Auftreten dieser Person pure Kälte, Rücksichtslosigkeit (auch gegen sich selbst) und ein eindimensionales, völlig klares Weltbild. Ihn mir als Präsidenten vorzustellen, hieße fast schon sich für George Bush eine dritte Amtszeit zu wünschen. Vor allem hoffe ich jedoch, dass er niemals in Funktionärs- oder Trainerämter gelangt.
    2. Freddie Röckenhaus empfinde ich als wohltuend kritischen Journalisten, der mit seinen Recherchen zur Dortmunder Finanzstrategie dicke Pflöcke in den Morast der sportjournalistischen Landschaft geschlagen hat. In Zeiten der Dortmund-Enthüllungen schlug ich mit Freuden den Sportteil der SZ auf. Gleiches gilt für Thomas Hennecke: ein geradezu schauderhaftes Vergnügen bereitete mir seinerzeit die Lektüre des doch stets staubtrockenen, konservativen Sportmagazins aus Nürnberg. Die Anwesenheit von Röckenhaus beim DSF-Gequatsche am Sonntag ist meiner Meinung jedoch ein völliger Verpuffungseffekt. Solange der Werder-Moderator mit seiner -ich sage es mal freundlich- unangenehmen und vereinfachenden Art bzw. Sichtweise der Dinge diese Sendung moderiert und Udo Latteck dazu ermutigt, seine Brachial-Antik-Arithmetik den Gästen um die Ohren zu schmettern, finden Leute wie Röckenhaus nicht genug Gehör bzw. erhalten zu wenig Redezeit. Die Macher dieser Sendung sind gar nicht auf Tiefe aus. Jan-Christian Müller erlebe ich in diesem Zusammenhang als eher befangenen Geist. Mir scheint in seiner Betrachtung der Fußballwelt zu viel Simplifizierung mit einem Hauch von Voreingenommenheit, etwa für das Bremer Modell. Ich mag mich da jedoch täuschen.
    3. Britische Mentalität als Injektion in den „deutschen Sportjournalismus“-um diesen brutal verallgemeinernden Begriff auch mal zu verwenden- täte in der Tat Not. Die Lektüre britischer Fußballberichterstattung ist ein Genuss und sogar der Boulevard hat im Vergleich zu deutschen Springereien ein, wenn auch bescheidenes, Niveau.
    4. War Her Theveßen nicht auch eine Zeit lang Terrorrismus-Experte des ZDF? Dort hätte er doch lernen sollen, wie man eine Lunte legt. Bitte nicht zynisch verstehen! Das Format öffentlich-rechtlicher Sportsendungen, ihrer Programmleiter und Moderatoren ist so bescheiden, dass man von ihrem gerne zitierten Sendeauftrag nicht mehr erwarten kann und darf. Das Kreuz einer Kristin Otto ist zwar naturgegeben ein breites, jedoch musste es nie ein kritisches Hinterfragen ihrer sportlichen Leistungen aushalten. Seoul 1988 waren doch die letzten großen und unverschämten Festspiele des Dopings bzw. die finalen Zuckungen des Kalten Krieges auf anderem Gebiet und mit anderen Mitteln. Bei ARD und ZDF verkauft man sauberen Sport in einfacher Verpackung. Ich hätte jetzt aber auch kein Patent-Rezept wie ich die Sportler, Sponsoren und Funktionäre investigativ vor laufender Kamera am Schlawitschen packe. Man sollte sich vielleicht damit mal eingehender Auseinandersetzen-genug Geld für ausgiebige Diskussionsrunden ist ja vorhanden.
    5. Hajo Seppelt hat mit seinen Recherchen bestimmt einen schweren Weg gewählt-wer im Dreck wühlt, den kann hinterher niemand mehr riechen. Interessant wäre jedoch zu wissen, inwieweit ihn der eigene Sender im Stich ließ, als er seinen Anfangsverdacht in juristisch anfechtbarer Form publizierte.
    6. Das Abwägen zwischen Anfangsverdacht und Unschuldsvermutung ist bestimmt ein extremer Knackpunkt bei jeder Form von Enthüllung. Solange sich jedoch die Redaktionen vieler Zeitungsverlage auf das Internet als Rechercheinstrument Nr.1 verlassen, solange plädiere ich dafür die Unschuldsvermutung im Zweifel stärker zu gewichten. Ich bin stets aufs Neue erstaunt mit welcher Dynamik einzelne Journalisten voneinander abschreiben, Agenturmeldungen aufblasen und ungefiltert verbreiten oder lustvoll spekulativ im Nebel stochern. Was täglich in den Redaktionsstuben aufgekocht wird, sollte mal einer kritischen, wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen werden. Wie schnell und in welcher Form zieht ein in den Teich der sportjournalistischen Landschaft geworfener Stein seine Kreise? Und vor allem: inwiefern handelt es sich hierbei um die Flüsterpost-Methode, bei der am Ende nur ein Teil der Wahrheit beim Leser herauskommt?
    Zum Wiener Skandal fällt mir auf, wie gerne ich selbst daran glauben will, dass der deutsche Biathlonsport mit sauberen Mitteln betrieben wird. Dass was man liebt, unterzieht man nur höchst ungern einer kritischen Überprüfung.
    7. Die Verlagslandschaft in Deutschland ist konservativ, nicht investitionsfreudig, Innovationen gegenüber nicht aufgeschlossen und teilweise völlig desinformiert. So weit meine Meinung, die man gerne als Klischee beschimpfen kann. Ich spreche hier jedoch aus resignierter Erfahrung. Amerikanische oder britische Formate leben vergleichsweise in einer anderen medialen Zeit. Auch wenn viele Journalisten im Blogging das Ende des Qualitätsjournalismus sehen-hier entsteht meiner Meinung nach das, was auf großen Plätze nicht wachsen und blühen kann bzw. darf. In diesem Sinne-Herr Pahl und Herr Fristch, machen Sie weiter!

  2. Goodbye Dortmund : sportnetzwerk schrieb am 19. Februar 2008:

    […] direkter Freistoss […]

  3. Oliver Fritsch schrieb am 19. Februar 2008:

    Ja, Doppelpass ist meist unsäglich – und auch durch Freddie Röckenhaus nicht zu retten. Ich finde es aber gut, wenn die „Guten“ bekannt und sichtbar werden.

  4. jens weinreich schrieb am 19. Februar 2008:

    Die zehn Punkte lasse ich jetzt mal unkommentiert, habe schon zu viel zu diesen Themen gesagt und will ja auch künftig nicht schweigen. Doch einen kleinen Nachhilfeunterricht in ungesunden Longdrinks (nun ja) und Ostmusik muss ich dem Herrn Fritsch schon noch geben:

  5. jens weinreich schrieb am 19. Februar 2008:

    und weil ich zu blöd bin, den Link sauber reinzumontieren, hier nochmal: http://www.ostmusik.de/cola_wodka.htm

  6. masporn schrieb am 20. Februar 2008:

    Und was wurde bei dieser Konferenz über die Eintracht-Fans geredet?

  7. Oliver Fritsch schrieb am 20. Februar 2008:

    Nichts. An die großen, wahren Themen haben wir uns nicht getraut.

  8. Von Lügnern, Tricksern und Überzeugungstätern : sportnetzwerk schrieb am 20. Februar 2008:

    […] Oliver Fritsch (direkter freistoss) zur Diskussion mit ET […]

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