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Wenn man über Fans schreibt, muss man sich oft anhören, ein abgehobener Schnösel zu sein, der, hoch zu Rosse, doch keine Ahnung habe, wie es in einer Fan-Kurve zugehe. Also habe der Schreibtischfuzzi gefälligst sein Maul zu halten. Dass man aber vielleicht auch mal ein Fan war und irgendwie noch ist, kommt den Nörglern nicht in den Sinn.

Aus Anlass der Ereignisse in Frankfurt ein paar Einwürfe eines sozusagen teilnehmenden Beobachters zum Thema „Das Stadion als Ort des menschlichen Mit- und Gegeneinanders“: Den Fans, die auf Krawall aus sind, geht es nicht darum, etwas zu zerstören oder ein Fußballspiel abzubrechen. Es geht ihnen um Anerkennung, um Status, um ihren Ruf – und zwar sowohl in der eigenen Gruppe als auch gegenüber rivalisierenden. Gruppenverhalten ist fast immer eine Hierarchiefrage. Wer hat den größten Mut, wer ist am stärksten, wer erlaubt sich die größten Regelbrüche? Daher ist es nicht unbedingt als Auflehnung gegen die bestehenden Regeln zu werten, wenn Fans sich prügeln oder Raketen aufs Spielfeld werfen. Sie brauchen Regeln, um sie zu brechen. Wer in Gruppen diesen Milieus nach oben will, muss sich was trauen. Das kann ein Faustkampf gegen Drei sein, ein Stinkefinger zur Polizei, der Überfall einer Imbissbude beim Auswärtsspiel oder ein „Bengalo“. Fassen wir es mal der Einfachheit wegen unter Gewalt zusammen, so unscharf der Begriff sein mag.

Gewalt wird es immer geben, solange es Menschen gibt. Besser: Solange es Männer gibt. Denn es ist ein männliches Phänomen. Mehr als neunzig Prozent aller Gewaltdelikte werden von und an jungen Männern begangen. Diese relative Zahl ist konstant, wenn auch die absolute Zahl schwankt, auch unter Fußballfans. Nebenbei, schlagende Frauengruppen sind so existent wie (das wissen wir von Monty Python) prügelnde Großmütterbanden oder randalierende Abbiegeschilder.

Doch es gibt auch eine weibliche Seite: Gewalt wird es auch deswegen geben, solange es Frauen gibt, die auf männliche Gewalt und Alpha-Männer stehen. Ja, richtig gelesen. Ich habe vor acht Jahren zweck meines Studienabschlusses mit vielen Fans, auch weiblichen, über das Thema Gewalt und Randale gesprochen. Und die Mädels, die im Fan-Block stehen, haben zugegeben, sich von starken und dominanten Männern angezogen zu fühlen. Oder zumindest eine Freundin zu kennen, für die das gilt. Bei Schlägereien kommt es schon mal vor, dass die Freundinnen der Protagonisten oder deren Anbeterinnen mit dem Foto (in sicherem Abstand) daneben stehen und die „Heldentaten“ festhalten. Eine repräsentative Aussage einer der Befragten lautet: „Meine Freundin Jenny lehnt Gewalt ab. Aber ich glaube, das macht sie nur, weil sie denkt, dass man das von ihr erwartet. Wenn ich mit ihr darüber rede, merke ich, dass sie das ganze sehr auf- und erregend findet.“

Und die „Leader of the Pack“ scheinen den besten Kopulationszugang zu rezeptiven Weibchen zu erreichen, wie der Anthropologe sagt. Der Chef der größten Fan-Gruppe eines hessischen Oberligisten, die ich damals eine Zeitlang begleitete, hatte die meisten und schönsten Freundinnen. Und Boss einer solchen Gang wird man nicht durch rhetorische Fähigkeiten, das beste Abschlusszeugnis oder die schönste Handschrift. Der ritualisierte Einstieg für den Nachwuchs bestand übrigens damals in der Mutprobe, auf den gegnerischen Block zuzulaufen und eine Bratwurst reinzupfeffern. Wer das hinter sich gebracht hatte, war als verlässliches Mitglied akzeptiert.

Ziel ist es immer, dass so viele Leute wie möglich von den Untaten mitbekommen. Am besten eignet sich dafür die Bühne Fußball-Bundesliga samt ihren tausend Kameras. Nichts ist übrigens leichter, als einen Hooligan (so hießen die mal) zum Reden zu bringen und einem die Videos, Fotoalben und Zeitungsartikel aus ihrer Sammlung zu zeigen. Einmal im Fernsehen – das ist es wovon sie träumen. Meistens handelt es sich um nette Jungs.

Im Fan-Block von Fußballstadien zeigt sich, wie überall auch, das Wesen des Menschen, das von Jahrmillionen Evolution geprägt worden ist. Es wird immer junge Männer geben, für die sich Gewalt „lohnt“ (oder die das glauben und hoffen). Die auf diese Weise Freunde finden, Bewunderung, Status, Aufstieg. Und manchmal wohl auch Frauen. Ich kann es nicht belegen, aber diejenigen Nürnberger, die am letzten Samstag die Raketen aufs Frankfurter Spielfeld warfen, die sie zuvor ins Stadion schmuggeln mussten, und somit die Schlagzeilen des Wochenendes beeinflussten, werden sicher nicht nur Kritiker, sondern auch einige Bewunderer (und Bewunderinnen) haben. Das heißt nicht, dass man gegen Randalierer keine Maßnahmen treffen solle oder dass das alles ganz harmlos und hinzunehmen sei. Nur, dass wir mit einem bestimmten Maß an Gewalt und Krawall unter Fußballfans immer leben müssen – solange es sich um Männer handelt.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich für diese Anmerkungen weniger von den Fans ausgezählt werde als von Feministinnen und deutschen Soziologen, die sich ja erst langsam und ungern von dem Jahrzehnte alten Irrtum verabschieden, dass Frauen und Männer nicht als Frauen und Männer geboren werden, sondern von Umwelt und Medien dazu gemacht würden.

24 Kommentare

  1. Easyfunk [welt-hertha-linke] schrieb am 9. April 2008:

    Also wenn ich dir als angehender Soziologe antworten darf, dann würde ich zumindest sagen, dass du eine gewagte These vertrittst. Sie mag zwar unpopulär und wenig „pc“ sein, trotzdem denke ich, dass sie einiges an Plausibilität mit sich bringt. Allerdings sollte dieser Aspekt des Frau/Mann-Rollenspiels eben als ein Aspekt unter vielen anderen betrachtet werden. Allein mit der Rollenverteilung von Männern und Frauen im und rund um den Fußball wird man die meisten Phänomen nicht oder nur unzureichend erklären können.

    Wenn ich dir als fußballbegeisterter „Schreibtischtäter“ antworte, dann frage ich mich, warum Medien, Umfelder, Blogger und Fans dermaßen auf diesen Zug aufspringen. Was ist denn bitteschön in Frankfurt passiert? Wegen ein paar Böllern neben dem Spielfeld und ein paar Bengalos auf dem Rasen braucht man sich nicht aufregen, denke ich. Da gehe ich konform mit deiner Aussage, dass es eben „nur“ ein Regelbruch ist. Das gehört zu dem ganzen Spiel des Fußballs dazu. Hysterie ist in diesem, wie auch in vielen anderen Fällen nicht angebracht. Vielmehr bedürfen die Phänomene der rechtsradikalen Politisierung des Fußballs (nicht nur im Osten!) eines stärkeren öffentlichen und gesellschaftlichen Fokus. Das Problem in der Hysterie um die Bengalos sehe ich vor allem darin, dass sich in dem ganzen Geschrei die wirklich drängenden, gesellschaftlichen Probleme, die sich ihren Ausdruck im Sport suchen, vernachlässigt werden können.

    Als Beobachter der Fanszene der Berliner Hertha habe ich im Zuge der Proteste gegen die Stadionverbote der Berliner Ultras schon einmal angemerkt, dass die Entfremdung zwischen Fans und Vereinen durch die massenmedial inszenierte Empörung über vergleichsweise kleine „Vergehen“ einerseits und die teils irrsinnig ignorante Haltung der Ultras andererseits, zu vielfältigen Problemkonstellationen führen, die ganz sicher nicht durch noch lauteres Geschrei behoben werden können. Dass alten Herren, wie dem Teppichhändler aus Nürnberg die nötigen moderierenden Fähigkeiten vollkommen fremd sind, konnte man in vielen Aussagen deutlich erkennen. Es sind eben nicht nur die Fans, die sich bewegen müssen…

  2. Stefan schrieb am 10. April 2008:

    „… dann frage ich mich, warum Medien, Umfelder, Blogger und Fans dermaßen auf diesen Zug aufspringen. Was ist denn bitteschön in Frankfurt passiert?“

    Was passiert ist? Es wurden Unbeteiligte verletzt. Allemal ein paar Artikel wert. Und berichten ist deren Job – wenn sich auf dem Spielfeld schon nichts erwähnenswertes abspielt.

    Die Daum’sche Meinung „Nichts würde geschehen, wenn keiner drüber berichten würde“ halte ich für… naja, einen Spruch von Christoph Daum eben.

  3. teufel korn schrieb am 10. April 2008:

    ich habe die vorfälle aus frankfurt nur in der sportschau gesehen und frage mich auch: was bitte ist denn geschehen? es wäre doch wirklich damit getan, den nürnbergern eine saftige geldstrafe aufzubrummen oder sie sonstwie zu bestrafen, nicht aber dauernd darüber zu reden.
    ich bin besucher der stuttgarter cannstatter kurve, zünde allerdings keine fahnen oder raketen an oder halte banner hoch. ich schaue dort fussball an. so war ich schon etwas erstaunt über zwei brände rechts neben mir, sowie raketenfeuer aus dem gästeblock bei derby gegen den ksc. waren beides völlig unnötige szenen, über die aber auch wieder in (meiner meinung nach) übertriebenem maße geredet wurde. um nicht mißverstanden zu werden: ich will das AUF KEINEN FALL unter den tisch kehren, ich bin unbedingt für eine bestrafung solcher „fans“ und ziehe vor christian eichner den hut, der angeblich anzeige gegen unbekannt gestellt hat und seinen „fans“ danit demonstriert hat, was er davon hält (eine abgrenzung der nürnberger mannschaft von ihren fans hätte ich ebenfalls begrüßt, war aber wohl zuviel verlangt – fussballer könnten manchmal auch ein bisschen mitdenken). aber je mehr darüber gesprochen wird, je mehr raum diesen deppen gegeben wird, umso mehr werden weitere angestachelt zu zündeln.

  4. Easyfunk [welt-hertha-linke] schrieb am 10. April 2008:

    Da hast du Recht, keine Frage. Nur stehen in den Berichten nicht die Verletzten im Vordergrund. In meiner Wahrnehmung der Berichte stand eine möglicher Punktabzug des FCN oder mögliche Geldstrafen im Vordergrund. Dazu dann der Tenor: „Diese Chaoten, das kann nicht sein!“ Das zeigt doch, worum es Offiziellen und Berichterstattung in der Regel geht: Um den sauber und reibungslos ablaufenden Fußball. Dass sich hier auch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten ihren Ausdruck suchen und als solche eine andere Reaktion als einfache Verteufelung benötigen, wird eben nicht in den Berichten transportiert. Insofern verstehe ich das ganze Geschrei nicht. Denn es bezieht sich eben nur auf diejenigen Betroffenen, die eh schon im Sport und in der Gesellschaft privilegiert sind. Und diese eitlen Herren haben schon eine große Lobby, weshalb ich es nicht verstehe, dass so viele auch noch freiwillig auf diesen Zug aufspringen…

  5. Nicole schrieb am 10. April 2008:

    Klar, gibt es Frauen, die das faszinierend, interessant und attraktiv finden. Gewalt und Macht hängen ja nun mal zusammen, und fanblocks sind ein Bereich, wo man das von zeit zu zeit auch live studieren kann. frauen allerdings haben dabei doch meist auch keine aktive rolle, sondern die der passiven zuschauerin oder dokumentieren das ganze, das ist schon ein wichtiger unterschied. und bei den ultras nürnberg wünscht sich ja so mancher eine kurve ganz ohne frauen, wie man der sehr interessanten doku gate eight entnehmen konnte.

  6. bunteskanzler schrieb am 10. April 2008:

    Das halte ich ebenso für eine maßlose Ãœbertreibung, wie den großen Rest der Berichterstattung zu den „Vorfällen“ in Frankfurt. Angeblich soll eine Person einen Hörsturz erlitten haben, wie einige Tage später zu lesen war. Das ist – wenn es denn stimmt – wirklich nicht schön. Aber in diesem Zusamenhang von VerletztEN zu sprechen, oder von „Ausschreitungen“ oder gar „Krawallen“, so wie in den meisten Medien geschehen, ist eine an Hysterie kaum zu übertreffende Ãœbertreibung (es wurden exakt drei Böller gezündet und ein Feuerwerkskörper aufs Spielfeld geworfen).
    Meines Erachtens bewirken solch maßlose Ãœbertreibungen und damit verbundener JBK’scher Betroffenheitsjournalismus genau das Gegenteil dessen, was sie erreichen wollen. Aus einer Mücke wird ein Elefant gemacht. Aus irgendeinem unvernünftigen, vermutlich betrunkenen Fan, der im Versuch seinen Mut (und Status) zu beweisen über das Ziel hinausgeschossen ist, geradezu ein landauf landab gesuchter Schwerverbrecher. Oder anders ausgedrückt, aus der Sicht der Seinen, ein Held.
    Wie groß sich dieser kleine Wicht doch fühlen muss! Wie sehr er selbst und sein Umfeld über die maßlosen Berichte in den Medien lachen wird!
    Ich finde man sollte das Thema mit einer Portion Gelassenheit betrachten, statt voller Entrüstung den Finger auszustrecken.

    Nebenbei ist mir zu dem Thema ein interessanter, etwas abwegiger Gedanke gekommen. Die breiten Verurteilung dieser „sanften Gewalt“, das Anprangern, die Abscheu, Hysterie, die Vorverurteilung einer ganzen Gruppe (Ultras), ja der Ekel mit dem diese angeklagt wird, kommt mir bekannt vor. Es kommt mir die Parallele Sexualität in den Sinn. War es nicht die gleiche Art und Weise, mit der öffentlich gezeigte oder thematisierte Sexualität in der Zeit vor der geistigen Befreiung Ende der 60er angeprangert wurde? Es war, obgleich in JEDEM Menschen veranlagt, ein Tabuthema, es war verpönt davon zu sprechen oder gar es zu tun.
    Es ist provokant, aber kann es nicht sein daß irgendwann die Zeit kommt, in der eine gewisse Art der „sanften Gewalt“ oder „kontrollierten Gewalt“ (wie Sport) als unverweigelrich menschlich und natürlich angesehen wird, so wie es mit der Sexualität geschehen ist? Das ist natürlich off-topic und ein wenig gewagt, aber ich halte es für gar nicht mal so abwegig.

  7. bunteskanzler schrieb am 10. April 2008:

    Am Anfang des obigen Kommentars sollte eigentlich dieses Zitat stehen:

    „Was passiert ist? Es wurden Unbeteiligte verletzt. Allemal ein paar Artikel wert. Und berichten ist deren Job – wenn sich auf dem Spielfeld schon nichts erwähnenswertes abspielt.“

    verdammtes blockquote…

  8. Tobi schrieb am 10. April 2008:

    Selbstverständlich geht es den Jungs um Status und Anerkennung, und selbstverständlich haben Status und Anerkennung auch mit Erfolg bei Frauen zu tun – in der Schicht, in der man sich bewegt. Um mal billige Klischees zu bemühen: Der Intellektuelle zitiert öffentlich Proust und Sartre, um Studentinnen ins Bett zu bekommen, der Hool schmeisst Böller, um seine Korpulationschancen bei Sonnenstudioangestellten zu befördern.
    Was das ganze hier zum Problem macht, sind allerdings eher die Sonnenstudioangestellten in anderen Städten, die verhohlen von Nürnberger Ultras schwärmen, beziehungsweise die Jungs in anderen Städten, die genau das glauben. Und das kommt nicht von den paar Feuerwerkskörpern, die wahrscheinlich von 2-3 Vollidioten abgefeuert wurden, sondern von der extremen Aufmerksamkeit, die sie von sämtlichen Medien bekommen. Schlimm, dass jemand verletzt wurde, aber die Berichterstattung über Ausnahmezustände, Chaos und Massenausschreitungen wird nichts bewirken außer Nachahmer zu provozieren – 2-3 Vollidioten gibt es wohl in jedem Fanblock der Welt…

  9. Berndl schrieb am 11. April 2008:

    Ich bezweifle, dass Aggression beim Stadionfan mit Imponiergehabe zu tun hat, das unmittelbar auf Frauen gerichtet ist, bin da eher Nicoles Ansicht. Das Ganze spielt sich doch zu sehr in einer Männerwelt ab.

    Meiner Ansicht nach bietet das Stadion den Raum, um sich so zu verhalten, wie man es im Normalfall eben nicht tut. Diese „normgerechte“ Regelüberschreitung ist eine wesentliche Motivation im Stadion herumzubrüllen, mal abgesehen von einer unverständlichen Identifikation mit dem eigenen Club (Selbsterfahrung eines echten Glubberers). Es herrschen andere Regeln. Es ist erlaubt ein gewisses Maß an Aggression zu zeigen und auszuleben, ich würde das nicht unbedingt als negativ bewerten.

    Aber trotz der Besonderheit der „Stadionregeln“, es gibt eben auch dort Regel, und die erlauben eben nicht, fahrlässig oder überhaupt mit Feuerwerkskörpern zu hantieren oder andere Menschen zu verprügeln. Denke das wiederum hat mit der menschlichen Neigung zu tun, ganz gerne mal willkürlich und gewaltsam zu handeln. In der Hooliganszene prügelte sich schließlich der Bankkaufmann mit dem VWL-Student.

  10. moz schrieb am 11. April 2008:

    Das Thema „Bengalos“ist doch nicht das Problem: In anderen Ländern ist das Teil der Fankultur, diskutiert wird ja auch in unzähligen Fanforen, ob man Pyrotechnik von Fans nicht auch in „geregelter“ Form in deutschen Stadien zulassen sollte. Gerne.

    Der Effekt wird meines Erachtens sein: Bengalos werden für die Jungs – die Alterstruktur spricht da für sich – dann langweilig. Wo ist denn da der Regelbruch? Macht dann keinen Spaß mehr. Also werden sie etwas Neues finden.

  11. Tobi schrieb am 11. April 2008:

    @Berndl: Unmittelbar sicher nicht, aber bei solchen Aktionen geht es immer um den Status innerhalb einer Gruppe – und dass der Gruppenanfuehrer in der Regel mehr Erfolgschancen hat (oder sich die zumindest erhofft), steht wohl fest.

  12. Detlev Claussen schrieb am 14. April 2008:

    Es gibt – Gott sei dank- schon wieder Wichtigeres im Fussball, als sich über diese Feuerwerkswerfkampagne in Frankfurt aufzuregen. Aber der Schlußsatz des Kommentars sollte nicht unwidersprochen bleiben. Lieber Herr Fritsch, Sie gendern und anthropologisieren ganz gewaltig…damit erschrecken Sie weniger „Feministinnen und deutsche Soziologen“, als sie erhoffen; denn die von Ihnen allzu häufig mit „immer“ verallgemeinerten Beobachtungen passen allzu gut mit den branchenüblichen Konformismen zusammen. Schon das Reden über „Gewalt“ ist allzu oft gleichmacherisch und erspart das individuelle Hinsehen.

    Zunächst einmal die maßlose Ãœbertreibung, wenn in Frankfurt von Gewaltexzessen geredet wird, weil ein paar Rakten und Böller geworfen werden. Feuerwerkskörper werfen ist unbestritten gefährlich; vor allem für Unbeteiligte.Aber ein Gewaltexzeß ist das in Frankfurt nicht gewesen. Es scheint mir eher ein Autoritätskonflikt zwischen einigen Fangruppen und „ihrem“ Nürnberger Präsidenten zu sein, der noch die Plattitüde von den „Studierten“ hinzugefügt hat.
    Damit sind wir bei den Konformismen: Es ist ein frommes Gerücht, daß Gebildete und/oder Frauen zur aktiven Gewaltausübung nicht in der Lage sind. Es kommt auf die Umstände an. Von der berühmten englischen Hooliganszene der 80er Jahre bis zu vielen terroristischen Gruppierungen kann man gerade nicht behaupten, sie entstammten ärmlichen Verhältnissen. Spätestens seit die Untaten in nationalsozialistischen Konzentrationslagern untersucht worden sind, sind wir auch darüber informiert, daß durchaus „Studierte“ und Frauen zu aktiver Gewaltausübung fähig und in der lage sind. Die generelle Einschätzung von Frauen und Passivität der Gewalt gegenüber ist ein von frühen Feministinnen und Anthropologen gepflegter Mythos.Gewalt ist gar nicht geil, sondern widerlich…wer keine Abscheu empfindet, lebende Wesen zu verletzen, muß schon einem Verrohungsprozeß unterworfen sein..es gibt leider viele gesellschaftlich zu unterscheidende Wege, wie man (und auch frau) dahin kommen kann. Außerdem ist kritiklose Bewunderung von Gewalt moralisch kein Stück besser als die Ausübung selbst.Es gibt allerdings eine „Faszination der Gewalt“…und davon lebt die heuchlerische Berichterstattung und die übertriebene moralische Entrüstung. Es regt mich vielmehr auf, daß in einigen Fangruppierungen antisemitische, rassistische und sexistische Verhaltensformen lauthals gepflegt werden, die von anderen einfach hingenommen und die mit soziologisch-psychologischen Scheinerklärung wie „männliche Adoleszenzkrise“ und Gruppenverhalten für unvermeidlich erklärt werden.Diese immer wieder praktizierte Einübung von Rohheit ist viel schlimmer als das Zünden von „Bengalos“.

  13. teufel korn schrieb am 14. April 2008:

    Aus irgendeinem unvernünftigen, vermutlich betrunkenen Fan, der im Versuch seinen Mut (und Status) zu beweisen über das Ziel hinausgeschossen ist, geradezu ein landauf landab gesuchter Schwerverbrecher. Oder anders ausgedrückt, aus der Sicht der Seinen, ein Held.
    Wie groß sich dieser kleine Wicht doch fühlen muss! Wie sehr er selbst und sein Umfeld über die maßlosen Berichte in den Medien lachen wird!

    Mir fällt bei den Worten von buteskanzler gerade noch der mittlerweile auch zum Ultra-Brauch gehörende Demonstrationszug vor Spielen auf, bei dem – gerne auch auf Bannern geschrieben – skandiert wird, Fussballfans seien keine Verbrecher. Das stimmt ja so auch: ein Fussballfan ist nicht grundsätzlich ein Verbrecher. Dass sich aber gerade die Kurven darüber brüskieren, wie manche Fussballfans behandelt werden, im Gegenzug aber genau diese Behandlung durch ihre – meiner Meinung nach unnötigen – Bengalos usw. usf. provozieren; ja, das merken sie am Ende vielleicht gar nicht.
    Und was ist denn so wichtig an Bengalos, Feuern und sonstigem Tamtam? Es sieht ja gar nicht schlecht aus, aber der Fussball wird doch davon nicht besser und die Stimmung auch nicht. Und wenn sich solche Leute als Fussballfans bezeichnen, muss man doch davon ausgehen, dass sie in erster Linie ins Stadion gehen, um Fussball zu sehen. Manchmal ist es schwierig, dumme Menschen, die ins Stadion gehen, zu verstehen…

  14. Oliver Fritsch schrieb am 15. April 2008:

    Lieber Herr Claussen, Sie haben ja recht, in der Sache Frankfurt/Nürnberg-Fans möchte ich nicht von Gewalt reden, zumindest nicht von derselben Art Gewalt wie sie in anderen Kontexten zu beobachten ist. Ich wollte das auch in dem Text klargemacht haben.

    Allerdings will ich in dem Vorwurf, ich „anthropologisiere“, keinen Vorwurf erkennen. Wiewohl ich weiß, dass er hierzulande als Vorwurf gemeint ist; gleiches, und vermutlich noch stärker, gilt für „biologisieren“. Doch ich kann nichts unredliches daran erkennen, menschliches Verhalten, Denken und Fühlen aus biologischer Sicht zu betrachten. Es ist eine legitime Herangehensweise, der soziologischen oder psychologischen gleichberechtigt. Sie analysiert nur auf einer anderen Ebene.

    Natürlich weiß ich, dass besonders in Deutschland biologische Thesen durch Pseudobiologen als Legitimation für Verbrechen missbraucht wurden. Aber Darwin kann nichts dafür, dass Mörder, Lügner, Räuber und ihre Wegbereiter ihn einnahmen und bewusst falsch auslegten.

  15. franzferdl schrieb am 16. April 2008:

    ich stimme detlev claussen zu. etwas mehr gelassenheit und distanzierung hätte der (gegenwärtig abflauenden) debatte sicherlich gut getan. nicht zu letzt aus diesem grund sind gerade die sensationalisierenden medienreaktionen viel interessanter, die, so meine vermutung, wiederum dazu dienen werden, die neuen stadien weiterhin als hochsicherheitstrakte und überwachungscontainer zu legitimieren.

    allerdings muss man sich m.e. schon gegen solche vereinfachenden bio- & anthropologismen zur wehr setzen, eben weil sie gesellschaftliche (!!!) probleme auf eine biogenetische, irgendwie natürliche disposition reduzieren, eben: vereinfachen. zunächst einmal: es gibt sicherlich versierte anthropologische theorien (z.b. philosophische anthropologie à la plessner), die sich gerade um eine reflektierte verknüpfung von biologie, anthropologie, philosophie und/oder soziologie bemühen. insofern geht es nicht per se um ein anthropologie-bashing.

    die aussagekraft im hinblick auf das gesellschaftliche problem „gewalt“ ist jedoch recht überschaubar. man kann die argumentation schlicht so zusammenfassen: männer neigen also eher zu gewalt als frauen und verbinden mit solchen aktionen noch diverse balzrituale und -hoffnungen, die die frauen aufgrund ihrer eigenen fortpflanzungserwartungen akzeptieren. das reduziert den fan auf den stehplätzen auf das primitive niveau einer besonders aggressiven vogelart o.ä. interessantes menschenbild, das dahinter steckt. das kann man sicherlich so sagen, das sagst du ja auch, aber worin liegt denn die aussagekraft?

    betrachtet man gegenwärtige diskurskonstellationen, so fällt zumindest auf, dass hardcore-naturwissenschaftliche erklärungsweisen individuellen verhaltens oder sozialen handelns die gesellschaftliche meinungsführerschaft gewinnen. man denke nur an vertreter der neurobiologie oder biogenetik (z.b. dawkins), die uns mit ihren hochgradig reduktionistischen theorien die welt (religion, freier wille, gesellschaft etc.) ein für alle mal erklären wollen. insofern befinden sich olivers biologistische mutmassungen in guter gesellschaft. man wartet irgendwie darauf, dass sich nicht nur ein gottes-gen, sondern bald auch ein hooligan- oder ultras-gen finden lässt.

    ganz abgesehen davon, dass es sehr interessant ist, die frankfurter phänomene überhaupt als „gewalt“ einzuordnen. falls ich mich richtig an die bilder erinnere, gab es null physische, d.h. gegen körper gerichtete gewalt. hier: http://blogs.guardian.co.uk/sport/2008/04/07/are_german_fans_really_turning.html gibt es eine interessante diskussion zum phänomen „ultras“ im kontext von kommerzialisierung etc.

    sicherlich, böller-schmeissen ist ziemlich hirnrissig und nicht zu unterstützen. aber im deutschen fussball gibt es ganz andere gewaltphänomene, die bedeutend ernster genommen werden sollten. mann und frau führe sich einmal einschätzung von präsident theo 20er in einem interview mit 11freunde [http://www.11freunde.de/bundesligen/110201?current_page=4] zu gemüte, in dem er vor einer dramatisierung und skandalisierung des ultras-problems warnt und dann v.a. folgenden bemerkenswerten satz sagt:“Die Gefahr der Gewalt droht von woanders: Im Osten versuchen Neonazis gezielt, Fußballvereine zu unterwandern und dabei die Bereitschaft zur Gewalt zu entzünden.“

    und damit benennt er natürlich kein fussball-spezifisches problem, sondern das eigentliche deutsche gewalt-problem, das auch detlev claussen schon erwähnt. man bedenke: nazis ermorderten seit der wiedervereinigung mehr als 130 menschen, verprügelten unzählige krankenhausreif und besitzen über bestimmte stadtteile und dörfliche gemeinden schon die absolute „führerschaft“, genannt: „national befreite zone“. DAS ist unser gewaltproblem, das aber sicherlich nicht mit dem hinweis auf die natürliche paarungsorientierung von heranwachsenden erklärt werden kann. wieso sich also nicht ein mal mit einem tatsächlichen gesellschaftlichen gewalt-problem auseinandersetzen?

  16. Oliver Fritsch schrieb am 16. April 2008:

    Was ist schlecht und falsch an Reduktion? Reduzieren nicht alle Wissenschaften? Ist Reduzieren nicht Voraussetzung für einen Erkenntnisgewinn?

    Der Reduktionsvorwurf hat mir noch nie eingeleuchtet.

  17. franzferdl schrieb am 16. April 2008:

    ja, erkenntnistheoretisch stimmt das sicherlich. man kann global davon ausgehen, dass wissenschaftliche praktiken per se reduzieren, weil sie informationen filtern, ordnen und auslegen. aber diese erkenntnis bringt uns ja nicht viel weiter. nur weil alle etwas tun, ist es ja nicht richtiger. entscheidend ist nämlich die frage, von welcher perspektive aus was, auf welche weise und wohin reduziert wird. befassen wir uns mit gesellschaftlichen (!!!) problemen, die in ihrer fassung immer komplex sind, dann ist eine lediglich biologische (!!!) sicht darauf zunächst ein mal sehr eingeschränkt. schuster bleib bei deinen leisten! möchte man entgegenrufen. als soziologe melde ich mich ja auch nicht zu wort, um die funktionsweise von körperzellen letztgültig zu klären.

  18. Carsten Tomczak schrieb am 16. April 2008:

    „Was ist schlecht und falsch an Reduktion?“
    Die Reduktion (besser: die Abstraktion) ist nichts weiter als ein Schritt zur Erkenntnis konkreter Wirklichkeit. Bleibt man bei dem Reduzierten, dem Abstraktum also, stehen (Männer an sich neigen zur Gewalt, Männer an sich wollen Frauen durch Gewalt imponieren; viele Frauen bewundern oft den körperlich Stärksten), so mag es sein, daß man sich dünkt, etwas Knackiges und Konkretes hervorgebracht zu haben.
    Heuer ist es hip, platteste Verallgemeinerungen zu peppigen Formeln aufzuhippen. Man könnte fast soweit gehen, diese Verfahrensweise – den immer komplexeren Verhältnissen mit immer einfacheren Formeln zuleibe zu rücken, und sich einzubilden, etwas Griffiges hervorgebracht zu haben – als Inbegriff des modernen Denkens überhaupt anzusehen.

    Herr Fritsch, ich schätze durchaus Ihre pointierte Art, soweit es sich um Fußballspezifisches handelt. Aber Sie sollten wissen, daß eine „Voraussetzung für einen Erkenntnisgewinn“ nicht mit Erkenntnis selber verwechselt werden sollte, sondern letztlich nur eine Stufe des Erkennens selber darstellt. Die Wahrheit ist immer konkret (Hegel). Die Abstraktion (oder Reduktion) wird dann stufenweise wieder negiert. Dazu muß man nicht wie Herr Claussen (und ich!) Adornianer sein. Ein wenig Kant und Hegel täte es auch.

    Ich bin erstaunt, in welchen Kreisen sie in ihrer Jugend hineingerochen haben. Waren Sie selber mal Rädelsführer oder begehrten Sie lediglich die Frauen, die nicht Sie, sondern die Gewaltbereiten bewundern?
    Komisch, solche Frauen kenn ich nicht nur gar nicht, sondern sie dürften kaum mehr ausmachen als eine Minderheit. Warum? Ganz allgemein, ganz reduktionistisch: weil Frauen als die körperlich Schwächeren gezwungen sind, gewöhnlich andere Mittel und Wege zu beschreiten.

    Wollten Sie sich ernsthaft mit dem Gewaltproblem in deutschen Stadien beschäftigen, sind gesellschaftliche, sozialpsychologische und kapitalismuskritische Analysen vonnöten. Der Kapitalismus ist die Verlängerung des Darwinismus mit anderen (auf den ersten Blick: unsichtbaren) Mitteln. Gewalt wird es mindestens so lange geben wie eine Gesellschaft, in der die Frauen auf den fliegen, der das dickste Konto hat, den schärfsten Schlitten fährt … und für die Frauen (wie bei den Affen in bestimmter Hinsicht) und ihren Nachwuchs die besten Ãœberlebenschancen bietet.

  19. franzferdl schrieb am 16. April 2008:

    ja, was denn nun, herr tomczak? sollte man sich im hinblick auf gewalt mit soziologischen oder kapitalismuskritischen anaylsen beschäftigen, wofür ich auch plädiere? oder reduzieren wir „die frauen“ wieder auf die ebene eines instinkt-gesteuerten tieres, das in erster linie nach dem paarungsmotto: „survival of the fittest“ verfährt? das passt meines erachtens nicht allzu gut zusammen, Sie schwächen dadurch Ihre schönen kapitalismuskritischen forderungen, denn: die richtige gesellschaftskritische attributierung des kapitalismus als (sozial-)darwinistisch ist etwas anderes als die annahme, frauen seien im überlebensspiel lediglich den affen ähnlich und deshalb ihren instinkten hingegeben. unter der analyse eines „verblendungszusammenhangs“ stell ich mir etwas anderes vor…

  20. Oliver Fritsch schrieb am 16. April 2008:

    Zum Thema Reduktion: Was wäre gewonnen, wenn man Soziologen vorwerfen würde: Ihr reduziert den Menschen, weil Ihr ihn als ein Produkt seiner Umwelt versteht (oder so)? Nichts, denn Soziologen betonen nun mal den Einfluss sozialer Systeme und sozialen Wandels.

    Evolutionsbiologen setzen ihren Schwerpunkt auf die menschliche Stammesgeschichte (und nicht auf die Gene!). Warum soll in dem einen Fall Reduktion lauter sein und in dem anderen Fall nicht?

    Warum nicht mit verschiedenen Analyse-Instrumenten und auf verschiedenen Ebenen, also gemeinsam, dem Phänomen auf den Grund gehen?

    Und zu dem Schuster-und-Leisten-Ratschlag: Ich muss nicht wenig Energie aufbringen, um mich angesichts dieses Versuchs des Mundtotmachens, im Zaum zu halten. Welche Qualifikation muss man mitbringen, um darüber zu reden? Genügt Ihnen mein Studienabschluss nicht? Halten Sie mich für jemanden, der mal eine Spiegel-Story darüber gelesen hat und nun meint, der Experte zu sein? „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ geht gar nicht!

  21. franzferdl schrieb am 16. April 2008:

    wenns recht ist, bleib ich jetzt einfach mal beim „du“, wie schon in vorherigen konversationen. ich glaube, du interpretierst ein bissl arg steil: von mundtotmachen oder einer dergestaltigen absicht kann keine rede sein. ich bezog mich eher auf die allgemeine diskursive tendenz, gesellschaftliche zusammenhänge und konstellationen wie gewalt aus einer lediglich biologischen perspektive erklären zu wollen. das treibt einem aufmerksamen & kultur- und gesellschaftskritischen zeitgenossen die tränen in die augen & lässt, ob der zu verzeichnenden resonanz, einen verzweifeln. insofern ist der aufschrei „schuster bleib bei deinen leisten“ auch eher als süffisante denfensivaktion zu verstehen. also, nicht ganz so persönlich nehmen, schliesslich weiss ich ja nicht ein mal, ob du tatsächlich schuster bist (was ich bezweifle, da deine studentischen studien ein anderes fachgebiet vermuten lassen ;-).

    dessen ungeachtet bleiben natürlich die schwächen solch einer biologistischen position, & da wir hier ja immer noch in einer demokratie leben & fast jeder fast alles sagen darf & man sich dann darüber unterhalten kann, führ ich diese praxis jetzt mal fort. „gesellschaft“ und damit auch gesellschaftliche phänomene sind, wie ich sie verstehe, stets komplex und kompliziert. d.h. ein solch vorgeblich einfach existentes soziales phänomen wie „gewalt“ ist eben nicht einfach zu erklären. verschiedene einflussfaktoren und variablen verdichten sich in bestimmten situationen zu einer gewalttätigen handlung. was dabei als „gewalt“ definiert wird, hängt ebenso von verschiedenen umständen und interpretationsleistungen ab, es gibt ja bspw. auch legitime gewalt oder eine ausweitung des gewaltbegriffs auf bis dato nicht-gewaltverdächtige phänomene. insgesamt sind dabei die konstruktions- und proliferationsleistungen von gewalt durch massenmedien nicht zu unterschätzen.

    es ist schliesslich unerlässlich, will man einen nüchtern-kritischen blick auf die dinge werfen, zu differenzieren, um komplexen und komplizierten gesellschaftlichen konstellationen auf die analytische schliche zu kommen und damit gerecht zu werden. und dabei hilft es dann eben nicht, gewalt lediglich als anthropologische konstante einzuordnen, weil dadurch nicht ersichtlich werden kann, wie sich gewalt, gewalterfahrungen und gewaltwahrnehmungen soziologisch und historisch ändern. solch eine beobachtungsposition ermöglicht es dann eben auch, genauer auf aktuelle gewaltphänomene zu blicken und etwaige besonderheiten etc. herauszuarbeiten, ohne dabei auf abgegriffene klischees oder andere schlagwörter zurückzugreifen. gewalt ist deshalb kein „ausländer“-problem oder „männer“-problem, das denjenigen gar in ihr genmaterial eingeschrieben ist. das problem ist viel eher eine bestimmte kultur des kapitalismus, des chauvinismus etc.

    daraus ergibt sich dann m.e. eben auch, dass wir es im hinblick auf die ultras (zumindest jene in bundesliga-stadien) bislang kaum mit gewalt zu tun haben. die tanzen in erster linie pogo! die tatsächliche gewalt in fussballstadien verlagert sich hingegen seit einiger zeit in die niederen klassen und provinzstädte und generieren dort dann jenes problem, von dem auch 20er spricht. da lässt sich sicherlich ein zusammenhang erkennen zwischen der neuen stadienarchitektur, die fussballstadien in hochsicherheitstrakte und überwachungscontainer umwandelt, und der abwanderung der gewalt aus eben diesen stadien. das ergibt dann m.e. interessante vergleiche zur voll- und verstopfung der innenstädte mit überwachungskameras, um den bürgerlichen schichten störungsfreie konsumräume zu ermöglichen, und der gleichzeitigen verlagerung der gewalt an nicht-beobachtete orte. was sonst sollen heute die modernen stadien sein als übderdimensionierte schönwetter-konsumtempel, sei es der konsum eines fussballspiels, einer wurscht oder von fanartikeln?

  22. Carsten Tomczak schrieb am 16. April 2008:

    Herr Fritsch, kein vernünftiger Soziologie denkt, daß seine Erklärungsmodelle ausschließlich sind. Ebenso kein ernstzunehmender Evolutionsbiologe, der es en passant mitnichten nur mit Stammesgeschichte zu tun hat.
    Und kaum ein vernünftiger Mensch wird behaupten, daß in menschlichen Gesellschaften das uralte Survival-of-the-fittest längst überwunden sei.
    Jeder vernünftige Kritiker betrachtet die Dinge in dem Kontext, in den sie gehören. Genau das tun Sie gerade nicht.

    Lesen Sie mal Ihren eigenen Senf und entscheiden dann, ob Sie das SPIEGEL-Niveau (welch Euphemismus!) über- oder unterschreiten.

    „Gruppenverhalten ist fast immer eine Hierarchiefrage.“
    Welch ein Satz!

    „Den Fans, die auf Krawall aus sind, geht es nicht darum, etwas zu zerstören…“
    Sie wollen bloß Aufmerksamkeit?

    „Gewalt wird es immer geben, solange es Menschen gibt. Besser: Solange es Männer gibt. Denn es ist ein männliches Phänomen.“
    Ein Beispiel effekthascherischer Reduktion. Und einer bloßen Behauptung, die umso schillernder daherkömmt, je weniger sie nachprüfbar ist.

    „Gewalt wird es auch deswegen geben, solange (weil?) es Frauen gibt, die auf männliche Gewalt und Alpha-Männer stehen.“
    Jedem die Frauen, die er verdient.

    „Und die Mädels, die im Fan-Block stehen, haben zugegeben, sich von starken und dominanten Männern angezogen zu fühlen. Oder zumindest (!) eine (!!) Freundin zu kennen, für die das gilt.“
    Und ich Pfeife kenn nich mal ne Frau aussem Fänblog, oder eine, die eine kennt.

    „Bei Schlägereien kommt es schon mal (!) vor, dass die Freundinnen der Protagonisten oder deren Anbeterinnen mit dem Foto (in sicherem Abstand) daneben stehen und die ‚Heldentaten! festhalten. Eine (!) repräsentative (?) Aussage einer der Befragten lautet: ‚Meine Freundin Jenny lehnt Gewalt ab. Aber ich glaube (!), das macht sie nur, weil sie denkt, dass man das von ihr erwartet. Wenn ich mit ihr darüber rede, merke ich, dass sie das ganze sehr auf- und erregend findet.'“
    Ohne Worte.

    „Der Chef der größten Fan-Gruppe eines hessischen Oberligisten, die ich damals eine Zeitlang begleitete, hatte die meisten (!) und (!!) schönsten (!!!) Freundinnen. Und Boß wird man nicht…“
    durch feines Sezieren eines Sachverhalts, sondern durch

    „Mutprobe…Bratwurst reinpfeffern…Untaten…Meistens handelt es sich um nette Jungs.“

    „Im Fan-Block von Fußballstadien zeigt sich, wie überall auch (!), das Wesen des Menschen, das von Jahrmillionen Evolution geprägt worden ist.“
    Der Boß hat die meisten und schönsten Frauen!?

    „Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, …“
    daß dieser Satz nichts weiter ist als eine verbrämte Pseudoargumentation, die – aber voll und ganz und gar in beinahe jeden SPIEGEL-Titel zum Thema hineinpassen würde.

    Mir ist durchaus klar, daß Sie als Chefblogger beständig „Einwürfe“ absondern müssen. Aber das rechtfertigt durchaus nicht jede noch so alberne Reduktion; und schon gar nicht solch Machogequatsche von den meisten und schönsten…na, Sie wissen schon.

    Bleiben Sie fröhlich.
    Und @franzferdl: Sie haben weder die umgekehrte „Reduktion“ bemerkt, noch daß, was Sie an mir kritisieren, zuvorderst Herrn Fritsch trifft. Knapp daneben ist eben doch vorbei.

  23. franzferdl schrieb am 16. April 2008:

    lieber herr tomczak, dann habe ich Sie wohl falsch verstanden. wem oder was darf ich denn nun den satz: „Gewalt wird es mindestens so lange geben wie eine Gesellschaft, in der die Frauen auf den fliegen, der das dickste Konto hat, den schärfsten Schlitten fährt … und für die Frauen (wie bei den Affen in bestimmter Hinsicht) und ihren Nachwuchs die besten Ãœberlebenschancen bietet.“ zuschreiben? gehe ich nach Ihrer intervention nun richtig davon aus, dass sich der satz (was sich aus Ihren ausführungen nicht erschloss) kritisch rekapitulierend auf herrn fritsch bezieht?

  24. Carsten Tomczak schrieb am 16. April 2008:

    Der Satz sagt lediglich, daß männlicher Sexappeal nicht nur aus Dominanz und Gewalt, sondern auch aus anderen Quellen sich speist – von denen manche dem Tierreich nicht sonderlich fern sind.
    Eigentlich hab ich das ironisch gemeint, und damit den Ausspruch von Herrn Fritsch aufs Korn nehmen wollen, den ich in der vorigen Bemerkung zitiert habe. Gemeint habe ich nur dies: ob es Gewalt immer (!) geben wird, entscheidet der Gang der Geschichte, und nicht blank die männliche Prädisposition; oder das angeblich weibliche Komplement.
    Cheers

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