Godfather Blatter
von Günter ClobesIm Vorgetöse der EM könnte mal wieder etwas untergehen, was der Weltbeherrscher des Fußballs, Don Jupp Blatter, ausgeheckt hat. Diesmal will er sich gleich mit einer ganz dicken Institution anlegen, mit der EU. Wie sonst ist zu erklären, dass er die Fifa für groß und mächtig genug, mit einem Wort: für so irdisch entrückt hält, sich über alle bestehenden Ordnungen hinwegzusetzen?
Seine 6+5-Regel, wonach in der Anfangsformation der professionellen Ligen nur fünf ausländische Spieler stehen dürfen, lässt darauf jedenfalls schließen. Die EU betrachtet nämlich Profifußball als kommerzielle Unternehmung, was automatisch arbeitrechtlich nach sich zieht, Freizügigkeit für die Wahl des Arbeitsplatzes zu gewähren. Das schließt dann grundsätzlich alle Profis ein – unabhängig von ihrer Nationalität. Blatter scheint zu ahnen, dass das Eis noch sehr dünn ist, auf das er sich begibt, wenn er mit der EU „kämpfen“ will. Naiv und scheinbar kleinlaut gibt er nämlich zu bedenken: „Wenn es ein Gesetz gibt, kann es doch ergänzt oder auch geändert werden.“ Seine Kampfeslaune dürfte allerdings genährt worden sein durch die Mitglieder des Fußballweltverbandes, die ihrem Paten willfährig und annähernd mafiös mit einem zustimmenden Votum folgten.
Endlich scheint Blatter also in der Liga zu kämpfen, in der es um mehr geht, als schlicht nur die Spielregeln eines einfachen Ballspiels zu ändern. Damit hat er bislang doch nur die Fußballfans nerven können, die das Spiel an sich mögen. Sich mit denen zu zanken (etwa über vier statt zwei Linienrichter oder über die Abschaffung des Elfmeterschießens oder über weniger Spieler auf dem Feld, dafür aber größere Tore), so etwas ist dem großen Jupp in der schönen Schweiz einfach zu langweilig und mittelmäßig. Also muss was Größeres her, um zu zeigen, wer mitmachen darf bei den ganz großen Jungs aus der Politik. Mal sehen, ob die EU die richtige Kragenweite dafür ist. Danach kämen dann nämlich nur noch der Papst oder die Vereine der ehemaligen G14. Oder Darth Vader.
Â
Â
Max Diderot schrieb am 2. Juni 2008:
Vorweg, inhaltlich stimme ich Blatters Vorschlag zu! Eine andere Frage ist die nach der opportunen Diplomatie. Der Spagat in der Beurteilung der Frage, ob es sich speziell beim Fußballsport um ein ökonomisches Unterfangen handelt, ist ja in den meisten Ländern dieser Welt durch die jeweiligen Statuten geklärt. Ketzerischer dürfte die Frage selbst dort gestellt werden, wo der Amateursport beheimatet ist, und vielen Kickern in den unterklassigen Ligen passable Aufwandsentschädigungen gezahlt werden. Streng genommen wäre daraus zu folgern, dass es nur noch ein differenziertes aber kein absolutes Recht ob der Freizügigkeit bei der Wahl des Arbeitsplatzes gibt. Zumal, in der Politik nennt man es Lobbyismus, hinter vielen Akteuren und Vereinen ein Geflecht von Spielervermittlern und Managern versucht Einfluss zu nehmen. Und das nicht immer aus reiner Selbstlosigkeit.
Eine entsprechende Regelung, ob 6+5 oder 7+4 oder eine andere Alternative, verschafft Transparenz. Weshalb täte sie dies? Sie könnte zu einer Nivellierung des finanzielles Ungleichgewichtes der Vereine beitragen. Dieser aktuell vorherrschende Turbokapitalismus, angeheizt primär durch die stetig steigenden Medieneinnahmen, führt doch nicht in den misten Fällen nicht dazu, dass die Vereine eine mittel- bis langfristige Planung eingehen. Diese im Fußballmarkt scheinbar existente Riesensumme an finanziellen Mitteln befördert viele kurzfristige Überlegungen, Spieler unterliegen innerhalb kürzester Zeit (i.e. bei einem Trainerwechsel) einer Fluktuation.
Ich denke, dass darunter viele jüngere Spieler zu leiden haben. Ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess dieser Personen leidet darunter am stärksten. Der DFB hat in den vergangenen Jahren viel für eine Verbesserung der Nachwuchsarbeit getan. Und erste Erfolge haben sich schon gezeigt. Aber gerade der Übergang vom Junioren- in den Seniorenbereich erfordert noch einmal ein besonderes Engagement der Vereine, damit sich ihre Investitionen in den Jugendbereich auch auszahlen.
Dieser Vorschlag, einer Quotenregelung, ist meines Erachtens überfällig. Ob er nun von einem Parvenü kommt, der seinen internationalen Verband mit nicht ganz lauteren Mitteln lenkt, ist unangenehm aber diskriminiert doch nicht die Absicht.
riovermelho schrieb am 3. Juni 2008:
Blatter ist einer größten Verbrecher im Weltfußball, korrupt bis Oberkante Unterlippe.
Aber dieses eine mal, bin ich voll auf seiner Seite. Die total unsinnige Regelung der EU, Fußballer mit Handwerkern, Erntehelfern und Bankmanagern über einen Kamm zu scheren habe ich noch nie verstanden. Wer sich gegen eine solche Regelung stellt, ist ein Feind des Fußballs.
Wer hat ein Interesse daran, daß z.B. Arsenal „englischer Meister“ wird, ohne einen Engländer auf dem Platz. Solch einen Quatsch durch EU-Recht zu decken ist abscheulich. Die Volksvertreter haben immer noch die Aufgabe Volkes Wille durchzusetzten- dazu gehört auch die 6+5 Regel.
Daniel schrieb am 3. Juni 2008:
Es wäre sicherlich interessant zu sehen, wie sich die Ligen auf lange Sicht entwickeln würden, wenn 6+5 tatsächlich umgesetzt werden würde. Ich glaube aber, dass es noch sehr lange dauern wird, bis das tatsächlich zur Umsetzung kommt. Sind die englischen und französischen Verbände wirklich dafür? Der AS Monaco hat aktuell 22 ausländische Spieler im Kader, Arsenal London 23. Die bräuchten eine Ãœbergangszeit – und die wird nicht zu knapp ausfallen. Wenn die EU das Ganze überhaupt zulässt.
Tom schrieb am 3. Juni 2008:
Für Monaco wird es sicher ein bisschen schwierig…
Fabian Pingel schrieb am 3. Juni 2008:
…außer Monaco würde als Teilnehmer an der Ligue 1 unter die französische Ausländerquotierung fallen (mit 13 Franzosen und 13 Ausländern im Kader)…
Max Diderot schrieb am 3. Juni 2008:
Soweit ich die angedachte Quote richtig interpretiere, geht es nur um die praktischen Auswirkungen auf dem Spielberichtsbogen. Die Kadergröße bliebe davon relativ unbetroffen. Mit der Zeit würden sich die Klubs sicherlich auf die neuen Gegebenheiten umstellen. Von daher wäre eine Übergangsphase selbstverständlich.
Die Aussage, dass Blatter der „…einer größten Verbrecher im Weltfußball, korrupt bis Oberkante Unterlippe.“ sei, kann ich nicht nachvollziehen. Der Schweizer ist ein Fußballlobbyist, der sein Handwerk unter dem ehemaligen FIFA-Präsidenten João Havelange erlernte. Die Methoden des Fußballs, wo es vordergründig um das schöne Spiel und hintergründig um noch mehr Geld geht, sind so dubios wie viele der Charaktere in Shakespeare-Dramen. Wenn der allgemeine Tenor der sein sollte, dass wir Menschen edel und selbstlos sind, dann gilt dieser Umstand auch für jene Patriarchen, die bis dato noch nicht für weniger edle und weniger selbstlose Praktiken belangt worden sind. Joseph Blatter gehört gewiss, qua seiner Position, in ein Betrachtungsfeld, das vielen dubios erscheint. Ihn aber superlativistisch zu überhöhen, bedeutet doch nur jenen, die offensichtlich und vielfach Dreck am Steck haben, Abbitte zu leisten.
ruppI1 schrieb am 3. Juni 2008:
Meiner Meinung nach wird die angedachte Regelung in der Versenkung verschwinden. Selbstverständlich sind die Profivereine Wirtschaftsunternehmen, so sehen sie sich selbst, so sind sie rechtlich organisiert. Viele Vereine sind börsennotierte Aktiengesellschaften. Für diese Vereine kann und wird kein Sonderrecht geschaffen werden. Viel bedenklicher als diesen Vorschlag an sich finde ich die Zustimmung der Delegierten der FIFA zu diesem Vorschlag. Platini hat laut italienischen Medien noch vor wenigen Wochen gesagt, daß die 6 +5 Regelung in Europa illegal ist. Die meisten Delegierten werden dies auch wissen und stimmen aber zu. D.h. Blatter hat sie alle im Griff, Blatter hat alles im Griff im Fußball. In der EU hat er keine Chance. Deswegen kann dies nur ein Ablenkungsmanöver gewesen sein.
martin schrieb am 3. Juni 2008:
naja, es wäre ja interessanter, diese frage von einem experten des rechts behandeln zu lassen u hier nicht wie wild aus der hüfte zu schießen. aber wenn wir schon dabei sind, gebe ich zu bedenken, dass die kadergröße u zsammensetzung nicht direkt von einer solchen regelung betroffen wären, es also keinen unmittelbaren eingriff in geltendes arbeitsrecht feststellbar wäre. an dessen beschäftigungsverhältnis inkl sold ändert es ja nichts ob ein legionär am platz oder auf der tribüne platz nimmt. längerfristig natütlich schlecht für die karriere, aber ob man um die paar ecken vorm europäischen gerichtshof oder wo auch immer in sachen arbeitsrecht argumentieren kann?
letzten endes hätte eine solche regelung nur einfluss auf den spielbericht und in weiterer folge auf die planungspolitik der clubs. u allein das vorhandensein von so etwas wie planungspolitik, im gegensatz zu aus der unerschöpflichen kohlepipeline befeuerten schnellschüssen, wäre doch begrüßenswert.
da muss erst gar nicht in den beckenbauerschen sermon von identität blabla oder postnationaler linksfaschisten (ironie) eingestimmt werden, um sich für eine seite zu entscheiden, auch wenn blatterbashing noch so verlockend erscheint, ich gebs zu. beim nächsten mal dann wieder.
Punto schrieb am 3. Juni 2008:
Warum dürfen eigentlich alle Osteuropäer in der Bundesliga spielen?
Dem polnischen Handwerker ist das doch auch verboten.
Scheinbar wird der Fußballer doch ander behandelt als jeder x-beliebige Arbeitnehmer.
ruppI1 schrieb am 3. Juni 2008:
Ich glaube hingegen, daß das schon einen direkten Eingriff in das Arbeitsrecht bedeutet. Über so viele Ecken muß man gar nicht denken. Natürlich hat eine solche regelung Auswirkungen auf den Kader un damit die Niederlassungsfreihet. Wenn ich nur fünf Ausländer in meinem Anfangskader stehen haben darf, werde ich sicher nicht 25 Ausländer verpflichten, die ich dann auf die Tribüne setze, die dann im übrigen auch nicht an evtl. Prämien partizipieren, die idR von der Präsenz am Platz abhängen. Üblicherweise sind die Verträge der Profis aufgeteilt in Grund- und leistungsbezogenes Gehalt. Die Regelung verhindert faktisch, daß ich ausländische Spieler anstelle. Zum Training kommt keiner.
Hexenkessel schrieb am 4. Juni 2008:
Außer Ortsvereinssitzungen der ostdeutschen Linken dürfte keine Institution so Nostalgie-anfällig sein, wie der Fußball. Gerne trauert man den guten, alten Zeiten nach, als die Stadien noch keine Arenen waren, als es noch einen Pokal der Pokalsieger gab und man seine Bratwurst noch mit Geld und nicht mit Plastik bezahlt hat. Dazu gehört natürlich auch der wehmütige Blick auf die Teams der Vergangenheit, als die Spieler noch Schwarzenbeck, Wimmer und Hoettges hießen und eine Mannschaft vor allem aus den besten Spielern einer Region zusammen gesetzt war. Es leben die 80er. Oder sogar schon die 70er?
Wie auch immer: Diese Regelungen sind für Fußball von gestern und haben mit dem heutigen Spiel nix mehr zu tun. Deshalb gehört Blatters Vorschlag auch direkt dahin, wo auch seine anderen genialen Ideen (Golden Goal, Elfmeterschießen bei Ligaspielen) gelandet sind: Ins nächste Buch der Fußballwitze. Natürlich fänden es alle Fans toller, wenn statt eines billigen Krawummcic das hauseigene Talent aus der A-Jugend spielen würde („Ich kenn auch dem sein Vatta. Dat is‘ ein total netter Junge!“). Doch dafür muss man nicht mal den grenzwertigen Vergleich mit „polnischen Bauarbeitern“ ziehen, um zu wissen, dass das absurd ist. Natürlich wird der europäische Fußball mitunter von Söldnern aus Südamerika, Osteuropa, sonstwoher überschwemmt. Doch wird niemand bestreiten, dass die Bundesliga nicht durch Marcelinhos, Diegos, Petrics usw. bereichert wurde. Und das deutsche Talent, dass sich nicht gegen ein rumänischen Durchschnittskicker durchsetzen kann, hat es eben auch nicht verdient, in der BuLi zu spielen. Nebenbei würde man durch diese kleinkarierte Einzäunung der nationalen Ligen auch deutschen Talenten den weg in andere europäische Ligen zumindest sehr erschweren. Diesen Schritt gehen immer noch zu wenig, dabei hat zum Beispiel Thomas Hitzlsperger gezeigt, wie wertvoll dass sein kann.
Der Fußball von heute ist nun mal international. Doch das macht ihn meiner Meinung nach nicht schlechter, sondern interessanter und farbenfroher. Die Ausbildung von Talenten fördert man aber sicher nicht durch Zwangsmaßnahmen.
Totalneutral schrieb am 4. Juni 2008:
Ich stimme meinem Vorredner großteils zu. Die angedachten Maßnahmen zur „Rettung des bedrohten einheimischen Spielers“ halte ich für unnötig und, noch schlimmer, vollkommen unwirksam. Diese Mär vom Jugendspieler, der sich durchsetzen würde, wenn man ihn nur lang genug auf einen stammplatz setzt, ist doch absurd. Ich bin der Meinung, dass sich Klasse immer durchsetzt. Man betrachte doch nur die jungen Spieler anderer Nationen in europäischen Topklubs wie Barcelona, Manchester oder Arsenal.
Nehmen wir doch mal das Beispiel „Schweinsteiger“. Bedenkt man wieviel internationale Erfahrung ein solcher Spieler in jungen Jahren schon sammeln durfte. Die Zahl der gewonnen Titel ist ebenfalls schon stattlich. Dazu kommt seit Jahren seine Forderung nach einem Stammplatz. Begünstigt durch verschiedene Umstände (und nicht durch seine Leistung) durfte sich jener Schweinsteiger bei Bayern in den letzten zwei Jahren als Stammkraft versuchen. Die Bilanz ist niederschmetternd und eigentlich ein Hohn für die Ambitionen dieses Vereins. Ich kann mich an höchstens zwei gute Spiele von Schweinsteiger in den letzten zwei Jahren erinnern. Der Rest war unterdurchschnittlich. (Im Ãœbrigen bin ich der Meinung, dass man den Spieler in München nicht halten sollte. Vielleicht bekommt er auf diese Weise nochmal die Kurve)
Schweinsteiger ist für mich zum Synonym vieler junger Spieler geworden. Die mit Klasse setzen sich von Anfang an durch, die anderen schaffen das auch nicht mit einer Quote.
Wo liegen die Ursachen? Der Charakter eines Spielers ist das absolut entscheidende Kriterium. Ein weiteres ist das Vereinsumfeld, in dem der Spieler gefördert werden soll. Das dritte wichtige Kriterium ist die mediale Einschätzung der Spielerleistung und die Reaktion des Vereins darauf.
Man sollte mit Charakterbildung, entsprechender Forderung und Förderung der Spieler auch abseits des Platzes und medialer Objektivität bezüglich der Leistungen reagieren. Der Schritt raus aus der Komfortzone Bundesliga wäre für viele eine Chance sich zu profilieren und sich durchzusetzen. Wer dann auf eine Quote baut, setzt das völlig falsche Signal und verschönert und polstert die Komfortzone für die durchsetzungsschwachen Spieler gerade in der Bundesliga noch mehr.
Max Diderot schrieb am 4. Juni 2008:
Es gab auch schon in den Mannschaften früherer Jahre einige Spieler ausländischer Nationalität. Und viele von diesen trugen (i.e. in Mönchengladbach) zur Verbesserungen des Niveaus in der Fußball-Bundesliga bei. Von daher kann eine kleine nostalgische Reminiszenz nicht schaden.
Ich interpretiere die angedachte Quotenregelung als eine Möglichkeit, wieder besseren Fußball zu spielen. Das beginnt vor allem in der Ausbildung junger Spieler, unabhängig davon, ob sie deutscher oder anderweitiger Nationalität sind. Und die Frage der Charakterbildung bei jungen Menschen, die in diesem sportlichen Milieu erwachsen werden, wo primär materielle Dinge ausschlaggebend sind, ist doch ein linearer Prozess. Hier steht doch immer noch die Sozialisation durch das familiäre Umfeld im Vordergrund und die Vermittlung von Werten in der Schule.
Es mag durchaus so sein, dass junge Spieler mit 18, 19, 20 Jahren fußballerische Klasse mitbringen. Aber nur die wenigsten sind in der Lage, diese auch kontinuierlich gegen alle Widrigkeiten fortzuentwickeln. Dafür ist nicht nur Schweinsteiger ein Beispiel, sondern auch junge Kicker von der iberischen Halbinsel, die erfolgreich alle internationalen Jugendturniere dominieren und später häufig in der zweiten oder dritten Division ihre Fußballkarriere zu Ende bringen. Auch diesbezüglich eine Analogie zum heimischen Betrieb.