direkter-freistoss.deNicht-anonymes Fußball-Blog 

Direkt zum Inhalt springen

Oliver Fritsch Ich zieh das Hasenfell nicht an

von Oliver Fritsch

Konditionstraining in der Kreisliga – das Fachbuch, das sich mit diesem Phänomen befasst, müsste weniger medizinische und trainingswissenschaftliche Aspekte behandeln, sondern eher pädagogische und psychologische. Wie bringe ich Hobbyfußballer, unter ihnen Leute, deren erste Handlung nach dem Sport der Griff nach der Zigarettenschachtel ist, zwei mal in der Woche zum Laufen und Springen?

Um es vorwegzunehmen: Ich habe, nun, nach zehn Jahren Trainingspraxis in Hessens Betonligen, noch keine perfekte Strategie gefunden. Zunächst mal ist jedoch festzuhalten, dass es in jeder Mannschaft ein großes Leistungsgefälle gibt: hier ein paar Läufertypen, die jedem Leichtathletikclub gut zu Gesicht stehen würden; dort, am unteren Ende der Skala Stehgeiger, für die die Sportmedizin das Etikett „untrainiert“ (das ist ein Level über „pathologisch“) vorsieht – nicht selten sind das jedoch diejenigen, die mit dem Ball befreundet sind und ohne die das Zusammenspiel der Mannschaft so flüssig wäre wie Tipp-Kick. Diese Jungs fit zu kriegen, gehört zu den schwierigen und wichtigen Aufgaben des Kreisligatrainers.

Einem dieser technisch beschlagenen Spieler, der den 3.000-Meter-Test in einer Zeit läuft wie manch anderer das rückwärts schaffen würde, hatte ich mal für die Sommerpause Lauftraining in drei Niveau-Stufen verordnet – ein individueller Trainingsplan für seine Pinnwand. Anleihen für dieses Schriftstück nahm ich bei einer mir bekannten Lehrerin, einer Expertin in Methodik und visueller Didaktik. Viel geholfen hat’s nicht, er war nicht groß zu bewegen. Den Vorschlag meiner Beraterin, die Niveau-Stufen mit Tiersymbolen (Pferd, Hahn und Frosch) zu kennzeichnen, hatte ich, vielleicht war das mein Fehler, verworfen. Ebenso einen weiteren ihrer Tipps für mein Training: den Hasenlauf, ein bei Grundschülern angeblich sehr beliebter achtminütiger Ausdauerlauf, bei dem der Lehrer seiner Klasse, wenn ich das richtig verstanden habe, im Hasenkostüm gegenübertritt. Ich werde es für die nächste Saison mal bedenken.

Das Lehrbuch muss auf jeden Fall auch rhetorische Tipps parat halten, denn der argumentative Aufwand einer faulen Männergruppe, die sich gegen die Aufforderung zu körperlicher Aktivität wehrt, kann ein beachtenswertes Maß annehmen. Und an der Ehre packen lassen sich Fußballer vielleicht am Spieltag und an der Theke, jedoch weniger mit spöttischen Bemerkungen in Bezug auf ihre Fitness. Jüngst verpuffte meine ironische Spitze: „Was Ihr tut, soll ja auch irgendwie etwas mit Sport zu tun. Im entfernten Sinne zumindest.“ Eigentlich eine Provokation: Fußball im entfernten Sinne ein Sport!! Hallo! Doch keine Reaktion. Ein Kollege referierte mir neulich von seiner Erfahrung: Als er im Training Steigerungsläufe anordnete, hörte er den laut vernehmbaren Satz eines keuchenden Spielers, den dieser (nur vermeintlich) zu seinem Mannschaftskameraden mit gespielter Empörung äußerte: „Du kannst doch nicht einfach behaupten, dass der Trainer ein Ar… ist!“ Meinem Kollegen fehlten die Worte.

Ich hätte einen anderen Vorschlag an alle Amateurtrainer: Lasst uns darauf einigen, auf Konditionstraining zu verzichten! Oder gleich ganz auf Training. Wir würden uns eine Menge Lebenszeit und Ärger sparen. Und die Ausgangslage an den Spieltagen wäre dieselbe wie jetzt auch.

#16 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

René Martens Effe, Uwe, Paul und ich

von René Martens

Ãœber „Der Ball ist eine Kugel. Das große Bücher der Fußballbücher“ (Bombus-Verlag), das Ben Redelings zusammengestellt hat, kann ich grundsätzlich nichts Negatives sagen. Schließlich sind fast zwei der zirka dreihundert Seiten für eines meiner Bücher reserviert („‘Scheiß-Fußball!‘ – Was echte Fans so richtig ärgert“, www.eichborn.de). Ich bin bei Redelings – aus chronologischen Gründen – zwischen Stefan Effenberg und Uwe Seeler gelandet, und damit lässt sich doch prima leben, ha! (Weiterlesen …)

Detlev Claussen Eine 6 für Diego?!

von Detlev Claussen

Frings (Juventus Turin) hebt den Ball zu Klose (Bayern München), der mit der Brust direkt zu Diego (Real Madrid) weiterleitet. Statt auf das Tor zu knallen, verzögert der kleine Zauberer, lässt die Herthaner sich schon mal in eine Richtung bewegen und verwandelt zum 0:3 für – Werder Bremen. Eigentlich wollte ich so schnell nicht mehr über meine Lieblingsmannschaft schreiben, um nicht als unverbesserlicher Fanblogger zu erscheinen. Aber nachdem ich die deutsche Sportpresse nach dem Ausscheiden Werders gegen Espanyol studiert hatte, wuchs in mir das Gefühl, etwas anderes auf dem Platz gesehen zu haben, als in der Zeitung stand.

Die Niederlage gegen den spanischen Tabellenelften wurde fast überall gleichlautend gedeutet: Unruhe in der Mannschaft, Wechselgerüchte, Eifersucht und Neidgesellschaft. Personalisiert erschien die ganze traurige Geschichte im Platzverweis nach Schwalbe von Miroslav Klose, der sich noch kurz vor dem ersten Halbfinale mit den Bayernspitzen in einem Hannoveraner Hotel getroffen hatte. Wenn Klose nicht trifft, liegt es an Psyche und Mammon. Die Mannschaft demoralisiert (hauptsächlich durch Kloses Verhalten), müsste folglich auch bei Hertha die Meisterschaft verspielen, gewinnt aber 4:1. Doch Klose trifft wieder nicht. Dreimal Rosenberg. Die alte Schnurre kann weitergesponnen werden. Der wichtigste Spielzug wird gar nicht beachtet, der alle Annahmen infrage stellt: Ich wiederhole mich: Wer Klose in Grund und Boden verdammt, sollte sich die Scorer-Liste anschauen. Frings, Klose, Diego: Die scheinbar abwanderungsbewegten Egoisten kombinieren auch in Berlin meisterlich. Mögen sie am Ende der Saison nur Dritter werden, liegen die Gründe ganz woanders, als die Presse sie pseudoaktuell vermutet: Gegen die Mitbewerber Schalke und Stuttgart gewann Werder keinen einzigen Punkt. 0:12 in vier Spielen. Werders Spiel war den Gegnern vielleicht bekannter als umgekehrt. In allen vier Begegnungen waren jedenfalls Schalke und Stuttgart besser auf Bremen eingestellt, und ihnen gelangen Überraschungseffekte. Eine solche Unflexibilität kann schon eine Meisterschaft kosten; beklagen sollte man sich nicht, sondern die genauen Gründe suchen.

Die Gründe, die mehrheitlich in der Sportpresse für die Misserfolge der letzten Woche angeführt wurden, waren es jedenfalls nicht. Kloses Platzverweis in der 18. Minute gegen Espanyol beim Stande von 1:0 stoppte etwas, was zehn Minuten lang möglich schien, ein neues Wunder an der Weser. Doch dann kam die übliche Umdeutung des Endergebnisses in Notwendigkeit – ein Erbübel dessen, was man Fußballpositivismus nennen kann, der von der Lokalpresse (Weser Kurier) bis in die gehobenen Publikumszeitschriften reicht. Übersehen wurde schlicht der Verlauf der restlichen ersten Halbzeit; in Unterzahl stellte Bremen auf eine Art kick and rush um, der für Espanyol bis zum unglückseligen Reinke-Fehlgriff keine Torchance zuließ und zu einer Unzahl von Ecken führte. Almeida, Frings und Diego schafften es, dem Team in Unterzahl ein Übergewicht auf dem Platz zu geben. Dass diese Umstellung zu vielen langen Bällen, auch Ballverlusten und weniger Kurzpassspiel führte, gehört zur Logik der Sache, wenn man nicht in Schönheit sterben will. „Bild“ benotete Frings mit 4, Almeida 3 und Diego mit 6. Dieser Bewerter hat sein Gehalt nicht als Fußballkenner verdient, sondern als Stimmungsmacher.

Die übliche Stimmungsmache klingt dann so: Millionäre in kurzen Hosen, die keine Treue kennen, haben nur Geld im Kopf, und wenn es mal schief läuft, reißen sie sich nicht „den Arsch auf“ und verlieren gegen jedes noch so schlechte Team. Alles Quatsch! Ich lasse mal die notorische Unterschätzung internationaler Gegner im Uefa-Cup weg. Wie kommt eine Niederlage wie gegen Barcelona zustande? Das 1:2 in Bremen war eine Antwort auf das 3:0 aus dem Hinspiel. In dieses Spiel ging Werder offensichtlich mit einer gewissen overconfidence, dem großen Vertrauen in die eigene Ballsicherheit, mit mindestens einem 0:0 zurückkehren zu können. Vergessen war wohl, dass seit Mertesackers Verletzung nicht mehr die enorme Kopfballüberlegenheit vorhanden war – Löcher bei Ecken und Freistößen taten sich auf (leider auch später in Bielefeld). Espanyol machte drei Tore aus Ecken; dann, typisch Werder, spielt die Mannschaft eben auch schon in Barcelona nach dem Platzverweis für Wiese nach vorne, kassiert das 0:3. Die deutsche Sportpresse jault auf: mangelnde Laufbereitschaft statt dumm gelaufen. Selbst Klaus Allofs greift in die Rhetorikkiste und redet vom „Messer zwischen den Zähnen“. Klose will im Rückspiel gleich das Messer zeigen: Gelbe Karte in der 2. Minute, total übertrieben. Der Schiedsrichter war entschlossen auf den Platz gekommen, die Heimmannschaft in die Schranken der Disziplin zu weisen. Aber er war auf Werder fixiert; weder systematische Zeitverzögerung noch sterbende Schwäne nahm er zur Kenntnis. Da kam Kloses Schwalbe, sechs Spanier forderten die Rote Karte. Auch so eine Unsitte, die der Uefa nicht gelingt zu unterbinden. Auch mein Handy meldet mir: zurecht Gelbe Karte. Nach der ersten unberechtigten, nun die zweite. Die deutsche Sportpresse verwandelt am nächsten Tag die Faktizität des Platzverweises in Notwendigkeit. Siehe oben. Ein ganz schlechtes Spiel, keine Spielkunst, kein Zauber. Nicht gesehen, was wirklich wichtig war: Die Mannschaft spielt weiter nach vorne, erkämpft sich ein Übergewicht statt Aussichtslosigkeit zu akzeptieren. Bricht nicht einmal nach den Gegentoren zusammen. Ein Sieg der Moral unter widrigsten Umständen, gerade deshalb schmeckt die Niederlage bitter.

Ohne Erfahrungen wie diese fehlte der Liebe zum Fußball, zu einer Mannschaft, zu bestimmten Spielern die Intensität. Nur ein Ahnungsloser konnte Diego eine 6 geben. Dieser Typ des Sportjournalisten sieht in Fußballern nur Angestellte, die im Misserfolg in den Hintern getreten werden müssen. Aber grauenhaft wird diese Attitüde von Fußballrohrstöcken, wenn sie noch ihr verschwiemeltes Klassenbewusstsein zur Geltung zu bringen versuchen. Der Satz „Klose, der brave Bub aus Blaubach-Diedelkopf, taugt nicht zum Zocker“ analysiert nicht, er diffamiert. Das Moralisieren über „Schwalben“ wird allmählich unerträglich; dafür gibt es eine Gelbe Karte, ok, aber mehr auch nicht. In England gibt es zwar weniger Schwalben, aber wer zweimal Chelsea gegen Liverpool gesehen hat, dem wird vor Reklamieren bei jedem Foul ganz schwindelig. Und körperliche Attacken gab es im Minutentakt. Sicher wurde Klose schlecht beraten; mit Hoeneß sollte man sich nie in Hannover treffen, wenn man aus Bremen kommt. Nein, im Ernst: Viele Berater agieren tatsächlich wie Zocker, die mit ihren Spielern herumdealen. Im Fußball-Business laufen mindestens so viele unseriöse Berater herum wie an der Börse. Aber es ist genauso schwierig, sich im großen Fußball bei Vereinswechseln richtig zu verhalten wie im Derivatenhandel. Nur die wenigsten kennen sich aus. Immerhin macht dieses Geschäft es möglich, dass Spieler aus Blaubach-Diedelkopf in Barcelona oder London gekannt und geschätzt werden. Solange der Berufsfußball gesellschaftliche Anerkennung ermöglicht, erfüllt er noch einen Traum von Glaube, Liebe, Hoffnung. Ein großer Spieler muss sein gutes Image in der Welt der Liebhaber verteidigen; das ist sein größter Wert. Ein einundzwanzigjähriger Diego tut es auch in einem aussichtslosen Spiel, Frings hat es inzwischen gelernt, und Klose wird es noch lernen. „Bild“ sieht es nicht. Eine 6 für Diego! Man kann sich nur schütteln angesichts dieser Dummheit.

gclobes Demut

von Günter Clobes

Wer dieser Tage in Bochum die Erleichterung und den Jubel über den verhinderten Abstieg erlebt, kann das nur aus dem Moment heraus verstehen. Wer allerdings – ziemlich häufig als Masochist verspottet – seine kostbare Zeit bei den Heimspielen des VfL verbracht hat, kann nur den Kopf schütteln. Selten hat eine im fußballerischen Sinne derart leblose und limitierte Mannschaft einen solch glücklichen Saisonabschluss hingekriegt. Spiele wie etwa gegen Mainz, Cottbus, Wolfsburg, aber auch gegen Bayern und Bremen, vor allem aber wie zum Ende gegen Hertha sind beredte Beispiele für die Qual im eigenen Stadion.

Jetzt, im Erfolg, haben natürlich alle alles richtig gemacht: auf Gekas als einzigen Stürmer zu setzen mit Misimovic als kongenialem Partner, Epallé als Spieler mit Zukunft einzuschätzen und an Trainer Koller als listigen Vertreter seiner Zunft festzuhalten. Keiner möchte sich deshalb nun im Taumel des Erfolgs gerne erinnern lassen an die merkwürdigen Entscheidungen dieses Trainers: Wie er beispielsweise Benjamin Auer nach nur einem Saisonspiel zum Abschuss freigegeben hat, wie er ein Talent wie Ivo Ilicevic konsequent missachtet hat statt es als Nachfolger von Misimovic aufzubauen, und wie er erst sehr spät entdeckt hat, dass Dennis Grote das Potenzial hat, noch Nachsicht und Geduld braucht, vor allem aber der bessere Spieler als ein völlig überschätzter Filip Trojan ist.

Und nun bzw. nächstes Jahr? Es wird ausgesprochen interessant sein zu sehen, dass dieses Team so nicht mehr weitermachen kann. Weder das Führungsteam in seiner Planung und schon gar nicht in seiner Konzeption, noch das Fußballteam mit seinem eindimensionalen, ja substanzlosen Spiel. Natürlich wird es wieder eine schwere Saison werden. Nur könnte man aus der jetzigen mit ein bisschen Demut eigentlich eine ganze Menge lernen: mehr systematische Entwicklung, mehr konzeptionelle Flexibilität und mehr Augenmaß. Denn so viele Auswärtsspiele wie dieses Mal sind wohl kaum ein weiteres Mal zu gewinnen, schon gar nicht in den letzten sechs, sieben Spielen der Saison (www.vfl-bochum.de).

Jürgen Kaube Ambition als Fluch

von Jürgen Kaube

Es gibt eine betriebswirtschaftliche Erfahrung, die sagt: Wenn Du einem guten Arbeitsteam eine Maschine hinstellst, die nicht funktioniert, wird es versuchen, sie zum Laufen zu bringen. Wenn Du einem guten Arbeitsteam aber eine Maschine hinstellst, die perfekt funktioniert, wird es um jeden Preis versuchen nachzuweisen, dass sie Fehler hat. Daraus ergibt sich eine Frage an die Anhänger von Rationalität: Soll man nun eine perfekte oder doch lieber eine nicht ganz so perfekte Maschine einkaufen? (Weiterlesen …)

Oliver Fritsch Verschlafene Dokumentare

von Oliver Fritsch

Die Berliner Zeitung bezeichnet in der Rückschau auf das Uefa-Cup-Aus gegen Espanyol Barcelona die laute und deutliche Bremer Kritik am französischen Schiedsrichter als „Dolchstoßlegende“ – eine fragwürdige historische Analogie, denn die Oberste Heeresleitung machte 1918 die deutschen Sozialdemokraten, also Landsmänner, für die Niederlage verantwortlich. Der Dolchstoß sei aus der Heimat, von hinten, erfolgt. Die Ursachenzuschreibung der Bremer für das 1:2 hatte gerade nicht die eigenen Reihen im Blick (und vermutlich schon gar nicht die Sozialdemokraten).

Und wenn wir schon dabei sind: Ein weiterer Fehler unterläuft den Kollegen. In ihrem Europapokalfazit behaupten sie, daß seit 2001, seit dem Champions-League-Sieg der Bayern, keine deutsche Mannschaft mehr ein Finale erreicht habe. Doch auch hier haben die Dokumentare geschlafen, denn ein Jahr später, 2002, standen sogar zwei deutsche Vereine in den Endspielen: Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund. An der Schlußfolgerung ändert das freilich nicht viel: „In der kleinen deutschen Fußballwelt mag die Liga wie ein Spiel ohne Grenzen wirken; in der großen europäischen Fußballwelt erfährt sie Jahr für Jahr, daß ihr Können streng limitiert ist.“

Ich bin seit meinem sechsten Lebensjahr bekennender Fan des FC Bayern. Bislang begründete ich diese Fan-Mutation gerne damit, dass sie durch meinen nächstälteren Bruder ausgelöst wurde, der in den 70er Jahren Anhänger der glamourösen Borussia aus Mönchengladbach war. Was blieb mir also anderes übrig, als den Erzrivalen zu wählen, um meiner innerfamiliären Distinktion zu genügen?

Soweit zu den Anfängen. Es war eine großartige Zeit, die ich mit dem Club verleben konnte. Man gehörte fast immer zu den Gewinnern, und die wenigen Täler der Tränen schweißten einen eher noch enger an einen Verein, der so wunderschön polarisiert und eben nicht metro-was-auch-immer oder irgendwie dazwischen war. Natürlich kauften die Bayern auch schon damals die halbe Liga zusammen. Ich erinnere nur kurz an den kleinen Karl Del’Haye, der 1980 für 1,3 Mio. DM von Gladbach zu den Bayern wechselte, ohne jemals dort wirklich Fuß zu fassen. Andererseits boten die Bayern aber auch immer wieder Identifikationsfiguren, wie den ewigen Grantler Augenthaler oder Vorstopper wie Schwarzenbeck, Beierlorzer oder Grahammer, die auf ihre hölzerne Art den Balanceakt zwischen mirsanmir und dem späteren FC Hollywood verkörperten. Udo Lattek sagte im DSF vergangenen Sonntag ausnahmsweise etwas, das den Wandel und die Dekonstruktion des FC Bayern München gut beschreibt: Auf den 10 Millionen Euro teuren vermutlichen Fehleinkauf von Daniel van Buyten angesprochen antwortete er, dass sich die Bayern früher die Vorstopper selbst geschnitzt hätten.

Nach dieser Saison wird beim FCB nichts mehr sein, wie es mal war, und dennoch glaubt der Vorstand, mit den alten Mitteln der Krisenbewältigung die neuen Herausforderungen lösen zu können. Erst „versagte“ der Trainer (zwei Doubles hintereinander und zur Zeit der Entlassung war Bayern auf Platz 4, wie jetzt übrigens auch) und dann die Mannschaft. Die Lösung: Sie reaktivieren den alten Trainer und kaufen eine neue Mannschaft. Ein paar junge Ergänzungsspieler (Jan Schlaudraff wird wohl eine ähnliche Entwicklung wie Del’Haye oder auch Tobias Rau nehmen) und fertige Spieler wie vielelicht Klose und Toni oder auch Altintop. Der einzige, der immer bleibt, ist Herr Hoeneß – samt den anderen Altvorderen aus vergangenen, glorreichen Zeiten. Die Situation muss wirklich dramatisch sein, denn der FCB bemüht erstmals im großen Umfang sein Festgeldkonto. Das, was sich Uli Hoeneß in den letzten Jahrzehnten so zusammengeschwäbelt hat.

Doch kein Gedanke wird daran verschwendet, dass nicht nur die Mannschaft krankt, sondern das System als solches. Und dafür bezahle ich gerne drei Euro: der Fisch stinkt vom Kopfe her! Beispiel Jugendförderung: Was hat der gute Uli Hoeneß auf Schweinsteiger herumgeritten (Cousine, Haare, Freundin), so dass der sich lieber von einer Zecke hat beißen lassen, als weiterhin den Buhmann zu spielen. Wie sehr er der Mannschaft fehlt, hat man in den letzten Spielen gesehen. Ich höre nicht einen einzigen schützenden Kommentar von Hoeneß über die unsachgemäße Kritik in der Presse an den Nachwuchskräften Ottl, Lell und Görlitz. Die Ansage ist klar: Wenn die Jungs es nicht nach ein bis zwei Saisons bringen, dann kommt halt wieder die Knute raus, und es geht ab zu den Amateuren. Oder sie werden an die Hachinger ausgeliehen. Jeder halbwegs vernünftige Experte weiß, dass solche Spieler zwei, drei Jahre an der Seite von gestandenen Spielern und in einer intakten Mannschaft reifen müssen. Desto größeren Respekt sollte man Lahm und Schweinsteiger in einer Postweltmeisterschaftssaison zollen. Bei aller gerechtfertigten Kritik über manch schwache Leistung.

Das alles sind Management- und Führungsfehler, die ich verzeihen könnte. Ein Fan muss das, besonders weil Hoeneß und seine Freunde ja auch vieles in den letzten Jahren richtig gemacht haben. Aber die Klose- und van-der-Vaart-Geschichte übertrifft alles bisherige, was Unverschämtheiten anbelangt. Spieler der Konkurrenz direkt vor wichtigen Meisterschafts- oder Pokalspielen zu kontaktieren (wer auch immer den Termin vereinbart hat), passt nicht zu dem Philanthropen Hoeneß, zeigt aber dass der Erfolg der Konkurrenz in diesem Jahr Wirkung gezeigt hat. Frei nach dem Motto: „Wenn wir schon nicht mehr dauerhaft dahin kommen, wo wir eigentlich gottgewollt sein müssten, dann sollen die es auch nicht erreichen“. Eine Strategie kann man an den bisherigen Einkäufen nicht erkennen. Nur die, kräftig auf die Pauke zu hauen, ohne wirklich etwas zu sagen und die Gerüchteküche noch weiterhin anzufachen. Dass Uli Hoeneß nicht mehr auf der Höhe seiner Manager-Zeit ist, konnte man spätestens beim Schlaudraff-Kauf erkennen. Hier ging es um persönliche Eitelkeiten und nicht um die professionelle Führung eines Millionenunternehmens.

Und wenn stimmen sollte, was vermutet wird, nämlich dass Klose bereits einen Vorvertrag für 2008 mit den Münchnern abgeschlossen hat, ist das eine indirekte Erpressung an den Bremern, die ihn natürlich schon jetzt verkaufen müssen, weil kein Bremer Fan einen zukünftigen Bayern-Spieler eine ganze Saison in der Mannschaft duldet. Schon gar nicht, wenn er mal eine Schwächeperiode hat.

Nun könnte man behaupten, das hätten die Bayern doch schon immer so gemacht, und ich hätte es nun auch endlich gemerkt. Oder dabei handelte es sich doch nur um geschicktes oder gar professionelles Management. Glauben Sie mir, so ist es nicht. Gerade haben sich die Koordinaten im deutschen Profifußball zum Schlechten hin verschoben, und ich glaube, der einzige, der es wirklich gemerkt hat, ist Uli Hoeneß selber. Nur, dass sein letzter verzweifelter Feldzug leider den Bayern und auch der Bundesliga langfristig nicht helfen wird. Er, der seinem Team immer ein Vater und Ansprechpartner sein wollte, wird als Heuschrecke nicht mehr zum Kuscheln gebraucht. Der FC Bayern München wird zukünftig ein anderer Club sein, und mein Herz wird diesem Verein nicht mehr gehorchen. Auch andere Mütter haben schöne Töchter.

Steffen Wenzel ist Mitbegründer der Video-Plattform für Amateurfußball hartplatzhelden.de

Dass Bayern München nächstes Jahr vermutlich nicht in der Champions League, sondern im Uefa-Pokal spielen wird, ruft zwei Reaktionen hervor: zum einen Hohn darüber, dass dem „FC Festgeld“ nun Reisen nach Malta, Georgien und ins wilde Kurdistan bevorstünden; zum zweiten die Sorge, es sei nicht gut für den deutschen Fußball, wenn seine „Lokomotive“ auf dem Wartegleis stehe. Ja, wenn’s um Bayern geht, geht’s gleich um die ganze Nation. Doch was ist dran an dieser, nennen wir sie Lothar-Matthäus-Hypothese? Nicht viel bis gar nichts. Dass die Bayern mal in die zweite Reihe zurücktreten, könnte frischer Sauerstoff für den deutschen Fußball sein.

Wonach bemisst sich eigentlich, was gut und was schlecht ist für die Fußballnation? Nehmen wir mal das Seelenleben der Fans als Kriterium. Die Fans bewegt vor allem die Nationalelf. Stark ist die Nationalelf meist dann, wenn deutsche Spieler im Ausland beliebt sind und sich dort fortbilden können, so wie ein Großteil des letzten Weltmeisterjahrgangs 1990 – und wie in Ansätzen die aktuelle Generation um Lehmann, Ballack, Frings, Metzelder, Klose, Hildebrand. Vom Erfolg deutscher Vereinsmannschaften hingegen profitiert die Nationalmannschaft nicht zwingend, es scheint keine direkte Kausalität zu bestehen. Zur Erinnerung, die große Münchner Hitzfeld-Ära fiel auch in die Ribbeck-Zeit.

An zweiter Stelle steht eine spannende, ausgeglichene und wirtschaftlich gesunde Bundesliga. Daher kann es nur gut sein, wenn die reichen Bayern mal auf die achtstelligen Einnahmen aus der Champions League verzichten und damit von ihrer Monopolstellung in der Liga einbüßen müssten. Auch wenn die Empirie nicht dafür spricht, schließlich sind die Indikatoren (Zuschauerzahlen, Fernsehgeld) für die Attraktivität der Bundesliga in den letzten zehn Jahren, in denen Bayern München sieben mal Meister wurde, gestiegen – die Ergebnisoffenheit einer Liga ist (auch ökonomisch) ein sehr hoher Wert.

Der Fußballpublizist Klaus Theweleit hat in der Neuen Zürcher Zeitung vor einem Jahr wütend seine Sicht über die Bayern-Strategie dargelegt, diesen Wert zu zerstören: „Der FC Bayern ist das größte Hindernis für eine Entwicklung des deutschen Fußballs auf ein höheres spielerisches Niveau: indem Uli Hoeneß gezielt jede Konkurrenz kaputt kauft und die eingekaufte Spielintelligenz unter Durchschnittstrainern wie Felix Magath auf der Bank verhungern lässt.“ Der Fußballweise Christian Eichler (FAZ) kommt zum gleichen Urteil: „Die Macht der Bayern ist schlecht für den deutschen Fußball. Ihr ökonomischer Erfolg hält ihnen Rivalen vom Hals und beschert ihnen auf dem Silbertablett das Beste vom deutschen Spielermarkt.“ Nun könnte es den Bayern, allen Gerüchten um einen Klose-Transfer zum Trotz, zumindest eine Zeitlang schwerer fallen, Stuttgart, Schalke und Bremen an der Fortentwicklung ihrer Teams und ihrer Spielideen zu hemmen.

Zudem neigen die Bayern zu dominantem Verhalten. Wenn sie auswärts erfolgreich sind, pochen sie zuhause auf Privilegien – mal geht es um Schiedsrichter- und Sportgerichtsurteile, mal um die Verteilung von Geld. Diese anmaßende, unsolidarische Haltung hat der FCB zu seiner erfolgreichsten Champions-League-Zeit um die Jahrtausendwende an den Tag gelegt und sogar unverhohlen geäußert. Uli Hoeneß hat nicht, wie es so oft heißt, viel für den deutschen Fußball getan, sondern in erster Linie für den FC Bayern. Es gibt ein arabisches Sprichwort: Ich gegen meinen Bruder. Ich und mein Bruder gegen unseren Cousin. Ich, mein Bruder und unser Cousin gegen unsere Nachbarn. Wir alle gegen den Fremden.

Erst an dritter und letzter Stelle der Rangliste der Dinge, die deutsche Fußballfreunde bewegt, ist die Konkurrenzfähigkeit deutscher Klubs im Europapokal zu veranschlagen. Klar, es wäre schön, wenn Werder Bremen diese Saison den Uefa-Pokal gewinnen würde (gewonnen hätte); aber eine Sinfonie von Spiel wie das 3:2 Manchester Uniteds gegen den AC Mailand, wollen wir uns doch nicht vom Mitwirken der Fußballarbeiter aus München vernichten lassen.

#15 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

Nichts ist so alt wie die Zeitung vom Vortag. Als der FC Bayern gegen Real Madrid gewonnen hatte, da hieß es, die verbleibenden Teams in der Champions League seien ausgeglichener denn je. Und: Bayern mache große Fortschritte bei der Wiederauferstehung. Das war am 9. März. Dann kam das Spiel gegen Bremen. Man habe einen echten Meisterschaftsanwärter gesehen, was sich von anderen Teams an der Spitze nicht sagen lasse. Bayern habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hitzfeld, genau der richtige Mann. Das war am 13. März. Dann, Ende März, Anfang April sank der Stern (Weiterlesen …)

Der DFB hat nun beschlossen, gemischte Testspiele zu erlauben, weil ein grundsätzliches Verbot von Fußballspielen zwischen Frauen und Männern „nicht mehr zeitgemäß“ sei. In der Tat, ein unnötiges Verbot war das! Aber wer soll und will sich jetzt eigentlich mit wem messen?

Meine Erfahrung mit Testspielen zwischen Frauen und Jungs (waren auch bisher gestattet) fällt einseitig aus. Sehr einseitig. Sehr, sehr einseitig. Unsere A-Jugend, keine schlechte, aber auch nicht unter den dreißig besten Mannschaften Hessens, hat jüngst den Tabellenführer einer Frauen-Landesliga, also ein Team, das im nächsten Jahr in der 3. Liga spielen wird, 25:0 geschlagen. Meine ehemalige männliche B-Jugend (also etwa 15-Jährige) bezwang einmal die hessische Frauen-U21, darunter Spielerinnen mit Bundesliga- und Uefa-Cup-Erfahrung, mit 8:3. Gegen welches Herrenteam – gemeint ist: aus welcher Liga? – die Frauen-Nationalelf wohl gewinnen würde?

Die sportlichen Vorteile des männlichen Geschlechts liegen hauptsächlich in der Schnelligkeit, das meint auch Handlungsschnelligkeit. Aber Frauen müssen ja nicht gegen Männer bestehen; daher sind solche Vergleiche eigentlich unnötig. Ebenso wie die umgekehrte Behauptung, die in Deutschland (ich glaube) zu Erich Ribbecks Zeiten fast konsenshaft wurde, wonach Frauen technisch besser und damit ansehnlicher spielten. Fraglich, denn wenn alles langsamer abläuft – Zweikampf, Ballkontrolle, Passspiel -, fallen einem natürlich die Bewegungsabläufe leichter. Rasanz und Tempo sind im Sport und in der Sportwissenschaft nun mal auch technische Faktoren.

Männer gewinnen gegen Frauen– mit dieser These kann man keine Fußballerin provozieren. Gestus und Attitüden des Frauenfußballs sind ohnehin dem Männerfußball entlehnt. Ich hab mal eine Bezirksauswahl der Mädchen betreut, zum Training kamen sie in Trikots von Rosicky, Elber und Balakov – und nicht von Prinz, Jones und Neid. Und normalerweise wissen auch die meisten Spielführerinnen von Frauen-Teams, wo im Sportheim die Kiste Bier steht. Das Kaffeeservice, das der DFB 1989 der Frauennationalelf für den ersten Europameistertitel als Prämie überreichte, war vermutlich doch nicht so zielgruppengerecht wie erhofft.

Fußballerinnen scheren sich im allgemeinen nicht um die Ge- und Verbote politischer Korrektheit; das erkennt man schon an der Sprache. Haben sich an Universitäten die sprachlich gerechten, aber grammatisch heiklen „Studierenden“ durchgesetzt, sind dem Frauenfußball die „Mannschaft“, der „Letzte Mann“, und der „Manndecker“ erhalten geblieben; mit Vokabeln wie Frauschaft, Letzte Frau, und Fraudeckerin würde man sich vor Fußballerinnen wohl blamieren. Selbst die größte Diskriminierung, eigentlich eine gut gemeinte Maßnahme, nehmen sie hin: die Regel „Frauentore zählen doppelt“, beliebt bei Hobby- und Uni-Turnieren mit gemischten Mannschaften. Übrigens, die abfälligsten Bemerkungen über Frauenfußball hab ich aus weiblichem Mund gehört. Doch sie entstammen hessischer Mundart und sind nur schwer zu übersetzen, weswegen ich hier auf die Wiedergabe verzichte.

#14 meiner Kolumne auf rund-magazin.de


Nichts für kleine Jungs

« Vorherige SeiteNächste Seite »