direkter-freistoss.deNicht-anonymes Fußball-Blog 

Direkt zum Inhalt springen

Oliver Fritsch VfB-Glück ist flüchtig

von Oliver Fritsch

Als Sportjournalist, der was auf sich zählt, läuft man immer Gefahr, Kredit zu verspielen, wenn man sich als Anhänger eines Vereins zu erkennen gibt. Es gibt unter den (allerdings wenigen) ideologischen Hardlinern der Branche ein puristisches Credo, dass man kein Fan sein dürfe, weil man sonst nicht kritisch sein könne. Aber: Das entspricht erstens einem beschränkten Verständnis von Fan-Sein und fördert zweitens eine Art fußballemotionales Eunuchentum. Dem ich mich verweigere, denn ich drücke seit rund dreißig Jahren dem VfB Stuttgart die Daumen. Keine Vereinsbrille hat mich jedoch je daran gehindert, mich für unseren ehemaligen Präsidenten immer wieder fremdzuschämen. Und auch darüber, dass in der jüngeren Vereinsgeschichte ein Spieler nach dem Abschluss einer Vertragsverhandlung die Presse einlud, um dann seine Liebe zum Verein vom Blatt abzulesen („Meine Damen und Herren, der VfB ist für mich voll und …“ Pause. Umblätter. „… ganz eine Sache des Herzens.“), stoße ich heute noch auf.

Wie so oft in den letzten Jahren hat auch diese Saison für den VfB Stuttgart einen Verlauf genommen, mit dem keiner gerechnet hat. Diesmal hat der Weg der Unberechenbaren nach oben geführt. Nun kann man in der Wechsel- auch eine Regelhaftigkeit erkennen, und nicht alles muss man gleich zur Sensation erklären. Dass zehn Spieltage vor Schluss das Double noch möglich ist, ja; dass Pavel Pardo Zvonimir Soldo gleichwertig ersetzt hat, auch. Dass es einen staunen lassen soll, dass es sich um einen Mexikaner handelt, wie viele Beobachter betonen, leuchtet mir allerdings nicht ein. Haben wir nicht beim Confed Cup und zum Teil auch an der WM vor unserer Tür gesehen, welch außergewöhnlich guten Fußballer die Mexikaner sind?

Vor dem Karriereende Soldos war es mir in der Tat bange. Jahrelang war Soldo, dessen Bedeutung und Stärke von vielen Journalisten lange unterschätzt wurde, der dominante Spieler. Wer mit ihm nicht zurechtkam, hatte im Team keine Chance. Es gab Zeiten, in denen die Faustregel galt: Spielt Soldo, gewinnt der VfB, spielt Soldo nicht, gewinnt der VfB eben nicht. Übrigens, bei aller berechtigten Kritik an Giovanni Trapattoni – er hat erkannt, wie wichtig es für die Mannschaft ist, sich von Soldo zu emanzipieren.

Im Moment machen sie in Stuttgart eigentlich nichts erkennbar falsch, weder Trainer noch Mannschaft noch Management. Dennoch bleiben wir VfBler unserem Zweckpessimismus treu. Der Stuttgart-Fan weiß: Glück ist flüchtig. Und wenn wir weit vorne landen, verlieren wir wieder unseren besten Spieler. Oder Trainer. Oder beide.

Meister scheint der VfB ohnehin nur in solchen Jahren werden zu können, in denen die Bayern die Tabellenspitze aus der Ferne betrachten – wie bei den beiden einzigen Titelgewinnen in der Bundesliga. Damals hießen die Konkurrenten Hamburg (1984) und Frankfurt und Dortmund (1992). Gegen die Bayern, den Rivalen aus dem Süden, machen sich die Stuttgarter immer kleiner als sie sind. Ein Minderwertigkeitskomplex? Ottmar Hitzfeld tönt seit Wochen unwidersprochen und unbeantwortet: „Stuttgart werden wir sowieso irgendwann einholen.“ Ja, lassen Sie’s gut sein! Wir wissen es doch auch so. Man ist ja schon fast froh, dass es schon demnächst passieren wird – und nicht erst am letzten Spieltag. Bringen wir es hinter uns!

Doch aufhorchen lassen uns immer die Prognosen eines anderen Bayern: die Franz Beckenbauers. 2002 zählte er den VfB zu den Absteigern, und sie wurden am Ende Zweiter. Zu Trapattonis Zeit rechnete er mit dem Meister VfB, und es kam wieder ganz anders. Und was hat er den Italienern vor der WM noch mal prophezeit? Richtig, das Vorrundenaus. An alle Sportwetter: Immer auf das Gegenteil der Expertisen Beckenbauers setzen!

Wenn es etwas gibt, was wir Stuttgarter wirklich fürchten sollten, dann ist es Beckenbauers Voraussage einer großen Zukunft.

#8 meiner Kolumne auf rund-magazin.de

[youtube -1p-o--vYpM]
Ob’s für den VfB-Fan nochmal so schön wird?

7 Kommentare

  1. piero101 schrieb am 11. März 2007:

    VfB-Fan?!?!

    Oh Gott, das trübt den Genuss von indirekterfreistoss.de nun schon sehr …

    😉

  2. Parana schrieb am 12. März 2007:

    Als langjaehriger VfB-Fan, kann ich deinen Worten nur zustimmen. Wie stolz waren wir, nach dem famosen Sieg gegen ManU, um im naechsten Heimspiel ein NullzuNull gegen Koeln erleben zu muessen.
    Wann immer der kurze Hauch des Erfolges durchs Neckarstadion wehte, war auch allen klar, dass der sehr bald wieder verweht ist.

    Egal wie erfolgreich Management und Trainer jemals sein werden.

    Und an alle VfB-Schmaeher, koennt ihr von eurem verein behaupten, dass ein ehemaliger Spieler Nationaltrainer von Deutschland und ein anderer Nationaltrainer von Brasilien wurde? Nein? Also dann, bitte wieder setzen.

  3. Kolja schrieb am 12. März 2007:

    Ich kann den Zweckspessimismus der Vfb Fans nur bestätigen, andererseits schliesst dieser mörderische Wutanfälle bei Niederlagen nicht aus, wie ich an meiner Frau Freundin beobachten kann. Also, nicht das jemand glaubt dieser Zweckspessimismus würde zu einer gewissen Gelassenheit im Verlieren führen. K.

  4. Kommt ein Stöcklein geflogen, at Welt Hertha Linke schrieb am 13. März 2007:

    […] Oliver Fritsch’s In-/direkter Freistoss […]

  5. kurdt schrieb am 21. März 2007:

    Der VfB wird immer noch unterschätzt. Aus gutem Grund. Heldt hat zwar bisher einiges richtig gemacht. Man fragt sich dennoch, warum er den zugegeben hochverdienenden Tomasson hat ziehen lassen, obschon er im Winter wußte, daß im Sturme igentlich nur auf Gomez Verlaß ist. Cacau ist eher ein Konterspieler mit manchmal allzu hastigen Qualitäten. Wie er nach dem Pfostenschuss von Hitzelsperger am Wochende bei S 04 den Ball versolpert hat…da mußte fast mein Fernseher dran glauben. Ansonsten hat er aber gute Leute wie Pardo, osorio geholt. Richtig gespannt bin ich noch auf Farnerud, da muß doch noch mehr kommen. Lauth wird wohl für ewig ein introvertierter Techniker bleiben. Er sollte mit Broich vom FC Köln eine Interessengemeinschaft für feingeistige Fußballer eröffnen, obwohl ihm ein Durchbruch immer noch zu wünschen ist. Wenn dieser beim VfB passiert, umso besser.

  6. Jan schrieb am 23. März 2007:

    Das schöne daran: Wenn man sich der Tatsache bewusst wird, daß diese Glücksmomente flüchtig sind, lässt es sich leichter geniessen. Während sich Bayern-Fans sich im Augenblick des Siegesgefühls schon wieder innerlich mit der Rechtfertigung für die nächste Niederlage beschäftigen müssen (wann immer die auch kommt).Fragen wie „Warum läufts bei deinem Verein so gut“ lassen sich leicht beantworten: „.. das kann sich ganz schnell wieder ändern.“
    Schön zu wissen übrigens, daß es rund um Gießen noch Gleichgesinnte gibt

  7. www.direkter-freistoss.de » Jürgen und Chelsea - ja, das passt! schrieb am 17. April 2007:

    […] erwiesen: “Jürgen und Chelsea – ja, das passt!”, hat er heute bei Springer gemutmaßt. Wie schon erwähnt, meist trifft das Gegenteil dessen ein, was er […]

RSS-Feed für Kommentare dieses Beitrags.

Leave a comment

Erlaubte Tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>